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Venezianische Klangeffekte und virtuose Stimmführung

Bei der vorliegenden "Michaelisvesper" handelt es sich um eine Rekonstruktion einer Vesper zum Michaelistag mit Werken von Michael Praetorius. Dies ist eine Aufnahme der Rondeau Produktion im Vertrieb von note1 mit dem Knabenchor Hannover, Hille Perl & The Sirius Viols, dem Bremer Lautten Chor und dem Johann Rosenmüller Ensemble unter der Gesamtleitung von Jörg Breiding.

Von Christiane Lehnigk |
  • Musik: Michaelisvesper
    Komm heiliger Geist
    Choralkonzert
    Kantionalsatz

    Es ist eine Art deutsches und protestantisches Gegenstück zu Claudio Monteverdis venezianischer Marienvesper, die Rekonstruktion der Michaelisvesper mit Werken von Michael Praetorius. Vor gut 400 Jahren stellte der Michaelistag am 29. September noch den wichtigsten Festtag zwischen Trinitatis und dem ersten Adventssonntag dar, nicht nur in der katholischen, sondern auch in der lutherischen, der anglikanischen und der orthodoxen Kirche wurde die Liturgie dieses Festtages aufwendig gestaltet. Und der Gemeinde damals war noch die Geschichte von Michael als dem Teufelsbezwinger und Schutzherr der Seelen geläufig, wie sie im zwölften Kapitel der Johannes-Apokalypse beschrieben wird.

    Als der Erzengel Michael mit dem Drachen kämpfte, / hörte man eine Stimme, die da sprach: Heil unserem Gott, Halleluja!

  • Musik: Michaelisvesper
    Antiphon ad Psalmos
    Dum praeliaretur Michael Archangelus
    Psalmi
    Das ist mir lieb
    Motette Angst der Hellen und Friede der Seelen (1623)

    Michael Praetorius ist allgemein bekannt für seine Kirchenlieder und Choralsätze, das bekannteste Lied darunter ist wohl "Es ist ein Ros' entsprungen". Doch dass Praetorius unter anderem einen ganz wichtigen Part in der Entwicklung der deutschen Kirchenmusik hatte und es durch seine Experimentierfreudigkeit und wissenschaftliche Aufarbeitung schaffte, die Verbindung herzustellen zwischen italienischer, venezianischer Mehrstimmigkeit und deutscher Choralmotette und Kantionalsatz auf der anderen Seite, das ist kaum mehr präsent. Das Nebeneinander von Einfachheit und großer Farbigkeit ergibt ein faszinierendes Gebilde, das jetzt mit diesem Projekt beispiellos präsentiert wird.

    Michael Praetorius, dessen Vater noch bei Luther Theologie studiert hatte, wurde in der protestantischen Kantorei-Tradition ausgebildet und wirkte überwiegend als Kapellmeister und Organist am Hof von Wolfenbüttel. Er gehört zu den produktivsten, vielseitigsten und innovativsten Musikern des 16. Jahrhunderts und hinterließ ein überaus umfangreiches kompositorisches Oeuvre, das jetzt in der modernen Gesamtausgabe ganze 20 Bände füllt.

    Hier sind Werke in allen damals vorherrschenden Stilen, Gattungen und Besetzungsarten aufgeführt, die auch die intensive Auseinandersetzung mit den wichtigsten europäischen Musiktraditionen der Zeit zwischen Renaissance und Barock vor dem 30-jährigen Krieg aufzeigen. Seine Bedeutung gründet sich jedoch nicht nur auf seine außerordentlich fruchtbare Kompositions- und Publikationstätigkeit sondern auch auf seine Rolle als Musiktheoretiker und Pädagoge, als gefragter Organisator deutscher Hofkapellen und als weitgereister kultureller Botschafter in Diensten mächtiger Fürstinnen und Fürsten.

