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Verborgener Hunger im Fokus

Ernährung. - Drei bis vier Millionen Kinder sterben jährlich an den Folgen von Hunger. Experten vermuten allerdings, dass darüber hinaus zehnmal mehr Kinder ständig am Rand des Abgrunds leben. Sie leiden an verborgenem Hunger, auf Englisch "hidden hunger". In Stuttgart, an der Universität Hohenheim findet zurzeit der weltweit erste Kongress statt, der sich dieser Problematik widmen. Der Wissenschaftsjournalist Volker Mrasek berichtet im Gespräch mit Arndt Reuning.

Volker Mrasek im Gespräch mit Arndt Reuning | 07.03.2013
    Reuning: Was genau ist denn dieser verborgene Hunger, Herrn Mrasek?

    Mrasek: Darunter versteht man eigentlich eine Unterversorgung mit wichtigen Mikronährstoffen, wie die Wissenschaftler sagen, und das in einer sehr entscheidenden Lebensphase, und zwar im Baby- und frühen Kleinkindalter. Die Wissenschaftler sprechen da auch vom so genannten 1000-Tage-Fenster. Und in dieser Zeit ist es für Babys und Kleinkinder nicht nur wichtig, genügend Kalorien zu sich zu nehmen, also satt zu werden, um es mal so zu formulieren, sondern eben auch lebenswichtige Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zu sich zu nehmen. Ohne die, sagen die Wissenschaftler, sei eine gesunde Entwicklung in diesem Alter nicht möglich. Das sind zum Beispiel Vitamine wie A, D und Folsäure, und Spurenelemente wie Eisen, Zink und Jod, aber auch wichtige Proteine und Fettsäuren. Auf der Pressekonferenz, die die Wissenschaftler heute Mittag hier in Hohenheim gegeben haben, hieß es, 2,5 Milliarden Menschen könnten weltweit von diesem versteckten Hunger betroffen sein. Und eine mögliche Konsequenz ist zum Beispiel, dass die Kinder später einfach sterben. Sie sind zwar satt oder werden satt, sind aber unterversorgt mit bestimmten Elementen, Spurenelementen und Vitaminen wie gesagt. Dann können sie zum Beispiel an Erkrankungen wie Masern sterben, da würden sie normalerweise eben nicht dran sterben, wenn sie vernünftig versorgt würden.

    Reuning: Masern ist ein Beispiel. Wozu kannte die Unterversorgung mit diesen Nährstoffen noch führen?

    Mrasek: Es gibt eine ganz riskante Mangelernährung, das ist mit Vitamin A: Die kann einmal zu Atemwegseffekten führen, wenn ein Mangel vorliegt, aber auch zur so genannten Nachtblindheit oder dazu führen, dass Kinder wirklich erblinden, einfach weil sie nicht genügend Vitamin A mit der Ernährung aufnehmen. Zink zum Beispiel schwächt das Immunsystem, das kann Darminfekte begünstigen, wenn man nicht genügend davon hat, und das führt dann zu Durchfallerkrankungen, und die sind zum Beispiel in Entwicklungsländern ganz tragisch, denn dann können diese Kinder nicht mehr vernünftig auch andere Nährstoffe aufnehmen und sterben tatsächlich daran.

    Reuning: Und was kann man nun tun gegen dieses Problem des verborgenen Hungers? Oder was ist bereits getan worden?

    Mrasek: Also die Ernährungswissenschaftler sagen, man muss einfach weg von dem bisherigen Credo, dass man einfach nur Kalorien gibt. Also dass man die Kinder oder die Mensch nicht einfach nur satt macht, das genüge nicht, die Nährstoffversorgung muss stimmen. Und konkret heißt das zum Beispiel, dass man nicht nur Reis oder Getreide, die ja sehr energie- und kalorienreich sind, anbaut in solchen Ländern, sondern zum Beispiel auch Gemüse, Obst oder Hülsenfrüchte. Und es werden auch Beispiele auf diesem Kongress genannt. In Kenia läuft zum Beispiel ein solches Programm an, wo jetzt auch in Supermärkten vermehrt einheimisches nährstoffreiches Gemüse angeboten wird, was bisher noch nicht unbedingt der Fall ist. Andererseits sieht man positiv, dass viele große Lebensmittelkonzerne so etwas wie funktionelle Lebensmittel in diesen Ländern anbieten. Also die sind längst alle, auch in armen Ländern unterwegs, bieten da Lebensmittel an, sind auf dem Markt vertreten und reichern die dann zum Beispiel mit solchen Mikronährstoffen wie Vitamin A, Zink oder Jod an. Das, sagen die Wissenschaftler, also die loben da die Konzerne, das sei eine gute Entwicklung.

    Reuning: Verborgener Hunger, ist das denn nur in Entwicklungsländern ein Problem?

    Mrasek: Nein, nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Industrieländern und auch in Deutschland, sagen die Wissenschaftler. Es gibt in Deutschland nach dem aktuellen Armutsbericht ungefähr 20 Prozent der Kinder, die in Armut leben, gemessen an der Gesamtbevölkerung. Da, heißt es hier unter den Forschern, ist eben infrage gestellt, ob die sich überhaupt eine vernünftige Ernährung leisten können. Also, wenn man eine Familie hat, die sich am Hartz-IV-Satz orientieren muss, dann reicht das nicht aus, hieß es heute. Und es gibt auch Zahlen, wonach zum Beispiel die Versorgung mit Vitamin D in Deutschland, vor allem bei Kindern und in Migranten Familien nicht optimal ist. Also durchaus auch ein Problem hier und es wird auch wieder darauf hingewiesen, energiereiche, kalorienreiche Lebensmittel, wie ein Hamburger, sind billiger als zum Beispiel ein ausgewogenes Mahl mit Gemüse. Das sei auch kritisch zu sehen, gerade wenn man daran denkt, dass es Bevölkerungsschichten gibt, die wirklich auf den Pfennig gucken müssen.