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Valentin Groebner: Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit

Das Wissen darum, dass politische Entscheidungen mitunter erkauft werden, ist Bestandteil des Alltagsbewusstseins. Manche meinen gar, das politische System würde gar nicht funktionieren, wenn seine Protagonisten nicht von Zeit zu Zeit geschmiert würden. Der Schweizer Historiker Valentin Groebner macht nun in einer Studie darauf aufmerksam, dass politische Korruption keine neue Erscheinung ist, dass sie bereits im Mittelalter integraler Bestandteil der politischen Kultur war.

Hans Leyendecker |
    Korruption wird gern mit Schmutz, Fäulnis und Verdorbenheit der Sitten gleichgesetzt. "Meyers Neues Lexikon" prangert sie als Synonym für den allgemeinen moralischen Verfall an. Das Wort "corruptio" war in der katholischen Kirche und vor allem in den Bekenntnisschriften der Reformation der Begriff für Erbsünde. Heute hat fast jede Großstadtverwaltung –Frankfurt, Wuppertal, Köln oder Berlin liefern beliebige Beispiele - ihre Korruptionsaffäre, und Betrachter sagen gerne, es herrschten "Zustände wie im alten Rom".

    Die Beobachter haben gewöhnlich keine Ahnung davon, wie korrupt es in den Städten des Oberrheins und der Schweiz zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert zuging und dass Redensarten über Korruption, die wir heute verwenden wie: "Das Schmieren der Hände", aus den Reden spätmittelalterlicher Prediger stammt.

    Der Privatdozent für Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Basel, Valentin Groebner, hat die alten Sitten und Gebräuche in einem Buch mit dem Titel "Gefährliche Geschenke" und dem Untertitel "Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit" beschrieben. Er schildert sehr anschaulich das System des Gebens und Nehmens und stellt eine lesenswerte Sprachanalyse über den historisch-politischen Wandel im Mittelalter an.

    Der Mittelalterhistoriker, ein Typ, wie ihn Sean Connery in Spielbergs "Indiana Jones Teil 3" darstellte, hat sich durch Berge von altem Papier gewühlt. Er hat dicke Folianten studiert, unscheinbare Schnipsel ausgewertet, in Rechnungsbüchern gestöbert und sich nicht mit den üblichen Themen des Mittelalters beschäftigt: Nicht mit Hexen und Mönchen, nicht mit Beginen und Minnen oder der Pest, sondern mit Geld. Sauberem Geld, schmutzigem Geld. Wer zahlte, bestimmte schon damals die Musik. Kungelei, Kumpanei, Schiebereien und Käuflichkeit bestimmten das Klima. Der Übergang von ehrenvollen zu unsichtbaren Geschenken wird von Groebner mit großer Akribie nachgezeichnet.

    Das Wort Geschenk leitet sich von der Tätigkeit des "Ein-" und "Ausschenkens" her. Am häufigsten wurde deshalb Wein geschenkt. Viel Wein. In spätmittelalterlichen Texten wird die Zahl der Becher und Fässer genau festgehalten. Offiziell eingesetzte Geschenke waren damals eine wesentliche Stütze der politischen Ordnung.

    Wer schenkte, hielt sein Geschenk in ellenlangen Registern fest. Dass der Nürnberger Großkaufmann Anton Tucher am 11. Juni 1508 einem Patrizier acht Forellen schenkte, hat er mit Datum und Wert genau vermerken lassen. Im Mittelalter, das lernen wir in dem süffig geschriebenen Buch, wurden die legitimen Zuwendungen fein aufgelistet und in Kladden festgehalten.

    Aber was ist mit der Korruption, die normalerweise von Geheimnistuerei, Verrat und Betrug begleitet wird? Die Umgehung von Moral und Regeln zum eigenen Vorteil galt auch damals schon vielen als pfiffig. Der Begriff "miet" stand für die Vorstellung von verderblicher Käuflichkeit. Im Juli 1372 beschloss der Basler Rat erstmals, künftig solle jeder Ratsherr zu den Heiligen schwören, von niemandem, der mit den Ratsherren oder dem Gericht zu tun habe, ein "miet" anzunehmen, bei Strafe von einjähriger Verbannung aus der Stadt und lebenslangem Ausschluss von allen städtischen Ämtern. Die vollständige Formel wurde in das pergamentene Rote Buch und gleichlautend in das papierne Weiße Buch der Stadt eingetragen. 13 Jahre später wurde die angedrohte Strafe auf fünfjährige Verbannung erhöht.

