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Ver.di wirft Postbranche sittenwidrige Beschäftigung vor

Ver.di-Vorstand Rolf Büttner beklagt Lohndumping in der Postbranche. Das ganze Geschäftsmodell der Branche beruhe auf prekären Beschäftigungsverhältnissen. Büttner bezeichnete die Entlohnung der Beschäftigten als sittenwidrig, wenn diese bei einem Vollzeitjob auf maximal 900 Euro im Monat kämen und zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen seien.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Wie soll in Deutschland künftig der Niedriglohnsektor aussehen? Darüber berät der Koalitionsausschuss heute Abend in Berlin. Bundesarbeitsminister Müntefering will seine Vorstellungen vor- und zur Diskussion stellen. Die Union ist sich vor allem in einem einig, keine gesetzlich verordneten Mindestlöhne haben zu wollen. Was bestimmte Branchen betrifft, da gehen die Meinungen auch noch auseinander. Das Thema ist nicht neu, aber nun auf der Regierungsagenda, denn Franz Müntefering will nun seine Arbeitsmarktreform angehen.

    Bundesarbeitsminister Müntefering hat die Post ausdrücklich genannt - wir haben es gehört - und von sittenwidrig niedrigen Löhnen gesprochen. Wie sieht es denn konkret aus bei der Post? Das wollte ich von Rolf Büttner kurz vor dieser Sendung wissen. Er ist Mitglied im Vorstand von ver.di und im Aufsichtsrat der Deutschen Post.

    Rolf Büttner: Wir haben ja, wenn ich daran erinnern darf, das Postgesetz verabschiedet. Und seinerzeit wurde gesagt, der Wettbewerb soll sozial flankiert werden. Lizenzen sollten nur an Postdienstleister vergeben werden, wenn soziale Belange bei der Regulierung berücksichtigt werden. Man wollte damit, so der Bundestag 1996, Sozialdumping verhindern. Und man wollte verhindern, dass sich Wettbewerber gegenüber der Post AG unberechtigte Vorteile durch Sozialdumping verschaffen.

    Zehn Jahre nach dem Postgesetz sieht die Bilanz ernüchternd aus. Es gibt nicht nur schwarze Schafe in der Branche, sondern wir stellen fest, das haben wir in einem Gutachten herausgearbeitet , dass das ganze Geschäftsmodell der Branche auf prekären Beschäftigungsverhältnissen beruht. Es findet ein Verdrängungswettbewerb auf der Grundlage von Lohn- und Sozialdumping statt, und ich sage mal so, mit gesicherten Einkommen ist in der Branche nichts zu regeln. Die Existenzsicherung ist nur möglich mit staatlichen Zusatzleistungen. Wir haben zu verzeichnen, dass hier teilweise im Extremfall nur vier Euro Grundlohn für einen Zusteller am Tag bezahlt wird. Dann erhält er natürlich noch Geld pro Stückzahl von zugestellten Sendungen, kommt aber auf 700 bis maximal 900 Euro im Monat bei einem Vollzeitjob. Dann kann man nur leben, wenn man nebenbei noch Arbeitslosengeld II bekommt. Das ist alles sittenwidrig, und das muss geändert werden. Die Studie belegt, dass inzwischen bei jedem zehnte Zusteller bei privaten Briefdienstleistern in Westdeutschland und bei fast jedem siebte Zusteller im Osten das Einkommen so niedrig ist, dass er nur über staatliche Zusatzleistungen seine Existenz sichern kann.

    Durak: Wenn die Lage so schlimm ist, Herr Büttner, was kann getan werden? Sind Sie für Mindestlöhne, wie sie heute von der Großen Koalition in Berlin besprochen werden sollen heute Abend in der Koalitionsrunde , wie sie Franz Müntefering vorgeschlagen hat? Mindestlöhne, wenn ja welche?