    Das Praetorius Collegium Wolfenbüttel, das seit Jahrzehnten eine Kammermusikreihe in Wolfenbüttel veranstaltet, hat nun mit dem renommierten Knabenchor Hannover, der seit 2002 in der Nachfolge von Heinz Hennig von Jörg Breiding geleitet wird, ein groß angelegtes Projekt auf die Beine gestellt, das Praetorius musikalischer Stellung in seiner Zeit gerecht werden soll. Solche monumentalen Unternehmungen sind heute kaum noch finanziell zu realisieren, doch wurde es sozusagen zu einem niedersächsischen Kulturprojekt gemacht, bei dem auch der Rundfunk, private Sponsoren und Wissenschaftler unterstützen. Die Erstaufführung konnte dann am 29. September 2008 in der Kirche stattfinden, in der Praetorius auch begraben liegt: Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel. Die SACD mit gut 80 Minuten Länge wurde dann in St. Osdag in Mandelsloh aufgenommen.

    Die Rekonstruktion der Vesper folgt der liturgischen Praxis, wie sie in norddeutschen Gebieten in der Zeit unmittelbar nach der Reformation bestand. Es sind darin aber immer auch noch traditionelle Formen und Gesänge des katholischen Ritus enthalten. Die für das Territorium des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel und damit auch für Praetorius selbst gültige Kirchenordnung von Herzog Julius aus dem Jahre 1569 gibt dabei das liturgische Grundgerüst dieser Rekonstruktion vor, in der venezianische Klangeffekte und virtuose Stimmführung sowie das strenge lutherische Kirchenmusikverständnis nebeneinander stehen und miteinander verschmelzen. Dies macht den einzigartigen Reiz dieser Musik aus, die von einstimmigen Chorälen über Geistliche Konzerte bis hin zu einem 14-stimmigen Magnificat einen Einblick in die Vielfältigkeit der damaligen Sakralmusik gibt.

    Beteiligt sind dabei rund 60 Choristen und Vokalsolisten sowie 25 Instrumentalisten, und da man sich, auch mit entsprechendem Instrumentarium, an der Historischen Aufführungspraxis orientierte, sind bei den Sängern nur Knaben und Männer vertreten, Frauen spielen hier nur in der Continuo-Gruppe und bei den Sirius Viols. Die unterschiedliche Aufstellung in der Kirche erweitert noch den vielfältigen räumlichen Klangeindruck.

  • Musik Michaelisvesper
    Credo. Wir gläuben all an einen Gott
    Choral. Kantionalsatz. Choral

    Das opulente Projekt der Michaelisvesper mit Musik von Michael Praetorius ist nicht zuletzt deshalb so überzeugend, weil hier hochkarätige Solisten, Chöre und Instrumentalgruppen auf höchstem Niveau zusammengearbeitet haben. Allein das alles so homogen unter einen Hut zu bringen, ist schon eine Leistung von Jörg Breiding. Es ist eine mehr als überzeugende, klanglich sehr ansprechende Einspielung, die eine weit entfernte Vergangenheit in die Gegenwart zu holen vermag. Doch da die CD bei keinem der Major Labels herauskam, wurde das Erscheinen nicht hysterisch angepriesen, sondern kam eher beiläufig auf dem Markt.

    Deshalb möchte ich diese konkurrenzlose Einspielung unbedingt Jedem empfehlen, der sich in die spirituelle und musikalische Welt des beginnenden 17. Jahrhunderts für fast eineinhalb Stunden verführen lassen möchte.

    Hier zum Abschluss noch ein kleiner Ausschnitt aus dem 6- bis 14-stimmigen Magnificat, das den liturgischen und musikalischen Höhepunkt dieser Vesper bildet, "Meine Seel erhebt den Herrn".

  • Musik: Michaelisvesper
    Magnificat. Meine Seel erhebt den Herrn


    Titel: Michaelisvesper - mit Werken von Michael Praetorius
    Ausführende: Hille Perl & The Sirius Viols
    Bremer Lautten Chor
    Johann Rosenmüller Ensemble
    Knabenchor Hannover
    Leitung: Jörg Breiding
    Label: Rondeau Produktion SACD: LC-06690 ROP7007