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Venezuela
Den Unis laufen die Studierenden weg

Veraltete Bibliotheken, kein Geld für die Forschung, zeitweise kein Internet: Die Staatskrise in Venezuela hat auch Auswirkungen auf den Hochschulbetrieb. Nicht nur, dass Dozenten und Studierende scharenweise das Land verlassen - einige stehen mittlerweile vor der Frage: Esse ich oder studiere ich?

Von Burkhard Birke | 22.06.2018
    Professoren der Universität protestieren in Caracas.
    Die Staatskrise in Venezuela droht eine ganze Generation zu traumatisieren (imago )
    "Ich studiere BWL. Mehrere Dozenten des Fachbereichs haben Venezuela verlassen. Das macht es schwer für uns Studenten hier. Das macht es fast unmöglich hier weiter zu machen. Die Krise führt dazu, dass fast alle Lehrkräfte und Studenten das Land verlassen."
    Cindy ist im fünften Semester. Auch sie möchte weg, aber ihr Studium nach Möglichkeit vorher beenden, um bessere Chancen im Ausland zu haben.
    Cindy gehört zu den Privilegierten in Venezuela: Sie studiert an der Universidad Metropolitana in Caracas, einer kleinen Privatuni mit insgesamt 6.000 Studenten.
    Es mangelt an fast allem
    "Viele Universitäten in Venezuela verzeichnen Exmatrikulationen von 25, 30, ja bis zu 40 Prozent ihrer Studenten. Auch an der Universidad Metropolitana haben wir Studenten verloren, aber per Saldo nicht ganz so viele",
    sagt Rektor Benjamin Scharifka.
    "Das liegt daran, dass viele Studenten von anderen Universitäten zu uns kommen, weil bei uns noch Vorlesungen stattfinden."
    Und das obwohl von einst 180 Vollzeitdozenten und Professoren nur noch 100 aktiv sind. Vor allem an den staatlichen Universitäten fällt der Vorlesungsbetrieb immer wieder aus und/oder wird lahmgelegt. Angesichts der akuten Versorgungskrise und 14.000 Prozent Inflation zurzeit mangelt es förmlich an allem.
    "Seit fast zehn Jahren haben wir kein Geld mehr, um unsere Bibliotheken auf dem neuesten Stand zu halten oder unsere Labore für Forschung auszustatten. Unsere Mittel sind dermaßen begrenzt, dass wir einem Top-Dozenten mit Doktortitel, 20 Jahre Berufserfahrung, Publikationen in den renommiertesten Zeitschriften und Forschungsaktivitäten gerade einmal zehn Dollar im Monat zahlen können. Von zehn Dollar im Monat kann man weder in Venezuela noch sonst wo überleben."
    "Das Studium ist zu teuer geworden"
    Monatlich werden die Gehälter und Studiengebühren angepasst, erläutert Rektor Benjamin Scharifka.
    "Das Studium ist zu teuer geworden, klagt indes Cindy, die Gebühren wurden um glaube ich 3.000 Prozent angehoben. Letzten Monat habe ich 30 Millionen Bolivar für sechs Fächer gezahlt."
    Umgerechnet nur 20 bis 30 Dollar je nach Schwarzmarktkurs, aber die Summe entspricht dem 12 fachen Mindestlohn eines Arbeiters. Trotz stetig angepasster Gebühren kann die Universidad Metropolitana momentan eigentlich nur Dank großzügiger Spenden unter anderem von Alumni aus dem Ausland überleben. Ein großes Privileg, denn die staatlichen Einrichtungen, die etwa die Hälfte der gut 80 Hochschulen Venezuelas ausmachen, hängen am Tropf des Staates und der ist pleite. Da nutzt es den Studierenden wenig, dass das Studium an staatlichen Einrichtungen kostenlos ist.
    In Venezuela lagern zwar die größten Erdölvorkommen der Welt, aber Misswirtschaft und Korruption haben das Land in eine tiefe Krise gestürzt, die auch die Studenten jeden Tag spüren.
    "Die Studenten können sich das Mensaessen nicht mehr jeden Tag leisten. Du musst Dein Essen von zu Hause mitbringen."
    Ana Victoria zeigt auf eine Plastikschüssel, die sie später in der eigens von der Uni dafür aufgestellten Mikrowelle aufwärmen wird. Ihr Kommilitone Hugo arbeitet Teilzeit und studiert parallel Maschinenbau – noch:
    "Ich überlege ernsthaft, ob ich mein Studium unterbreche und notgedrungen zum Arbeiten ins Ausland gehe, weil mein Geld nicht reicht. Bald kommt der Punkt, wo ich entscheiden muss: Esse ich oder studiere ich?"
    Die Krise droht Venezuelas junge Generation zu traumatisieren
    Hugo ist bei Weitem kein Einzelfall. Ausreichend zu essen ist die größte, aber längst nicht einzige Herausforderung für die Studierenden. Viele haben Probleme zur Uni zu kommen, da mangels Ersatzteilen Busse und Autos nicht betriebsfähig sind und:
    "Du musst Bücher kaufen, aber das ist unmöglich. Für viele Arbeiten brauchst du Internet, aber das funktioniert nicht immer."
    Klagt Isabel ihr Leid.
    "Die Studierenden kommen deprimiert hierher, besorgt um ihre Zukunft, um das 'Morgen'. An manchen Tagen gehen wir in einem Land schlafen und wachen in einem anderen auf. Das wirkt sich auch auf das Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten aus."
    Victor Tortorisi lehrt Psychologie. Lehrt er nur? Dieser Tage ist er wohl mehr Psychologe und Therapeut als Dozent. Die Erfahrung dieser Krise droht Venezuelas junge Generation zu traumatisieren. Das verheißt nichts Gutes: Denn die Jugend ist doch bekanntlich die Zukunft eines Landes.