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Vater der Weimarer Verfassung

Die starke Stellung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung ist vor allem auf Hugo Preuß zurückzuführen, der am Verfassungsentwurf mitarbeitete. Der Jude Preuß erfuhr zeitlebens nicht, wie die Nationalsozialisten diese uneingeschränkte Macht des Präsidenten später für ihre Zwecke nutzten.

Von Manuel Erbenich | 28.10.2010
    "Er sagte mir: "Ja, die demokratische Verfassung ist da, aber wo sind die Demokraten, sie auszufüllen und auszuüben?" Alle Jahrhunderte Vergangenheit war Deutschland von Monarchien regiert und jetzt soll der einzelne Bürger selbst verantwortlich sein, für sein eigenes und fremdes Schicksal."

    So erinnerte sich der Physiker und Zentrumspolitiker Friedrich Dessauer an eine Begegnung mit Hugo Preuß. Der Staatsrechtslehrer und damalige Reichsinnenminister Preuß war für die Ausarbeitung des Entwurfes der Weimarer Verfassung verantwortlich gewesen. Als die Nationalversammlung in Weimar im Juli 1919 mit großer Mehrheit die neue Reichsverfassung angenommen hatte, war damit die wichtigste Voraussetzung für die Neugestaltung Deutschlands auf Grundlage der nationalen und demokratischen Staatsordnung der Republik geschaffen. Im Februar 1919 hielt Preuß vor der Nationalversammlung seine Rede zur Begründung einer Verfassung für das Deutsche Reich.

    "Noch niemals in der deutschen Geschichte hatte ein Parlament tatsächlich und rechtlich so unbeschränkte Macht, niemals also auch so ungeheure Verantwortung. Das deutsche Volk zur sich selbst bestimmenden Nation zu bilden, zum ersten Mal in der deutschen Geschichte den Grundsatz zu verwirklichen: Die Staatsgewalt liegt beim Volke – das ist der Leitgedanke der freistaatlichen deutschen Verfassung von Weimar."

    Mit der Unterzeichnung Friedrich Eberts trat die Weimarer Verfassung Anfang August in Kraft. Der staatsrechtliche Niederschlag der Novemberrevolution von 1918 war vollzogen - das Ende des Deutschen Kaiserreiches besiegelt. Hugo Preuß, geboren am 28. Oktober 1860, wuchs als Einzelkind wohlhabender jüdischer Eltern im Westen Berlins auf. 1879 begann er sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin und Heidelberg. Nach seiner Promotion in Göttingen habilitierte er sich 1889 an der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in Öffentlichem Recht. Trotz herausragender Leistung erhielt er als demokratisch-linksliberaler Jude vorerst keinen Lehrstuhl. Seine erste Professur bekam er 1906 an der neu gegründeten Berliner Handelshochschule, deren Rektor er 1918 wurde. In seiner damaligen Antrittsrede hieß es:

    "Was eine Nation ausmacht, das ist nicht das Sprechen der gleichen Sprache noch die Zugehörigkeit zu ein und derselben ethnographischen Gruppe; wo aus historisch-politischen Voraussetzungen sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickelt hat, kann es auch nationale Reibungen so kräftig überwiegen, dass es nationale Gegensätze zu einer internationalen und dennoch staatlichen Gemeinschaft zusammenschließt. Denn 'ubi societas, ibi jus'; wo eine Gemeinschaft ist, da ist Recht."

    Hugo Preuß war ein großer Verehrer des preußischen Reformers Freiherr vom Stein, seine Anschauungen hatten bei Otto von Gierke und Rudolf von Gneist ihre Anknüpfungspunkte. Während des 1. Weltkrieges setzte er sich für die Umgestaltung des Obrigkeitsstaates zum Volksstaat ein. In der Selbstverwaltung sah er das Rückgrat des Staates. Die Idee der Konstruktion eines liberalen und demokratischen Rechtstaates zieht sich durch seine gesamte Arbeit und findet ihren Höhepunkt in seinem Opus magnum, der Weimarer Verfassung. Im Vorfeld der Arbeiten am Entwurf waren einige seiner Ideen zwar als unrealisierbar zurückgewiesen worden. Doch am problematischsten Teil war er maßgeblich beteiligt: Er unterstützte vehement die starke Stellung des Reichspräsidenten, der den Reichstag auflösen und somit über nahezu uneingeschränkte Macht verfügen konnte. Dadurch sollte die Gefahr des Parlamentsabsolutismus gebannt und die Regierungsfähigkeit gesichert werden – ein Artikel der Weimarer Verfassung, der traurige Berühmtheit erlangen sollte. Friedrich Dessauer:

    "Wenn wir nicht Zeit finden, sagte Preuß, Jahrzehnte uns einzufinden, denn Demokratie lernt sich nur in der Demokratie, dann sehe ich Gefahr. Und er hatte recht. Sie wissen ja, was dann geschah: Ein starker Aufstieg, aber die innere Krankheit, die inneren Wirren gewannen dann die Oberhand. Horden zogen durch das Land und riefen: Deutschland erwache! Aber Deutschland schlief nicht, nein es war fiebrig – lebendig. Es hätte viel besser heißen sollen: Deutschland finde deine Ruhe wieder."

    Preuß war nach Beendigung der Verfassungsarbeiten Gründungsmitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei und Abgeordneter des preußischen Landtages. Bis zu seinem Tod im Oktober 1925 widmete er sich nahezu ausschließlich der Implementierung und Festigung der deutschen republikanischen Reichsverfassung.