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"Verbote sollte man sich stets gut überlegen"

Die Verteidigung des Rechtsstaates ist nicht allein Aufgabe von Verfassungsschutz und Geheimdiensten, sagt Dänemarks Verfassungsschutzchef Jakob Scharf. Er setzt auf Kooperation mit der Gesellschaft, um Bedrohungen abzuwenden - die in seinem Land seit den Mohammed-Karikaturen stets präsent sind.

Von Marc-Christoph Wagner | 26.01.2012
    Seit den Mohammedkarikaturen ist in Dänemark nichts mehr, wie es einmal war. Die Terrorbedrohung, sagt Jakob Scharf, sei ernst zu nehmen. Und in absehbarerer Zukunft werde Dänemark exponiertes Ziel islamistischer Terrorgruppen bleiben.

    Jakob Scharf ist kein Mann großer Gesten. Sachlich beantwortet er alle Fragen. Dafür, dass die Sicherheit Dänemarks letzten Endes auf seinen Schultern ruht, wirkt der 45-jährige Jurist vergleichsweise gelassen.

    "Es ist wichtig zu verstehen, dass Fragen der nationalen Sicherheit sowie der Schutz unserer gesellschaftlichen Werte nicht alleine an Verfassungsschutz und Geheimdienst delegiert werden können. Gewiss, wir spielen eine wichtige Rolle und tragen unseren Teil der Verantwortung. Aber auch andere Akteure sind wichtig. Das ist ein Bereich, mit dem wir uns in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben – wie kooperieren wir mit anderen Teilen der Gesellschaft und Öffentlichkeit, um Bedrohungen unseres Gemeinwohls vorzubeugen."

    Interviews von Jakob Scharf sind selten – vielleicht hat es aber einen besonderen Grund, dass sich der oberste dänische Verfassungsschützer den Fragen eines deutschen Journalisten stellt. Auch in Dänemark hat man registriert, dass die deutschen Kollegen derzeit in der Kritik stehen – wegen vermeintlicher Verfehlungen bei der Zwickauer Terrorzelle, nun auch wegen der Überwachung linker Abgeordneter. Scharf möchte die Diskussion in Deutschland selbst nicht kommentieren, verweist jedoch auf die Herausforderung, mit der jeder Verfassungsschutz konfrontiert sei – den Rechtsstaat zu schützen, ohne dabei den Pfad des Rechtsstaates zu verlassen:

    "Im Kern müssen wir verstehen lernen, aus welchen Gründen Personen in den Extremismus abgleiten, warum einzelne Individuen sich sogar radikalisieren und unsere Gesellschaft mit Gewalt angreifen. Für uns und jeden anderen Geheimdienst ist es eine kaum zu überschätzende Aufgabe, diese Milieus zu infiltrieren und stets einzugreifen, bevor etwas passiert."

    Scharf betont, man dürfe auf keinem Auge blind sein – islamistischer Extremismus sei nicht mehr oder weniger gefährlich als rechter oder linker. Die Überwachung des Internets spiele eine immer wichtigere Rolle – und das nicht erst seit den Terroranschlägen des Norwegers Anders Behring Breivik. Zudem sei Kooperation unumgänglich – international, also zwischen den Diensten einzelner Länder, aber auch auf nationaler Ebene:

    "Aus der Vergangenheit wissen wir, dass die Informationen und Hinweise, die wir in Dänemark zwischen verschiedenen Behörden teilen, von sehr großem Vorteil sind bei der Bekämpfung von Terror und Extremismus. Mit guter Kommunikation und einer engen Abstimmung zwischen verschiedenen Ebenen haben wir hierzulande gute Erfahrungen gemacht."

    Bei aller Sorge vor Terroranschlägen und den Taten politischer Extremisten jeglicher Couleur, so Scharf, sei es die eigentliche Aufgabe seiner Behörde, die grundlegenden Werte der offenen Gesellschaft zu schützen.

    "Es geht um die richtige Balance. Wir müssen einerseits unsere Demokratie beschützen, dürfen dies aber nicht auf eine Art und Weise tun, die unsere demokratischen Werte infrage stellt. Ich finde, hier in Dänemark sind sich die Politiker dieser Gratwanderung sehr bewusst, was auch in den Gesetzen zum Ausdruck kommt, die regeln, was meine Behörde darf und was nicht."

    Außerdem, betont Scharf, sei auch der Ton der politischen Debatte wichtig für das gesellschaftliche Klima in einem Land. Wer Ausländer, andere Religionen und politische Minderheiten ausgrenze, trage zu deren Radikalisierung bei. Und selbst extremistische Standpunkte, so Scharf, bekämpfe man besser, indem man sie öffentlich konfrontiere, anstatt sie lediglich zu tabuisieren. Das gelte auch den Parteien am Rande des politischen Spektrums – wie in Deutschland der NPD:

    "Verbote sollte man sich stets gut überlegen – und natürlich ist etwa die Versammlungsfreiheit eine grundlegende Errungenschaft des Rechtsstaates. Verbote und Gesetze können bei der Bekämpfung von Extremismus eine gewisse Rolle spielen. Derlei Geisteshaltungen aber schaffen sie nicht aus der Welt."