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Vampire Weekend: "Father Of The Bride"
Suche nach der eigenen Identität

Kultur, Identität und Aneignung verfolgen die US-Band Vampire Weekend seit Jahren. Frontmann Ezra Koening dreht das Thema auf dem neuen Album "Father Of The Bride" weiter: Es geht um das Leben als weißer Jude in einer Kleinstadt in New Jersey und antisemitische Klischees – nicht ohne Selbstironie.

Von Robert Rotifer | 27.04.2019
Der Frontmann von Vampire Weekend, Ezra Koenig, spielt mitten auf einer Straße auf einem blauen Hocker Gitarre
Der Frontmann von Vampire Weekend, Ezra Koenig (Sony Music Germany )
Wir treffen Ezra Koenig in einem schrecklich hippen Londoner Hotel. Mit seinen 35 Jahren ist er immer noch jung genug, um unpeinlich scheckige Designersocken zu offenen Sandalen tragen zu können. Als vorbildlich multimedialer moderner Popstar ist er in allen Formaten heimisch, von flüchtigen Kollaborationen mit Leuten wie SBTRKT und Chromeo über seine Arbeit an Beyoncés Album "Lemonade" und seiner Netflix-Serie "Neo Yokio" bis hin zu seiner eigenen Radio-Show auf Beats 1.
Doch wenn er über das neue Album seiner Band Vampire Weekend spricht, werden seine Kriterien und Bezüge plötzlich wieder sehr klassisch:
"Ich glaube nicht, dass Musik als eine Art von Kunst sich an einem Song oder an einem Album festmachen lässt. Die Essenz dieser Kunstform ist die gesamte Karriere, wie die Alben zueinander stehen. Wenn ich an einem Album arbeite, gehe ich immer zurück zu den Diskografien der Künstler, die mich geprägt haben."
Inspiriert von Bruce Springsteen
Und welch klassischeres Beispiel könnte es für einen in New Jersey aufgewachsenen Künstler wie Koenig geben als den Namen, den er nennt?
"Für mich ist es Bruce Springsteen. Die Reise von seinem ersten Album bis zu seinem zehnten ist mir sehr vertraut, und ich denke dauernd darüber nach. Wenn ich mit einem anderen Musiker spreche, und der sagt: ‚Was kam zuerst raus, ‚The River‘ oder ‚Nebraska‘?', sage ich: ‚Natürlich folgt auf ‚The River‘ ‚Nebraska‘ – und dann ‚Born in the USA‘, anders würde das gar keinen Sinn ergeben. Das ist so wichtig – wie kannst du das nicht wissen?'"
Mit Verlaub, noch kann es hier keine Vergleiche zu "Nebraska", Bruce Springsteens Album Nummer sechs, geben, denn mit "Father of the Bride" sind Vampire Weekend erst bei Album Nummer vier angelangt, dem diskographischen Äquivalent also zu "Darkness on the Edge of Town", Springsteens Zelebrierung seiner proletarischen Identität, wie hier im Song "Factory", und tatsächlich hat Ezra Koenig in seiner Analyse des eigenen Werks ein zeitgenössisches Gegenstück dazu anzubieten:
"Es gibt Themen, die entwickeln sich nicht auf einem speziellen Album, sondern im Lauf einer Karriere. Ich denke, bei uns als Band ist es der Widerspruch zwischen dem Individuum und der Gruppenidentität. Wenn ich zurückblicke, ist das ein definierender Faktor, wenn ich Songs schreibe."
Antisemitische Klischees aufs Korn genommen
Tatsächlich findet sich in Koenigs Texten unter der Deckung banaler Beziehungskisten reichlich identitätspolitischer Gehalt. Dieses Lied "Harmony Hall" nimmt etwa antisemitische Klischees aufs Korn: "Unter diesen Samthandschuhen verstecke ich die schändlichen betrügerischen Hände des Geldverleihers", singt Koenig da frei übersetzt.
"Ich bin an einem Ort aufgewachsen, wo ich mich als Jude immer sehr anders als die anderen gefühlt habe. Zehn Meilen weiter wäre ich dagegen von Juden umgeben gewesen. New York, wo ich geboren wurde, aufs College ging und heute lebe, ist einer der jüdischsten Orte überhaupt. Ich habe also viel über jüdische, amerikanisch-jüdische und amerikanische Identität nachgedacht."
Dieses Plädieren um Ausdifferenzierung schimmert in vielen Songs auf "Father of the Bride" durch. Es ist ein mit Fettnäpfchen vermintes Themenfeld, auf dem Vampire Weekend da tanzen. Ezra Koenig weiß das und destilliert die seit über einem Jahrzehnt um seine Aneignung afrikanischer Musik geführten Debatten in pure Selbstironie: etwa im Song "Unbearably White", zu Deutsch: unerträglich weiß.
"Wenn die Leute Vampire Weekend kritisieren und sagen: 'Ihr Typen seid die weißeste Band, die es je gab', dann sage ich: 'Habt den Mut, mich nicht bloß als einen Weißen, sondern als weißen Juden zu kritisieren, denn diese Dinge hängen zusammen.' Es gibt sicher auch einiges, das ich im Nachhinein anders machen würde und es ist immer wert, darüber nachzudenken. Denn das ist, was die Welt ausmacht: Kultur und Identität."
All die verkorkste Identitätspolitik bringt in letzter Zeit ganz schön viel guten Pop hervor. Sogar weiße Männer können dazu Produktives beitragen. Solang sie so klug sind wie Ezra Koenig.