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Verbindung zwischen Europäern schaffen

Mit dem geplanten Projekt "Hello Europe" sollen sechs mal zwei Meter große Bildschirme in verschiedenen Metropolen Europas aufgestellt werden. Der Regisseur und Initiator des Projektes Senne Dehandschutter möchte damit einen Rahmen schaffen, in dem Menschen miteinander in Kontakt treten können.

Im Gespräch mit Markus Dichmann |
    Markus Dichmann: Senne Dehandschutter, einer der Initiatoren von "Hello Europe". Senne, danke, dass du dir die Zeit für uns genommen hast.

    Senne Dehandschutter: Kein Problem!

    Dichmann: Also, Senne, wir sind wieder, oder immer noch, wie manch einer bevorzugt, in Zeiten der Krise: Zypern konnte gerade noch den Zusammenbruch verhindern, die südlichen Staaten Europas denken von Deutschland mehr und mehr als hegemoniale Macht und schon jetzt stellt sich die Frage: Welcher europäische Saat stolpert als Nächstes? Und da kommen du und deine Kollegen daher mit einer doch sehr speziellen Idee, mit dem Projekt "Hello Europe." Ist das wirklich die Sorte Projekt, die Europa gerade braucht?

    Dehandschutter: Nein, das ist es absolut nicht! Nein, wir sollten definitiv nicht miteinander reden. Lasst uns nicht miteinander reden, niemals!

    Dichmann: Dann lass uns über die Idee hinter "Hello Europe" reden. Normalerweise bist du Regisseur, hast schon einige Kurzfilme und Dokumentationen gedreht und arbeitest gerade an deinem ersten Kinofilm. Woher also kam die Idee zu "Hello Europe", was ja eher ein experimentelles oder eher technisches Projekt ist?

    Dehandschutter: Nun, mir liegt eigentlich gar nicht so viel daran, Regie zu führen. Das ist eher ein Werkzeug für mich, um Projekte und Themen umzusetzen, die mir gefallen. Es muss also nicht die Regiearbeit per se sein. Es kann genauso gut etwas wie "Hello Europe" sein, also eine Art Multimedia-Event. Solange es sich um ein Thema dreht, das mir wirklich gefällt.

    Dichmann: Und das Thema hinter "Hello Europe" ist welches?

    Dehandschutter: "Connection", es geht um Verbindung. Dieses Projekt hat an sich keine Botschaft. Wir sagen nicht: "Wir sind für die EU!" oder "Wir sind gegen die EU!" oder "Das ist die Lösung für die Krise!" Das Einzige, was wir wollen, ist einen Rahmen zu schaffen, in dem die Menschen miteinander in Kontakt treten können. Uns würde es auch nicht stören, wenn ein Deutscher seine Kaffeetasse vor den Bildschirm schmeißt, wenn auf der anderen Seite ein Grieche vorbeigeht – oder anders herum. Solange es zu Kontakt kommt, sind wir glücklich, solange die Menschen miteinander reden.

    Dichmann: Glaubst du, dass das etwas ist, das uns fehlt? Die Verbindung zu unseren Nachbarn?

    Dehandschutter: Ja, ich glaube sogar ganz besonders mit unseren Nachbarn. Ich spreche da mal für mich selbst als Belgier: Wir fahren in den Urlaub nach Italien, nach Südfrankreich, vielleicht nach Spanien oder Griechenland. Aber von unseren direkten Nachbarn, wie zum Beispiel von euch in Deutschland, weiß ich das wenigste! In Brüssel, wo ich wohne, sind wir etwa drei Stunden von Paris oder London entfernt, und ich war vielleicht vier Mal in meinem Leben da! Wenn ich manchmal in Los Angeles bin, dann nehme ich mir immer die Zeit nach Las Vegas zu fahren, weil es doch sehr nah ist. Aber es ist eigentlich eine längere Strecke als von Brüssel nach Paris! Und wir haben in Europa sehr viele verschiedene Kulturen, verschiedene Identitäten. Klar, ich bin meinem Auto herumgefahren, aber ich "kenne" den Rest Europas nicht – zumindest nicht so gut, wie ich gern würde.

    Dichmann: Jetzt hast du gerade das Wort Identität angesprochen. Wir sprechen immer von einer ökonomischen, auch von einer politischen Krise – aber haben wir auch eine Krise der Identität? Fühlen sich die Europäer als Europäer?

    Dehandschutter: Das ist eine schwierige Frage, weil das wohl in jedem anderen Land anders aussieht. Ich zum Beispiel bin aus Belgien und da ist es ziemlich kompliziert. Es gibt den großen Unterschied zwischen dem flämischen und dem wallonischen Teil. Wenn ich zum Beispiel in den USA bin, dann ist es viel einfacher zu sagen: "Ich bin aus Europa" – als zu erklären: "Ich bin aus Flandern, das ist ein Teil von Belgien." Oder "Ich bin aus Belgien." "Also sprichst du Französisch?" "Nein, nein – ich spreche Niederländisch." Ich glaube also viele Belgier, Flamen oder Wallonen haben eher den Drang zu sagen: "Ich bin Europäer." Ich glaube, in anderen Ländern fehlt das ein wenig.

