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Vera Bloemer: Interim Management. Top-Kräfte auf Zeit

Jedes zweite Unternehmen in Deutschland beschäftigt keine Arbeitnehmer mehr im Alter von über 5o Jahren. Statt auf erfahrene ältere Manager baut man nach einer Marktanalyse des Düsseldorfer Personalberatungsunternehmens Harvey Nash aus Gründen der Innovation und Kostenersparnis vermehrt auf den Führungsnachwuchs. Dabei wird stets vergessen, dass der Firma damit auch ein Großteil an Erfahrungen und Kenntnissen verloren geht. Niemand kennt ein Unternehmen so gut wie jemand, der mit ihm gewachsen ist oder einen Großteil davon mit aufgebaut hat - und niemand kann dieses Wissen weitergeben. Wie es Unternehmen ergehen könnte, die auf die Kompetenz älterer Manager verzichten, sei nach Erkenntnissen von Harvey Nash seit geraumer Zeit in vielen Betrieben zu beob- achten: Entweder sind sie extrem angeschlagen oder völlig vom Markt verschwunden. Der Einbruch der New Economy hängt eben auch mit der mangelhaften Marktkompetenz von jungen Firmengründern zusammen.

Gunnar Sohn |
    Die Ausgrenzung älterer Mitarbeiter ist somit kurzsichtig und gefährdet, wenn sie in größerem Umfang stattfindet, die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft. In Zukunft wird man sich wegen des demographischen Defizits stärker mit der Verknappung des Humankpitals auseinandersetzen müssen. Die Problematik der alternden Bevölkerung muß auch von Unternehmen umfassender in den Blick genommen werden. Die Wirtschaft beschäftigt sich nach Auffassung von Harvey Nash zu wenig mit der Frage, wie man mit einer abnehmenden Bevölkerung leistungsfähig bleibt. Hier müsse vor allem bei den Personalverantwortlichen in den Unternehmen ein Umdenken stattfinden. Angesichts des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung und der Fortschritte bei der Erhaltung von Leistungsfähigkeit und Vitalität sei das Lebensalter immer weniger ein Indiz für die Leistungsfähigkeit eines Menschen. Harvey Nash hat die Stärken der Senior Manager erkannt und setzt gerade beim sogenannten Interim Management auf erfahrene Führungskräfte. Positionen im gehobenen Management, die für eine eingeschränkte Dauer auf ein bestimmtes Unternehmensziel hin eingerichtet werden, sollte man mit Senior Managern besetzen. Die Ergebnisse solcher Einsätze werden von den Unternehmen in der Regel als positiv und gewinnbringend bezeichnet, da sie von der Persönlichkeit und der Kompetenz profitieren konnten, die im eigenen Unternehmen nicht mehr aufzufinden waren.

    Für Vera Bloemer, Autorin des Buches: Interim Management. Top-Kräfte auf Zeit, sollte man Interim Manager nicht nur als ‚Feuerwehrleute’ einsetzenk, die Sanierungen umsetzen und kurzfristige personelle Engpässe überbrücken. Das Wissen der ‚Manager auf Zeit’ könne auch für Generationswechsel und Projektmanagement ins Unternehmen geholt werden. Zu lange hätte nach Ansicht von Bloemer das Image gegolten, wer Experten von außen holt, könne seine Probleme nicht eigenständig lösen. Bloemer schreibt:

    Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen zeigen eine Trendwende weg von den smarten, dynamischen Jungmanagern wieder hin zu gestandenen Profis mit großem Erfahrungsschatz. Diese Rückkehr zu langjährigem Know-how hat beispielsweise den Einsatz eines Interim Managers mit Helmut Sihler 2oo2 bei der Telekom AG sehr populär gemacht. Auch bei anderen deutschen Konzernen zeichnet sich eine Trendwende ab und lenkt den Blickwinkel auf ein bewährtes, aber auch sehr innovatives Managementtool, das für Zuverlässigkeit, Professionalität und Erfahrung steht, nämlich Interim Management als Lösung für aktuelle Fragen und Herausforderungen für Unternehmen in einem konjunkturell schwierigen Umfeld.

    Ältere Manager werden nach Ansicht von Bloemer in Zukunft immer wichtiger werden, wenn es darum geht, leitende Positionen kurzfristig zu besetzen. Das klassische Anforderungsszenario im mittelständischen Betrieb, geleitet von zwei bis drei Köpfen, sieht so aus: Einer dieser Köpfe bricht weg durch Kündigung, Krankheit, Tod oder Midlifecrisis. Oder: Die Leute sind Ende Vierzig, Anfang Fünfzig und kommen plötzlich auf die Idee, dass sie lieber eine Surfschule auf Ibiza aufmachen wollen. In einer derartigen Situation muß innerhalb kürzester Zeit eine tragfähige Lösung gefunden werden. Das heißt große Einarbeitung oder Ausbildung ist nicht möglich. In der Regel muß jemand für einen Zeit- raum von drei bis sechs Monaten gefunden werden, der nach einer relativ kurzen Phase von ein bis zwei Wochen in der Lage ist, einen Geschäftsbereich oder eine Abteilung komplett zu übernehmen. Dies mit einem jungen Manager zu versuchen, ist ein schwie- riges Unterfangen.

    An dieser Stelle sei auch nach den Erfahrungen von Harvey Nash Seniorität gefragt. Führung bestehe nicht aus dem Auswendiglernen von Managementtechniken, sondern Management und Führung bestehen zu 8o Prozent aus Kommunikation und Umgang mit Menschen. Bloemer sagt es so:

    Viele gestandene Manager haben den Wunsch, ihr Know-how weiterzugeben. Bei einem Jobwechsel besteht selten eine Chance, die Branche oder die Unternehmensgröße signifikant zu verändern. Interim Management bietet jedoch die Möglichkeit, seine Erfah- rung zum Beispiel für eine Start-up-Firma einzubringen oder Projektmanagement in einem anderen industriellen Umfeld zu übernehmen. Der Reiz, bisheriges Wissen weiterzugeben und selbst neue Erkenntnisse zu sammeln, ist in diesem Umfeld unabdingbar.

    Allerdings setze dies Veränderungsbereitschaft voraus: Man brauche eine Arbeitsorganisation, die auf Ältere zugeschnitten ist. Man brauche neue Methoden, die lebenslanges Lernen ermöglichen. Man brauche neue Formen, um Arbeits- und Qualifikationsphasen miteinander in Einklang zu bringen. Man brauche neue Formen, um einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu ermöglichen. Bloemers Fazit:

    Wer fünfzigjährige oder ältere Mitarbeiter aus dem Unternehmen drängt, verliert Humankapital. Das wird sich mittelfristig negativ auf das wirtschaftliche Wachstum auswirken. Denn dieses Wachstum ist abhängig von Zahl und Qualität der Menschen.