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Verbindung von Kunst und Wissenschaft

Künstler und Kunsttheoretiker betätigen sich heute als Enthusiasten der Wissenschaftsgeschichte. Sie befassen sich mit Kuriositäten und schönen Apparaturen der Vergangenheit, die sie in Installationen verwandeln. Auf der documenta in Kassel werden einige dieser Werke gezeigt.

Von Carsten Probst | 12.07.2012
    Keine Frage, zu den schönsten Installationen dieser documenta gehört Mark Dions sechseckiges Eichenholzkabinett, in der nun die sogenannte Xylothek, die "Holzbibliothek" zu sehen ist, die zwischen 1771 und 1799 von Carl Schildbach in den Beständen des Naturkundemuseums im Kasseler Ottoneum angelegt wurde.

    Schildbachs Xylothek besteht aus 530 in Buchform zugeschnittenen Studienobjekten, die aus 441 einheimischen Baum- und Straucharten hergestellt wurden, einzigartig in ihrer enzyklopädischen Art. Mark Dion, der sich als Konzeptkünstler auf wissenschaftliche Ordnungssysteme aller Art spezialisiert hat, hat sich dem historisch wertvollen Bestand mit großer ästhetischer Einfühlung genähert. Seine Kabinettinstallation unterstützt und gliedert die Präsentation der Holzbuch-Objekte, interpretiert ihre Anordnung schonend neu mit dem Blick der Gegenwart. Zugleich bestätigt sie die These, dass sich Kunst der Wissenschaft umso plausibler anzunähern vermag, wenn die wissenschaftlichen Objekte ein gewisses historisches Alter erreicht haben, sich dabei als ästhetisch faszinierend oder ihre Theorien als besonders originell erweisen, kurz: wenn sie aus heutiger Sicht methodisch überholt, aber ästhetisch immer noch interessant sind.

    Etliche Künstler und Kunsttheoretiker betätigen sich heute als Enthusiasten der Wissenschaftsgeschichte und fördern immer neue Kuriositäten und schöne Apparaturen der Vergangenheit zutage, die sie in Installationen verwandeln. Neben Mark Dion ist etwa der Frankfurter Jeronimo Voss auf der documenta vertreten, der im Planetarium des Astronomisch-Physikalischen Kabinetts der Kasseler Orangerie eine Inszenierung mit den ältesten noch erhaltenen Projektoren und astronomischer Dias aus dem 19. Jahrhundert veranstaltet und sie mit politischen Texten aus der Zeit der Pariser Kommune unterlegt.

    Der Ungar Attila Csörgö rekonstruiert in seinem Pavillon in der Karlsaue computersimulierte Lösungen für Probleme der klassischen Geometrie wie die berühmte Quadratur des Kreises. Konrad Zuse wiederum, der als Erfinder des ersten Computers gilt, wird in der Rotunde des Fridericianums mit seiner berühmten Z1, der ersten programmierbaren Maschine gezeigt.

    In der Orangerie ist er wiederum mit eigenen Malereien zu sehen, die stark an die kristalline Formenwelt eines Lionel Feiningers erinnern. Da diese Präsentation inmitten der ständigen Sammlung der Orangerie stattfindet, zu der auch Zuses Z11 gehört, wird damit zugleich unterstellt, Kunst und wissenschaftlicher Erfindungsgeist hätten sich im Fall Konrad Zuses die Hand gegeben.

    Doch mit solchen Behauptungen beginnt der Bereich des Fashionable Nonsense, des eleganten Unsinns. Denn der Künstler Konrad Zuse ist zwar offenkundig ein begabter Dilettant, aber von weit weniger bahnbrechendem Neuerungsgeist beseelt wie der Erfinder. Dass künstlerische Hobbys für Wissenschaftler inspirierend sein können, vor allem, wenn es um anschauliches Denken und bildgebende Verfahren für komplexe Theorien geht, ist zwar anzunehmen. Doch ein fließender Übergang zwischen Kunst und Wissenschaft gehört wohl doch eher zu den Leitbildern der Renaissance als zur Gegenwart.

    Je aktueller die Wissenschaft, desto problematischer der Versuch, sie für die Kunst zu vereinnahmen. Der Auftritt des Quantenphysikers Anton Zeilinger im Fridericianum mit seiner Apparatur zum sogenannten Doppelspaltexperiment belegt das mit fast peinlicher Direktheit. Das Doppelspaltexperiment gilt als technischer Nachweis für die prinzipielle Machbarkeit von Quantencomputern wird von der documenta freilich ästhetisch vereinnahmt. Der aktuellen Naturwissenschaft, so die unterlegte Behauptung, geht es im Kern um nichts anderes als der Kunst: um das Hinterfragen des Realitätsbegriffes. Ein reichlich loser Zusammenhang, gehört in der Wissenschaft wie in der Kunst das Hinterfragen der Realität doch seit jeher zum Kern. Unterschlagen wird jeder drastische Unterschied der Methode. Kurz gesagt: Wäre Anton Zeilinger ein Künstler, hätte er sich über die Akribie, mit der seine wissenschaftliche Apparatur messbare Ergebnisse liefern soll, vermutlich ein wenig lustig gemacht. Gebaut hätte er sie mangels Expertise und passendem positivistischem Weltbild zweifellos nie.