Archiv


Verblüffendes am Nachthimmel

Biologie. - Fledertiere sind die einzigen Säugetiere, die das aktive Fliegen gelernt haben – und sie waren damit sehr erfolgreich: Immerhin 20 Prozent aller heute lebenden Säugetierarten sind Fledermäuse. Obwohl sie eine so prominente Stellung einnehmen, waren ihre verwandtschaftlichen Beziehungen bislang kaum erforscht. Jetzt veröffentlicht "Science" einen neuen Stammbaum der Fledermäuse: In ihn sind die Informationen aus den Erbinformationen aller heute lebenden Fledermausfamilien ebenso eingegangen wie das Wissen aus den Fossilien. Es hat einige Überraschungen gegeben.

Von Dagmar Röhrlich |
    Hoch wölbt sich über der Oper von Sydney der Abendhimmel. Jetzt, wo es noch nicht ganz dunkel ist, schlägt die Stunde der Flughunde. Der erste verläßt sein Tagesquartier in den Bäumen des Royal Botanic Garden, dreht eine Runde über der Oper, zieht landeinwärts davon. Ein zweiter folgt, ein dritter – dann ist der Himmel voller Graukopf-Flughunde. Tausende brechen zu ihren Futtergründen auf. Aber schon nach einer Viertelstunde ist das allabendliche Schauspiel vorbei.

    Fledertiere gehören zu den faszinierendsten Säugetieren. Wir kennen derzeit 1100 verschiedene Arten, entdecken aber ständig neue, mehr, als wir je für möglich gehalten hätten. Zu den Fledertieren zählen Flughunde und Fledermäuse. Die meisten Fledermäuse fressen Insekten. Andere jagen Fische, drei Arten sind Vampire, ernähren sich von Blut. Es gibt Fledermäuse, die andere Fledermäuse erlegen und solche, die von Früchten und Nektar leben.

    Emma Teeling vom University College in Dublin. Zu den Vegetariern zählen auch die Graukopf-Flughunde aus Sydney. Das älteste Flattertier-Fossil bringt es auf 55 Millionen Jahre – und es jagte schon seinerzeit per Sonar, also Echoortung. Teeling:

    Die ersten Fledermäuse entstanden in Nordamerika./ Von da aus wanderten sie nach Europa, das damals mit Amerika verbunden war. Die sonarlosen Flughunde entwickelten sich dann in Asien. Vor 55 Millionen Jahren gibt es Fossilien von Fledertieren in Australien, Amerika oder Europa: Sie scheinen damals überall auf der Welt gelebt zu haben.

    Bis heute sind die Vorfahren aller Flattertiere unbekannt. Es gibt kein Säugetierfossil, das zeigt, wie sie das Fliegen gelernt haben. Dieser Vorläufer muß zur Saurierzeit gelebt haben. Denn, so Teeling:

    Wir konnten den Ursprung der Fledertiere datieren: Sie entstanden vor rund 64 Millionen Jahren, also direkt nach der Grenze zwischen Kreide und Tertiär, an der die Dinosaurier ausstarben. Vor 52 Millionen Jahren gab es bereits alle vier großen Fledermaus-Linien: Sie bildeten damals schnell neue Arten.
    Dahinter steckt ein Klimawandel: Damals stieg die globale Durchschnittstemperatur um sieben Grad an. Überall auf der Welt entwickelten sich neue Pflanzen und Insekten. Es war ein gewaltiger Sprung in der Artenvielfalt, und der wiederum legte die Basis für die wachsende Vielfalt der Fledermäuse. Sie nahmen jede neue Chance wahr. Teeling:

    Fledermäuse sind Nachtflieger, die mit ihren Ohren sehen. Das ist die Lizenz, den nächtlichen Himmel auszubeuten. Seit Jahrmillionen sind sie konkurrenzlos, wenn es darum geht, nachts im Flug Insekten zu fangen. Das ist ein wichtiger Grund für ihren Erfolg.

    Ihre ausgefeilte Echoortung ist einmalig. Um als "Kinder der Nacht" in der Dunkelheit zu jagen, entwickelten sie eine spezielle Atmung. Ihre Ohren und das Gehirn mußten sich anpassen. Die Frage ist: Wann und von wem wurde das alles "erfunden"? Weil die Flughunde kein Sonar haben, galten sie bislang als die urtümlichere Gruppe. Die neue Studie deckt nun eine bislang unbekannte Verwandtschaft auf, die Zweiflern an dieser klassischen Sicht Recht gibt: In Asien leben echo-ortende Fledermäuse, die sehr viel enger mit den sonarlosen Flughunden verwandt sind als mit allen anderen Fledermäusen. Das bedeutet, daß sich die Echoortung entweder einmal bei einem Ahnen aller heute lebenden Fledertiere entwickelt hat und daß sie später bei den Flughunden verloren gegangen ist. Oder die Evolution hat das komplexe Biosonar mehrfach erfunden. Beides sei möglich. Allerdings, so vermutet Emma Teeling, legen die Daten eher nahe, daß die Flughunde die Echoortung verloren haben. Sie leben von Früchten und Nektar, da sind spezielle Jagdfertigkeiten nicht wichtig. Wenn die Graukopf-Flughunde den Royal Botanic Garden in Sydney verlassen, steuern sie besonders gerne die Obstplantagen im Landesinneren an.