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Vectoring-Dilemma
Neuer alter Übertragungsstandard bietet einen Ausweg

Seit Monaten schon streitet sich die Breitbandbranche um das Thema Vectoring. Es geht um die letzte Meile beim Internetanschluss und die Frage, mit welcher Technologie die überbrückt werden kann. Seit gut 14 Tagen liegt jetzt der Regulierungsentscheid zum Thema VDSL Vectoring auf dem Tisch.

Von Jan Rähm | 23.04.2016
    Großaufnahme von weißen Internetkabeln
    Großaufnahme von weißen Internetkabeln (picture alliance / dpa)
    Manfred Kloiber: Herr Rähm, wo genau liegt eigentlich das Problem beim Vectoring?
    Jan Rähm: Vectoring ist ja eine Technik, die das sogenannte Übersprechen auslöschen soll, also Störungen die von einer Leitung auf die andere übertragen werden. Dafür aber muss der, der den Verteiler betreibt, das gesamte Kupferkabelbündel unter seiner Kontrolle haben daher: er schmeißt die Mitbewerber physisch aus der Leitung raus, die können sich danach nur noch virtuell einkaufen. Das Problem ist nun: Teile von Investitionen dieser Mitbewerber, die werden damit unnütz, weil sie einfach nicht mehr genutzt werden können. Ja, und es ist also nur verständlich, dass das nun heftig kritisiert wird. Aber warten wir es ab. Der Vorschlag liegt nun in Brüssel der EU-Kommision zur Entscheidung vor. In gewisser Weise spannend ist, dass in den vergangenen Monaten immer wieder neuer Sprengstoff in Form von Vectoring-Alternativen in die Diskussion kam, von denen vorher keiner geredet hat. Beispielsweise eine Technik, die unter der Bezeichnung VDSL2 Annex Q läuft und nicht das ganze Kabelbündel verschlingt. Oder jetzt ganz frisch wurde in Berlin auf der Tagung an einen alten Vernetzungsvertreter namens G.hn erinnert, der sich jetzt anschickt, auch die Hausanschlussleitung zu übernehmen.
    Kloiber: Schon wieder also ein neuer Standard für den Breitband-Anschluss und die letzte Meile. Was es mit G.hn auf sich hat, das hören sie jetzt.
    Seit ungefähr sieben Jahren schlummert ein Standard vor sich hin und wartet auf seine Erweckung. G.hn, eine Technologie, die ursprünglich für die Heimvernetzung gedacht war, rückt mit den Problemen um die Vectoring-Technologie wieder ins Bewusstsein von Netzanbietern und Netzausrüstern. Denn G.hn kann sehr flexibel eingesetzt werden. Andreas Bluschke von der Teleconnect GmbH beschreibt die Vielseitigkeit des Standards:
    "G.hn ist ein von der ITU genormtes Übertragungsverfahren, eine Technologie, ursprünglich entstanden für die Heimvernetzung als Alternative zur Powerline-Kommunikation, mit dem Unterschied, dass dieses Übertragungsverfahren nicht nur für die eigentliche Stromversorgungsleitung geeignet ist, sondern auch für die verdrillte Kupferleitung, also für das normale Telefonkabel beziehungsweise auch für die Koaxialkabel. Und die Besonderheit, die sozusagen durch uns realisiert wurde, ist, dass wir diese Technologie auch für die optische Übertragung nutzen. Das heißt für die Polymer-optische Faser, für die Glasfaser und auch für die optische drahtlose Kommunikation."
    Das sich G.hn auf fast jeder Leitung wohlfühlt, das ist einer Trennung der einzelnen Schaltkreise zu verdanken. So lässt sich das Signal auf das gerade genutzte Trägermedium anpassen.
    "Ein Schaltkreis ist sozusagen für die digitale Signalverarbeitung und ein zweiter ist das sogenannte Frontend. Was im Prinzip die Anpassung an das Übertragungsmedium übernimmt. Und in diesem digitalen Chip, dem eigentlichen DSP, kann man per Software den Trägerabstand verändern. Dadurch kann man, haben schlaue Leute rausgefunden, dass man sich mit unterschiedlichen Trägerabständen, also beispielsweise die 24,4 kHz für die Powerline, gut sich anpassen kann. Das entspricht auch dem, was das normale Powerline-System macht. Mit der doppelten, also rund 48,8 kHz kann man sich gut an das Telefonkabel anpassen und mit 195 kHz sehr gut an das Koaxialkabel."
    Besonders interessant wird G.hn für Netzbetreiber. Denn die Weiterentwicklung von G.hn, schickt sich an, für Anschlussleitungen bis zu 200 Meter Entfernung, umstrittene Technologien wie Vectoring, Vectoring Plus oder G.Fast zu ersetzen. Denn im Gegensatz zu diesen Technologien, die immer voraussetzen, dass ein Betreiber den gesamten Kupferkabelstrang unter seiner Kontrolle hat, dreht sich bei G.hn alles immer nur um eine einzelne Anschlussleitung, erklärt Andreas Bluschke:
    "Wenn sie sich vorstellen, in einem Mehrfamilienhaus ist ja das Problem aktuell, dass die Bewohner auf unterschiedliche Dienstanbieter zurückgreifen können, und wenn sich in dem Haus, in den Steigleitungen jetzt, in dem Kupferleitungsbündel, sich jetzt verschiedene Dienste treffen, also zum Beispiel VDSL von einem Netzbetreiber und ein G.Fast von einem anderen Netzbetreiber, dann müssen sie dafür sorgen, dass die Frequenzen sich nicht überlappen und da haben sie natürlich, wenn sie eine Technologie haben, die das ermöglicht effektiver zu gestalten, können sie dann zulassen, dass mehrere Dienstanbieter sich um Kunden in einem Haus bedienen können und ein Haus muss nicht von einem Netzbetreiber sozusagen, wie es ja bei Vectoring ist, bedient werden."
    Doch G.hn ist bislang kaum verbreitet. Zumindest nicht in Europa und Nordamerika. Anders in Asien. Dort fängt G.hn langsam an, sich durchzusetzen. Das dürfte auch daran liegen, dass der Standard aktuell Datenübertragungsraten bis zu 1,5 Gigabit pro Sekunde ermöglicht - mehr als alle anderen bezahlbaren Heimvernetzungstechniken. Und künftig sind sogar noch höhere Datenraten denkbar.