Karin Fischer: "Im Farbenrausch" - das Thema seiner jüngsten Ausstellung nimmt das Museum Folkwang in Essen sehr wörtlich. Geht man auf die entsprechende Webseite, gibt es eine Intro, mit der die Bilder wie von Fern auf einen zugeschossen kommen; und die Farbflächen und Farbflecken der Werke eines Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Franz Marc oder einer Gabriele Münter scheinen wirklich auf dem Computer zu explodieren wie Farbbeutel. "Im Farbenrausch" ist dabei nicht nur eine Ausstellung über die deutschen Expressionisten, sondern stellt die neuen Wilden aus Frankreich, die "Fauves", Werke von Edvard Munch, und die Deutschen einander gegenüber. - Frage an Stefan Koldehoff: Sind das nur explodierende Farben, oder ist der Gedanke hinter dieser Schau auch irgendwie erhellend?
Stefan Koldehoff: Das klingt ja mit diesem etwas reißerischen Titel tatsächlich mal erst so, als wolle man mit einer Blockbuster-Show die Leute ins Museum bekommen. So ist es aber nicht. Ich glaube, man muss diese Ausstellung im Museum Folkwang im Zusammenhang sehen mit drei anderen Ausstellungen, die alle in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben. Wuppertal hat an den Sturm erinnert 1912, dann hat Köln die Sonderbundausstellung wieder ins Bewusstsein gerufen, ebenfalls 1912, in Düsseldorf hat man erinnert an die Wiederentdeckung von El Greco und was das für die moderne Kunst im Kaiserreich bedeutete, und jetzt eben diese Entwicklung von, sagen wir, 1904/5 bis 1907 in Frankreich und in den Folgejahren dann auch in Deutschland, als nämlich die Künstler endlich begriffen, dass die Kunst nicht mehr die Aufgabe verfolgen kann, die Wirklichkeit wiederzugeben, was ja beispielsweise die Impressionisten und Postimpressionisten noch getan hatten. Die haben ja brav abgebildet, was zu sehen war, halt so, wie sie es gesehen haben, aber schon noch an der Wirklichkeit orientiert.
Fischer: Technisch anders!
Koldehoff: Während diese Explosion der Farben, die Sie gerade aus dem Video beschrieben haben, dann tatsächlich bei den "Fauves" in Frankreich und später bei den deutschen Expressionisten ja so auf die Besucher einprasselte, und das muss ein ähnlicher Schock gewesen sein wie der, den man heute hat, wenn man überraschend auf dieses Video im Internet stößt.
Fischer: Dann sagen Sie mal, welche Namen man gut kennt und welche vielleicht neuen Entdeckungen da auch noch zu machen sind?
Koldehoff: Man kennt natürlich mit Sicherheit André Derain und man kennt Henri Matisse und man kennt Maurice De Vlaminck und Émile Othon Friesz, das sind die großen Franzosen, die die Farbe befreit haben aus der Pflicht, irgendetwas darstellen zu müssen. Das übrigens – und das war eine ganz wichtige Erkenntnis beim Gang durch diese Ausstellung – sehr unabhängig voneinander. Man möchte ja fast meinen, dass das eine Gruppe war, die sich an einem Ort versammelt hat und dann gemeinsam überlegt hat, jetzt machen wir es mal ganz anders als bisher. Nein, so war das gar nicht. Matisse beispielsweise malt in Collioure in Südfrankreich, während Vlaminck dasselbe gleichzeitig in Paris und im Umfeld von Paris tut und zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt. Später ebenso bei den Expressionisten: Die Brücke sitzt in Dresden, Ernst Ludwig Kirchner, um Namen zu nennen, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, auch Emil Nolde, der kurzzeitig Mitglied dieser Künstlervereinigung war, während sich beispielsweise Wassily Kandinsky, Franz Marc oder Gabriele Münter in München und im Umland, im bayerischen Umland versammeln und ebenfalls anfangen, eine reine Farbmalerei zu entwickeln. Und das ist schon ganz faszinierend zu sehen, dass da nicht kognitiv überlegt wird, jetzt machen wir mal Konzeptkunst, jetzt geht es mal in die andere Richtung, sondern dass man tatsächlich irgendwie zwar voneinander wusste, aber ganz unabhängig das Bedürfnis hatte, das sich da auf der Leinwand dann letztlich Bahn brach.
Fischer: Das ist also ganz offensichtlich eine hoch kulinarische einerseits und hoch historisch interessante Ausstellung andererseits. Sie haben die Orte der, ich sage jetzt mal, künstlerischen Erinnerungskultur in NRW genannt. Warum schafft eigentlich Essen das, jetzt noch mal diese Blockbuster-Themen zu versammeln?
Koldehoff: Die tun das ja schon seit vielen Jahren, mal mit besserer, mal mit schlechterer Qualität, diesmal auf jeden Fall mit sehr guter Qualität, weil da Geld vorhanden ist, weil es da immer noch große Energiekonzerne gibt, die solche Ausstellungen sponsern. Das ist das eine. Zum anderen aber auch, weil das Folkwang-Museum eines der ältesten Häuser in Deutschland ist, ursprünglich ja mal von Karl Ernst Osthaus in Hagen gegründet, erst später nach Essen gewechselt, und weil dieser Karl Ernst Osthaus einfach die Bedeutung dieser neuen Strömungen als einer der ersten erkannt hat. Er war der erste, der öffentlich Vincent van Gogh zum Beispiel gezeigt hat, der jetzt zusammen mit Cézanne, Matisse und mit Paul Gauguin die Präambel dieser Ausstellung bildet. Also man kann einfach auf wunderbare Werke in der eigenen Sammlung zurückgreifen. Das gilt nur in sehr geringem Maße für Edvard Munch, der in dieser ganzen Bewegung so eine Art Bindeglied und eine Art Sonderstellung einnimmt. Da hat man schon sehr viel dazuleihen müssen, unter anderem aus Russland oder aus den Vereinigten Staaten, aber auch das ist wunderbar gelungen, eine großartige Ausstellung.