    Büttner: Ich halte das, was der Herr Bundesminister Müntefering vorschlägt, für beachtlich. Das verdient ausdrücklich mein Lob. Es bleibt natürlich bei der Forderung von ver.di, einen gesetzlichen Mindestlohn zu bezahlen von 7,50 Euro. Ich finde es auch toll, dass der Bundesminister das jetzt aufgreift und jetzt etwas in Gang gesetzt wird, denn ich erinnere mich noch, dass vor der Wahl Mindestlöhne des Teufels gewesen sind. Das war durchgängig überall in der Republik zu lesen. Jetzt kommt etwas in Gang. Und ich sage mal so: Dass es Mindestlöhne in der Postbranche geben soll und Mindeststandards geben soll, das begrüße ich ausdrücklich.

    Durak: Aber, ich höre das Aber!

    Büttner: Man muss jetzt auch mal dem Minister die Chance geben, das zu regeln. Der Minister löst jetzt ein Problem der Hungerlöhne und das geht er jetzt an. Dafür braucht er unsere volle Rückendeckung und die bekommt er auch. Endlich mal ein Minister der handelt. Das ist das eine.

    Durak: Das heißt, Sie lassen sich in Ihre Tarifautonomie hineinregieren?

    Büttner: Nein, überhaupt nicht. Denn unabhängig davon bemühen wir uns natürlich, bei privaten Briefdienstleistern auch Tarifverträge abzuschließen, denn für 80 Prozent der Branche, nämlich bei der Post AG, haben wir einen gültigen Tarifvertrag, und für den Rest werden wir jetzt versuchen, auch mit privaten Postdienstleistern Tarifverträge abzuschließen. Da ist uns heute auch ein großer Erfolg gelungen, nämlich wir haben mit der PIN Group, das ist der zweite große Briefdienstleister, verabredet, dass wir die Aufnahme von Tarifverhandlungen verabredet haben. Noch im ersten Halbjahr 2007 wollen wir das zu einem Abschluss bringen. Und das finde ich beachtlich. Allerdings entbehrt das nicht, dass wir für die Branche eine Lösung brauchen, denn alles sind Haustarifverträge. Wir brauchen aber eine Branchenlösung, denn selbst diese Tarifverträge werden möglicherweise wieder von anderen unterboten, weil sie sich nicht an Tarifverträge halten und nicht daran halten, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze einzubringen.

    Durak: Haben Sie sich denn, Herr Büttner, mit Ihrem Gesprächspartner heute, dieser PIN Group, auch auf Mindestlöhne geeinigt?

    Büttner: Wir haben uns geeinigt, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Da gestatten Sie mir, Frau Durak, das macht man natürlich dann am Ende am Tarifverhandlungstisch. Da gibt es natürlich die Tarifverträge, die bei der Post AG gelten. Das werden für uns Messlatten sein, und über diese Grundrichtung da werden wir am Tarifverhandlungstisch reden.

    Durak: Sie sind ja auch Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Post, Herr Büttner. Sie sprechen lieber mit der Konkurrenz, statt dass Sie von ihr unterboten werden?

    Büttner: Ich trenne da ganz bewusst meine Funktion als Aufsichtsratsmitglied. Ich bin für den ver.di-Vorstand zuständig für die ganze Briefdienstbranche und ich habe durchzusetzen, dass in der Briefdienstbranche kein Lohn- und Sozialdumping funktioniert, auch aus Schutz gegenüber den Arbeitgebern, die Tarifverträge mit uns abschließen wie beispielsweise die PIN Group. Da muss verhindert werden, dass das von tausend weiteren Lizenznehmern wieder mit Hungerlöhnen am Ende unterboten wird. Dan haben auch die Arbeitgeber ein Interesse dran. Das ist mir heute sehr deutlich gesagt worden.

    Durak: Rolf Büttner, ver.di-Vorstand und Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Post. Besten Dank, Herr Büttner, für das Gespräch.

    Büttner: Dankeschön.