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Verantwortung lernen in einer Berliner Kita

" Er sagte, dass er ein Flugzeug will, also versuche ich jetzt ein Flugzeug zu malen. "

Von Agnes Steinbauer |
    Der 13-jährige Tavaris überlegt kurz und beginnt, Flugzeug-Tragflächen zu zeichnen. Um den niedrigen Kita-Tisch drängen sich drei Kinder und begucken neugierig die Malkünste ihres jungen Betreuers. Gewünscht hat sich das Flugzeug der fünfjährige Fritz. Er hat Probleme mit dem Sprechen, aber nach einem Jahr Dienst in der Kita "Fuggerstraße" weiß Tavaris fast immer, was Fritz sagen will. Plötzlich springt die vierjährige Susan von ihrem Stuhl auf:

    " Ich hab Dir eine Blume gemalt. "

    Susan hat Aids, aber auch wenn sie näher kommt, um der Runde ihre Wachsmal-Zeichnung zu präsentieren, rückt Tavaris nicht von ihr ab. Dass zwölf der 18 Kinder teilweise schwerstbehindert sind und einige HIV-positiv, war für den Schüler kein Hinderungsgrund, seinen freiwilligen Dienst hier abzuleisten:

    " Da hat meine Lehrerin gesagt, dass es eine Kita gibt mit aidskranken Kindern und normalen. Ich wusste auch schon von Anfang an, dass ich kein Aids dann kriegen kann. Ist ja so nicht übertragbar, über den Mund. "

    Tavaris hätte auch im Tierheim Service-Learning absolvieren können. Er wollte aber die Betreuungsarbeit in der Kita. Jetzt freuen sich auch die gesunden Kinder auf Dienstag - den Tag der Woche, an dem der Siebtklässler aus der Riesengebirgs-Oberschule nachmittags für ein paar Stunden zu ihnen kommt:

    " Antonio heiß ich und bin schon vier Jahre alt. Wir spielen manchmal puzzeln und verstecken spielen wir auch noch und was sonst noch, Tavaris? . Kuchenbacken. Kuchenbacken spielen wir auch und malen machen wir auch. "

    " Schüler lernen hier vor allem Beobachten, sie lernen, auf Kinder einzugehen, sie werden sensibilisiert für kranke für Behinderte und schwache Kinder. "

    Kita-Leiterin Eva-Maria Kikut sieht im Service-Learning zweierlei Vorteile: Die Kinder ihrer Einrichtung profitieren von den Schülern und die Schüler entlasten das Personal und lernen fürs Leben:

    " Wie man mit Kindern umgeht und dann noch herausfindet, was die am meisten mögen. "

    Auch mit den schwerbehinderten Kindern kommt Tavaris gut klar. Behutsam hilft er der spastisch gelähmten Semira sich hinzusetzen und die sagt energisch, was sie will:

    " Ich möchte jetzt wieder runter. "

    Eine ganze Weile hatte Semira auf Tavaris Knien gesessen und aufmerksam beobachtet, was um sie herum passiert:

    Auch, wenn ihn manchmal Quengeleien nerven: Der Kita-Dienst macht Tavaris meistens Spaß. Nicht nur weil er den Kindern helfen kann, sondern auch, weil er weitergeben kann, was er weiß – zum Beispiel, wenn sie zusammen Kochen spielen. Dann erklärt er:

    " Dass zu einem Ei Salz gehört und so etwas. "

    Für Eva-Maria Kikut leisten die Service-Learning-Schüler damit auch "Bildungsarbeit". Seit drei Jahren kommen sie in die Kita. Aber nicht immer läuft alles so glatt wie mit Tavaris:

    " Vorher hatten wir nicht so ein Glück. Der wollte eben mehr toben, aber toben ist für unsere Kinder Gift. Tavaris ist jemand, der fragt viel: Frau Kikut, warum ist das so und so, warum kann der Jan nicht laufen, sag mal, er hat gefragt und gefragt. "

    . Neben Besonnenheit und Beobachtungsgabe ist Fragen das Wichtigste für den Dienst in der Kita.
    Die Schüler sind aber lediglich eine Hilfe bei der Betreuung. Einer der acht hauptamtlichen Kita-Mitarbeiter muss die Lage immer im Blick haben. Besonders wenn's turbulent zugeht.
    Für Eva-Maria Kikut ist aber trotzdem klar:

    " Sie sind eigentlich unverzichtbar, weil sie von außen kommen und Neues, Lebendiges hereinbringen, fantasievoll sind und für die Kinder überraschend. "

    Die Kindertagesstätte Fuggerstraße in Berlin ist auf Spenden angewiesen:
    kita "fuggerstraße" e.V.
    Deutsche Bank
    Kto-Nr. 0227900 BLZ 100 700 24