Koldehoff: Vielen Dank, Stefan Koldehoff, für diese Eindrücke vom "Farbenrausch" im Folkwang-Museum in Essen.
Stefan Koldehoff: Das klingt ja mit diesem etwas reißerischen Titel tatsächlich mal erst so, als wolle man mit einer Blockbuster-Show die Leute ins Museum bekommen. So ist es aber nicht. Ich glaube, man muss diese Ausstellung im Museum Folkwang im Zusammenhang sehen mit drei anderen Ausstellungen, die alle in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben. Wuppertal hat an den Sturm erinnert 1912, dann hat Köln die Sonderbundausstellung wieder ins Bewusstsein gerufen, ebenfalls 1912, in Düsseldorf hat man erinnert an die Wiederentdeckung von El Greco und was das für die moderne Kunst im Kaiserreich bedeutete, und jetzt eben diese Entwicklung von, sagen wir, 1904/5 bis 1907 in Frankreich und in den Folgejahren dann auch in Deutschland, als nämlich die Künstler endlich begriffen, dass die Kunst nicht mehr die Aufgabe verfolgen kann, die Wirklichkeit wiederzugeben, was ja beispielsweise die Impressionisten und Postimpressionisten noch getan hatten. Die haben ja brav abgebildet, was zu sehen war, halt so, wie sie es gesehen haben, aber schon noch an der Wirklichkeit orientiert.
Fischer: Technisch anders!
Koldehoff: Während diese Explosion der Farben, die Sie gerade aus dem Video beschrieben haben, dann tatsächlich bei den "Fauves" in Frankreich und später bei den deutschen Expressionisten ja so auf die Besucher einprasselte, und das muss ein ähnlicher Schock gewesen sein wie der, den man heute hat, wenn man überraschend auf dieses Video im Internet stößt.
Fischer: Dann sagen Sie mal, welche Namen man gut kennt und welche vielleicht neuen Entdeckungen da auch noch zu machen sind?
Koldehoff: Man kennt natürlich mit Sicherheit André Derain und man kennt Henri Matisse und man kennt Maurice De Vlaminck und Émile Othon Friesz, das sind die großen Franzosen, die die Farbe befreit haben aus der Pflicht, irgendetwas darstellen zu müssen. Das übrigens – und das war eine ganz wichtige Erkenntnis beim Gang durch diese Ausstellung – sehr unabhängig voneinander. Man möchte ja fast meinen, dass das eine Gruppe war, die sich an einem Ort versammelt hat und dann gemeinsam überlegt hat, jetzt machen wir es mal ganz anders als bisher. Nein, so war das gar nicht. Matisse beispielsweise malt in Collioure in Südfrankreich, während Vlaminck dasselbe gleichzeitig in Paris und im Umfeld von Paris tut und zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt. Später ebenso bei den Expressionisten: Die Brücke sitzt in Dresden, Ernst Ludwig Kirchner, um Namen zu nennen, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, auch Emil Nolde, der kurzzeitig Mitglied dieser Künstlervereinigung war, während sich beispielsweise Wassily Kandinsky, Franz Marc oder Gabriele Münter in München und im Umland, im bayerischen Umland versammeln und ebenfalls anfangen, eine reine Farbmalerei zu entwickeln. Und das ist schon ganz faszinierend zu sehen, dass da nicht kognitiv überlegt wird, jetzt machen wir mal Konzeptkunst, jetzt geht es mal in die andere Richtung, sondern dass man tatsächlich irgendwie zwar voneinander wusste, aber ganz unabhängig das Bedürfnis hatte, das sich da auf der Leinwand dann letztlich Bahn brach.
Fischer: Das ist also ganz offensichtlich eine hoch kulinarische einerseits und hoch historisch interessante Ausstellung andererseits. Sie haben die Orte der, ich sage jetzt mal, künstlerischen Erinnerungskultur in NRW genannt. Warum schafft eigentlich Essen das, jetzt noch mal diese Blockbuster-Themen zu versammeln?
Koldehoff: Die tun das ja schon seit vielen Jahren, mal mit besserer, mal mit schlechterer Qualität, diesmal auf jeden Fall mit sehr guter Qualität, weil da Geld vorhanden ist, weil es da immer noch große Energiekonzerne gibt, die solche Ausstellungen sponsern. Das ist das eine. Zum anderen aber auch, weil das Folkwang-Museum eines der ältesten Häuser in Deutschland ist, ursprünglich ja mal von Karl Ernst Osthaus in Hagen gegründet, erst später nach Essen gewechselt, und weil dieser Karl Ernst Osthaus einfach die Bedeutung dieser neuen Strömungen als einer der ersten erkannt hat. Er war der erste, der öffentlich Vincent van Gogh zum Beispiel gezeigt hat, der jetzt zusammen mit Cézanne, Matisse und mit Paul Gauguin die Präambel dieser Ausstellung bildet. Also man kann einfach auf wunderbare Werke in der eigenen Sammlung zurückgreifen. Das gilt nur in sehr geringem Maße für Edvard Munch, der in dieser ganzen Bewegung so eine Art Bindeglied und eine Art Sonderstellung einnimmt. Da hat man schon sehr viel dazuleihen müssen, unter anderem aus Russland oder aus den Vereinigten Staaten, aber auch das ist wunderbar gelungen, eine großartige Ausstellung.
Koldehoff: Vielen Dank, Stefan Koldehoff, für diese Eindrücke vom "Farbenrausch" im Folkwang-Museum in Essen.