    Miet ist aber nach Feststellung des Autors nicht einfach nur das spätmittelalterliche Wort für Bestechung. Die Geschichte des Wortes verweist auf etwas, das auf den ersten Blick zumindest mit Verwaltung und Amtsleuten nichts zu tun hat, nämlich auf den Preis des Körpers. In ihr vermengten sich Käuflichkeitsvorstellungen zweier Sphären. Die Reden über Käuflichkeit und schmutziges Geld hatten im Spätmittelalter eine Menge mit Geschlechterrollen und der Kodierung von Sexualität zu tun. Schweigegeld, Lohn für Verrat und die Verunreinigungen des menschlichen Leibes gingen eine Allianz ein. Allerdings kam es immer darauf an, wer über die Begriffe entscheiden konnte, wer Wörter einfach etwas anderes heißen lassen konnte.

    So gab es für das Nehmen und Geben die Begriffe miet und gab, das waren unsichtbare und gefährliche Gaben. Als sich die Obrigkeit der Stadt Bern entschloss, mit dem französischen König zusammenzuarbeiten, wurde im Kleinen Rat verordnet, die sonst jährlich bei der Ratswahl zu Ostern öffentlich deklamierte Eidformel gegen die Annahme von miet und gab nicht mehr vorlesen zu lassen – offenbar als Vorsichtsmaßnahme gegenüber dem Vorwurf des Eidbruchs.

    Die Unterscheidung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen "öffentlich" und "privat" war immer wieder Objekt von politischen Konflikten. Wer erwischt wurde und keine gefällige Erklärung für sein Tun fand, musste mit dem Schlimmsten rechnen. So wurde der Augsburger Bürgermeister Ulrich Schwarz 1478 zum Tode verurteilt, weil er als Makler und Schiedsrichter in Streitigkeiten Geschenke angenommen, von städtischen Gefangenen Geld erpresst und bei der Besetzung städtischer Ämter Geld eingesackt habe.

    Ein Begriff für Geschenke war der Begriff Pension. Ursprünglich war damit das Recht gemeint, einen bestimmten Teil der Erträge des Benefeziums zu beziehen. Im Sprachgebrauch vom Ende des 15. Jahrhunderts an handelte es sich bei Pensionen um offizielle, wenn auch vertraulich gehandhabte Zahlungen von auswärtigen Höfen an Einzelpersonen, Amtsleute, Räte und politische Körperschaften. Gerüchte über italienische und französische Gelder an eidgenössische Amtsleute beunruhigten die Obrigkeiten. Im Juni 1495 zeigte sich der Berner Rat besorgt über umfangreiche Geldzahlungen, die die Schweizer angeblich zum offiziellen Eingreifen in die italienischen Verwicklungen zugunsten Mailands veranlasst hatten. Die Pensionen waren Teil der Machtbasis mancher Bürgermeister, aber wer erwischt wurde, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Der Zürcher Bürgermeister Hans Waldmann, der tüchtig Pensionen empfangen hatte, wurde zum Tode verurteilt und exekutiert.

    Diskussionen über Pensionen lösten Unruhen aus. 1513 gab es wegen der Pensionen einen Landschaftsaufstand. Eine geheime Namensliste über die Empfänger von französischen Kronen wurde öffentlich verlesen, und alle darin genannten Ratsherren mussten schwören, das Geld unverzüglich in die Stadtkasse zu zahlen. Eine Reihe von ihnen wurde aus dem Rat ausgestoßen. Ein Ratsherr wurde gelyncht.

    Groebner schildert sehr eindrücklich, wie die Gaben als Leistung für Informationszugänge verwendet wurden. Bei Türhütern und bei Ratsherren. Alles ist in Unterlagen festgehalten. Ausweis, Aktenlage und Amtsgeheimnis sind nach Feststellungen Groebners Erfindungen des späten Mittelalters. Die Grenzen zwischen Moral und Amoral waren schon damals fließend geworden. Immer mehr Bürger aller Klassen entschieden sich für Selbstbedienung, den eigenen Vorteil und das Übervorteilen der anderen. Der kühle Wirtschaftsbürger, der egoistisch seinen Vorteil sucht und alle Tricks beherrscht, hatte Erfolg. Antriebe, die auf sozialen Handlungen und Zielen beruhten, verloren zunehmend an Bedeutung. Bis hin zur Verletzung der Grundregeln war es nur ein kleiner Schritt. Das Geld paralysierte schon damals alle moralischen Sinne.

    Der Band "Gefährliche Geschenke, Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit" wurde von Valentin Groebner verfasst. Er ist im Universitätsverlag Konstanz erschienen, umfasst 312 Seiten und kostet DM 68,-