Ganz Venedig bietet Tintoretto eine Bühne. In Dutzenden Kirchen, Palästen und Museen sind seine Gemälde zu sehen, die die Renaissancemalerei eines Giorgiones oder Tizians in einen manierierten, dramatischen Stil überführte. Die Republik Venedig verlor im 16. Jahrhundert zwar im Mittelmeerraum an Macht und Einfluss, dennoch hielt die kulturelle Blüte auch durch Impulse der Gegenreformation an, die neue Motive und Interpretationen forderte. Und Tintoretto spielte bald eine Hauptrolle in diesem Umfeld, wobei er nicht nur religiöse Arbeiten für Kirchen und Laienbruderschaften übernahm, sondern auch den Stadtadel mit Porträtdarstellungen bediente oder Historienbilder für öffentliche Gebäude wie den Palazzo Ducale schuf.
"Das war ein Mann, der bedeutende Aufträge in Venedig gewollt, gesucht, ja sogar verlangt hatte. Manchmal hat er sich dabei nicht gerade manierlich gegenüber Mitbewerbern benommen. Und war deshalb nicht sonderlich beliebt."
Gabriella Belli, die Leiterin der städtischen Museen der Lagunenstadt erzählt, dass Tintoretto teilweise mit Dumpingpreisen öffentliche Aufträge an sich riss. Oder durch eine vereinfachte Maltechnik einfach schneller war als andere – und dadurch innovativer.
Die Farben von Tizian
Der Maler hatte bis auf einen Aufenthalt in Mantua seine Heimatstadt nie verlassen. Dennoch kannte er über Druckgrafiken die Werke der großen mittelitalienischen Künstler wie Raffael oder Michelangelo. "Die Formen von Michelangelo, die Farben von Tizian" war das Motto seiner Werkstatt.
Das kann man gut in dem drei Meter hohen Bild mit der Darstellung einer wundersamen Heilung von Kranken durch den Heiligen Augustinus nachvollziehen. Im Vordergrund liegen und stehen die Michelangelo nachempfundenen Körper der Geheilten, während der Heilige im Hintergrund segnend im lichtvollen weißen Gewand auf einer lilagrauen Wolke schwebt. Das Gemälde ist in der aktuellen Ausstellung im Dogenpalast zu sehen, mit der die Stadt jetzt den 500. Geburtstag des Malers feiert.
"Diese Ausstellung hat sich das Ziel gesetzt, die Originalwerke von Tintoretto herauszustellen. Es geht also auch darum, Arbeiten auszuschließen, die vielleicht von ihm nur vorskizziert wurden oder reine Werkstattarbeiten waren. Sie setzt einen Ausgangspunkt, hinter dem man nicht mehr zurückfallen kann, der ein Grundlage für zukünftige Studien sein soll."
Gewagte Perspektiven
Die Ausstellung ist in Themenräume gegliedert. Religiöse Motive stehen neben heidnischen Klassikdarstellungen, Privataufträge neben Arbeiten, die den venezianischen Staat feiern. Der Parcours versucht trotz einer überraschenden Vielfalt der Stilmittel, so etwas wie eine Handschrift des Malers herauszuarbeiten. Die drückt sich zum Beispiel in dem schon ganz barock anmutenden Bild "Susanna und die Alten" aus. Prachtvolle Körperlichkeit verbindet sich mit landschaftlichen Akzenten und gewagten Perspektiven. Und drängt den Zuschauer selbst in die Rolle des Voyeurs, die eigentlich den beiden Alten gilt.
Ausstrahlung bis heute
In einer zweiten, weniger klar strukturierten Ausstellung in der Galleria dell’Accademia geht es um die Jugendjahre Tintorettos. Sie spiegelt mit Arbeiten seiner Zeitgenossen, das Umfeld wider, aus dem sich der Maler löste. Bald trat er in Konkurrenz zum Altmeister Tizian und später zum jungen, intellektuell verspielten Paolo Veronese.
"Seine Kraft zeigt sich in der Ausstrahlung auf große europäische Maler, auf Velásquez, El Greco, Rubens und später Delacroix oder Manet. Durch alle Jahrhunderte hindurch. Man denke an Anselm Kiefer und sogar Jeff Koons, der kürzlich ein Bild von Tintoretto aufgegriffen hat."
Gewiss, ganz Venedig ist eine einzige Tintoretto-Schau, aber mit den beiden Ausstellungen zum Jubiläumsjahr, lernt man diesen unruhigen oft widersprüchlichen Geist des Manierismus ein wenig besser zu verstehen – und zu schätzen.