Freitag, 29. März 2024

Archiv


Väterchen Frost auf dem Rückzug

Klimaforschung. - Longyearbyen ist die nördlichste Stadt der Welt und somit ideal geeignet, um Klimaauswirkungen auf den ganzjährigen Frost zu untersuchen. Norwegische Forscher hoffen sich daraus bessere Informationen über die Mechanismen des Treibhauseffektes und auch über ein mögliches Erlahmen der Zentralheizung für Europa, den Golfstrom. Doch auch hierzulande kann das Zurückdrängen des Permafrostes festgestellt werden. So schmilzt die anhaltende Wärme Eisspalten beispielsweise am Matterhorn und sorgte so für erhebliche Gesteinsabgänge.

21.07.2003
    Von Dagmar Röhrlich

    Sommer in Longyearbyen. Ein reißender Bach aus dem Schmelzwasser von gleich zwei Gletschern gibt den Ton an. Gelbbraun schießt es hinunter in den Fjord, wo es sich mit dem blauen Meerwasser mischt. Zwischen Juni und August regiert auf Spitzbergen das Wasser. Dann taut der Schnee, die Gletscher - und die oberste Schicht im Permafrostboden. Ole Humlum von der Universität Spitzbergen in Longyearbyen:

    Permafrost wird allein über die Temperatur definiert, wenn sie im Untergrund mindestens zwei Jahre lang nicht über den Gefrierpunkt steigt.

    Permafrost beherrscht rund ein Viertel der gesamten Landmasse. Lange wurde die Erforschung dieses Phänomens stiefmütterlich behandelt. Das hat sich jetzt mit Blick auf den menschengemachten Treibhauseffekt gewandelt, denn durch ihn soll der Permafrost in weiten Regionen schmelzen. Aber derzeit hat man nur wenige Daten.

    Aber an mehreren Stellen auf der Welt versuchen wir 100 und mehr Meter tief in den Permafrost zu bohren, um die Temperaturen zu messen. In diesen Messungen sehen wir, dass derzeit die oberste Lage im Permafrost in einigen Teilen der Welt wärmer wird, in anderen kälter.

    Während die sommerlichen Auftauzone- die sogenannte aktive Lage - in Alaska und Nordkanada wärmer und dicker wird, lässt das sommerliche Tauen in Teilen Sibiriens und Südgrönlands nach. Über das Verhalten der aktiven Lage ist wenig bekannt, deshalb lassen sich aus den noch sporadischen Daten kaum belastbare Aussagen über einen Klimawandel treffen. Also ist rund um den Nordpol ein Netzwerk von Messstationen eingerichtet worden. Hanna Christiansen von der International Permafrost Association:

    An ihnen wird in jedem Jahr im späten August oder frühen September die aktive Lage gemessen, denn dann ist sie am größten. In der Nähe von Longyearbyen haben wir zudem ein sehr engmaschiges Netzwerk aufgebaut, bei dem wir alle paar Tage das Verhalten der aktiven Lage mit Blick auf Lufttemperatur, Niederschlag oder Schneebedeckung messen.

    Die Fragen: Welche Klimafaktoren spielen bei der Entwicklung dieser aktiven Lage eine Rolle, und wie sind sie zu gewichten.

    Nach traditioneller Sicht ist die Lufttemperatur im Sommer die treibende Kraft. Das scheint an einigen Plätzen auch der Fall zu sein, aber an anderen sehen wir, dass es noch andere Faktoren gibt. Unserer Meinung nach kommen da die Menge des sommerlichen Regens in Frage, die Dicke der Schneedecke im Winter und die des Schnees im Sommer.

    Nach Untersuchungen auf Spitzbergen, Grönland und Schweden sind lokale oder regionale Faktoren ebenso wichtig wie die sommerliche Lufttemperatur. Dazu Ole Humlum:

    Wenn es im Winter ungewöhnlich viel Schnee gegeben hat, wird die meiste Zeit im Sommer gebraucht, den Schnee zu schmelzen. Dann bleibt nur wenig Zeit, um die aktive Lage zu tauen. Die wird dann dünn sein, obwohl der Sommer vielleicht sehr warm war. Es ist also recht kompliziert.

    Wenn Klimamodelle einfach nur Permafrost mit sommerlicher Lufttemperatur verbinden, greifen sie zu kurz. Ihre Daten "aus der wirklichen Welt", so hoffen die Forscher, werden deshalb bald die Klima-Simulationen verbessern.