    Dichmann: Senne, wir wissen schon: Ein Teil deines Projekts ist es sechs mal zwei Meter große Bildschirme in verschiedenen Metropolen Europas aufzustellen. Wie ein Fenster von einem Ort zum anderen. Aber das ist nicht das Ende der Idee. Was kann man mit den Bildschirmen noch anstellen, abgesehen von sich gegenseitig anschauen und zuwinken?

    Dehandschutter: Also, das Angucken und Zuwinken ist sozusagen die Grundeinstellung – für den Fall, das sonst nichts passiert. Wenn ich am Bildschirm vorbeigehe, kann ich die andere Person sehen, ihr zuwinken, mit ihr sprechen. Aber Organisationen und Privatpersonen aus ganz Europa sollen die Möglichkeit haben, Veranstaltungen mit den Bildschirmen zu machen. Das kann alles sein! Entweder sehr seriös, vielleicht öffentliche, politische Debatten – oder aber verrückter, wahnsinniger Kram: Zum Beispiel ein interkontinentaler Streetdance-Battle. Oder Theater-Ensembles, die über die Bildschirme durch ganz Europa touren können, ohne wirklich reisen zu müssen.

    Dichmann: Ihr seid auch sehr aktiv in verschiedenen sozialen Medien und sammelt in der Community Ideen, was man noch so mit den Bildschirmen anfangen könnte? Schon was Nützliches oder aber Witziges dabei gewesen?

    Dehandschutter: Also wirklich viele, viele, viele Leute schicken mir E-Mails. Ich sitze allein deswegen jeden Tag drei Stunden am Computer. Da sind viele DJs bei, die über die Bildschirme auftreten wollen. Viele Tanz-Gruppen und Schulen haben sich gemeldet. Aber vor allem sind es junge Menschen. Nebenbei haben sich aber auch schon einige europäische Nicht-EU-Staaten gemeldet, mit den Worten "Vergesst uns nicht!" Und vielleicht sollte man das auch mal erwähnen: Es geht uns nicht darum, einen Werbespot für die EU zu drehen. Das wäre eine politische Botschaft, was es aber nicht sein soll. Die einzige Botschaft ist "Connection" und deshalb würden wir auch gerne mit nicht EU-Staaten arbeiten.

    Dichmann: Ich spreche mit Senne Dehandschutter, einem der Macher des Projekts "Hello Europe." Senne, du hast es schon gesagt – es geht darum, die Menschen in Europa zu verbinden. Aber gibt es nicht zuletzt Dank Internet unzählige Wege, das zu erreichen? Also lass mich etwas zynisch fragen: Wofür bitte brauchen wir diese Bildschirme?

    Dehandschutter: Der Witz ist: Es gibt im Internet eine kleine Seite namens Chatroullete. Dort treffen sich durch Zufall zwei völlig Fremde zum Chatten vor der Webcam. Aber das findet im privaten, nicht im öffentlichen Raum statt. Deshalb sieht man dort öfter Körperteile, die man ungern sehen möchte. Diese Seite ist inzwischen nur noch unheimlich. "Hello Europe" findet im öffentlichen Raum statt. Es gelten die Regeln des öffentlichen Raums, wenn du auf einer Straße oder auf einem Platz stehst. Du kannst dir nicht einfach die Hose runterziehen. Und zum Rest: Natürlich gibt es Facebook, Youtube und andere tolle Kanäle sich zu vernetzen. Aber nur weil die funktionieren, heißt das nicht, alles andere wäre überflüssig.

    Dichmann: Senne, aktuell sucht ihr nach Sponsoren für "Hello Europe" – wie läuft das bisher und habt ihr eine Idee, wann ihr wirklich loslegen könnt?

    Dehandschutter: Wir haben jetzt einige Monate Recherche hinter uns und haben erst mal versucht herauszufinden, ob das Ganze überhaupt möglich ist. Und es ist möglich! Nur müssen wir noch einiges an Technik eigens entwickeln. Dafür brauchen wir noch ein halbes Jahr und dann nochmal ein halbes Jahr, um das nötige Geld zusammenzubekommen. Wir glauben, wenn alles so schnell geht wie möglich, dann stehen die Schirme im Sommer 2014.

    Dichmann: Aber eines eurer Hauptanliegen ist es ja ein unabhängiges Projekt zu bleiben. Könnt ihr das denn, wenn ihr nach einem großen Sponsor sucht, überhaupt garantieren?

    Dehandschutter: Naja, das ist eine gute Frage. Wenn wir zum Beispiel, keine Ahnung, Coca Cola oder Skype oder jede andere Firma fragen würden, dann wäre das in Gefahr. Deshalb ist es unser Ziel, nach einigen, kleineren Sponsoren zu suchen – und wir wollen auch keine großen Logos auf den Bildschirmen. Und würden so versuchen, die Unabhängigkeit des Projekts zu wahren.

    Dichmann: Senne Dehandschutter, belgischer Regisseur und einer der Initiatoren von "Hello Europe" – danke für das Gespräch.

    Dehandschutter: Gerne, kein Problem.