Schon der Ton machte deutlich: Hier geht es eher um die Ausrufung eines Machtkampfes als um die Einleitung eines juristischen Verfahrens. Fast bellend verkündete der stellvertretende Vorsitzende des türkischen Verfassungsgerichts Osman Paksüt gestern, dass der Verbotsantrag der Generalstaatsanwaltschaft gegen die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) vom höchsten Richterkollegium angenommen worden sei. Paksüt und seine Kollegen fanden den Vorwurf des Generalstaatsanwalts hinreichend begründet, Ministerpräsident Erdogan führe das Land in einen islamischen Gottesstaat. Damit hat das Verfahren gegen die größte politische Partei im Land seinen Lauf genommen - und, so sieht es nicht allein der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar, auch eine schwere politische Krise. Aktar rät der Regierungspartei zur Ruhe:
"Wenn die Regierung ihre Ankündigung wahr machen sollte und tatsächlich ein Referendum darüber abhalten lässt, ob Parteienverbote in der Verfassung erschwert werden sollen, dann könnte es so turbulent werden, dass am Ende auch das Militär eingreift. Die Regierung sollte nicht zu solchen Tricks greifen, sondern in Ruhe das Verfahren abwarten - denn im Grunde steht in dem Verbotsantrag ja nichts von belang."
Die in der 162seitigen Anklageschrift aufgeführten Verbotsgründe sind überwiegend Zitate Erdogans und anderer Funktionsträger der Partei zu Kopftuch, Republikgründer Atatürk und der verordneten Trennung von Staat und Religion. Die meisten Äusserungen liegen Jahre zurück. Am stichhaltigsten erscheint die Anklage, wenn sie sich auf die unlängst vom Parlament beschlossene Freigabe des Kopftuchs für Studentinnen bezieht. Wie aufgebracht der Regierungschef über das Verbotsverfahren ist, zeigt Erdogan auf einer Veranstaltung seiner Partei am Wochenende:
"Seit Tagen treten diese Leute in Fernsehdiskussionen auf und bringen die AK Partei nur mit einem in Verbindung: der Kopftuchfrage. Die sollten sich schämen! Fünf Jahre lang habe ich als Ministerpräsident diese Frage kein einziges Mal auf die Tagesordnung gebracht!"
Für das Verbot einer Partei sind die Stimmen von sieben der elf Verfassungsrichter nötig; acht der derzeitigen Richter gelten als Gegner der AKP und wurden noch von dem stramm kemalistischen Vorgänger von Staatspräsident Gül, Ahmet Sezer berufen. Sezer, selbst einmal Mitglied des höchsten Gerichts, ging es um die Stärkung des Justizapparats als Bollwerk gegen den wachsenden Einfluss der Religiösen. Die Mehrheit der Richter und Staatsanwälte sehen sich - neben dem Militär - als Verwalter des politischen Vermächtnisses von Republikgründer Atatürk. Dabei haben sie sich in der Geschichte der modernen Türkei immer wieder des Parteienverbots bedient: Verboten wurden in den vergangenen Jahrzehnten aber nicht bloß islamistische, sondern auch linke und vermeintlich separatistische Parteien - etwa solche mit kurdischem Hintergrund. Immer wieder ist in den türkischen Medien der Vorwurf zu hören und zu lesen, dass es der Justiz und dem mutmaßlich hinter ihr stehenden Militär nicht nur um das Kopftuch an den Hochschulen gehe, sondern dass sie mit dem Verbotsantrag auch den Europakurs der Regierung zu Fall bringen wollen. Cengiz Aktar meint, Erdogan solle in den nächsten Monaten erst recht zeigen wie wichtig ihm die EU-Mitgliedschaft ist:
"Sie sollten gerade jetzt die Reform der Verfassung voranbringen und sie sollten dem EU-Prozess einen kräftigen Schub geben. Von nun sollte die Regierung jeden Tag über die EU-Mitgliedschaft und die notwendigen Änderungen reden. Diejenigen in Europa, welche die Türkei noch nie dabei haben wollten, sind über diese innenpolitische Krise sicher mehr als erfreut, weil sie sehen, dass die Türkei ganz allein vom Kurs einer Vollmitgliedschaft abkommt."
Bis zu einem Urteil des Verfassungsgerichts werden Monate vergehen, möglicherweise Monate der politischen Lähmung. Wirtschaftlich beginnt sich die Krise bereits auszuwirken: Die türkische Lira ist Anfang dieser Woche gegenüber Dollar und Euro auf ein Rekordtief gerutscht.
"Wenn die Regierung ihre Ankündigung wahr machen sollte und tatsächlich ein Referendum darüber abhalten lässt, ob Parteienverbote in der Verfassung erschwert werden sollen, dann könnte es so turbulent werden, dass am Ende auch das Militär eingreift. Die Regierung sollte nicht zu solchen Tricks greifen, sondern in Ruhe das Verfahren abwarten - denn im Grunde steht in dem Verbotsantrag ja nichts von belang."
Die in der 162seitigen Anklageschrift aufgeführten Verbotsgründe sind überwiegend Zitate Erdogans und anderer Funktionsträger der Partei zu Kopftuch, Republikgründer Atatürk und der verordneten Trennung von Staat und Religion. Die meisten Äusserungen liegen Jahre zurück. Am stichhaltigsten erscheint die Anklage, wenn sie sich auf die unlängst vom Parlament beschlossene Freigabe des Kopftuchs für Studentinnen bezieht. Wie aufgebracht der Regierungschef über das Verbotsverfahren ist, zeigt Erdogan auf einer Veranstaltung seiner Partei am Wochenende:
"Seit Tagen treten diese Leute in Fernsehdiskussionen auf und bringen die AK Partei nur mit einem in Verbindung: der Kopftuchfrage. Die sollten sich schämen! Fünf Jahre lang habe ich als Ministerpräsident diese Frage kein einziges Mal auf die Tagesordnung gebracht!"
Für das Verbot einer Partei sind die Stimmen von sieben der elf Verfassungsrichter nötig; acht der derzeitigen Richter gelten als Gegner der AKP und wurden noch von dem stramm kemalistischen Vorgänger von Staatspräsident Gül, Ahmet Sezer berufen. Sezer, selbst einmal Mitglied des höchsten Gerichts, ging es um die Stärkung des Justizapparats als Bollwerk gegen den wachsenden Einfluss der Religiösen. Die Mehrheit der Richter und Staatsanwälte sehen sich - neben dem Militär - als Verwalter des politischen Vermächtnisses von Republikgründer Atatürk. Dabei haben sie sich in der Geschichte der modernen Türkei immer wieder des Parteienverbots bedient: Verboten wurden in den vergangenen Jahrzehnten aber nicht bloß islamistische, sondern auch linke und vermeintlich separatistische Parteien - etwa solche mit kurdischem Hintergrund. Immer wieder ist in den türkischen Medien der Vorwurf zu hören und zu lesen, dass es der Justiz und dem mutmaßlich hinter ihr stehenden Militär nicht nur um das Kopftuch an den Hochschulen gehe, sondern dass sie mit dem Verbotsantrag auch den Europakurs der Regierung zu Fall bringen wollen. Cengiz Aktar meint, Erdogan solle in den nächsten Monaten erst recht zeigen wie wichtig ihm die EU-Mitgliedschaft ist:
"Sie sollten gerade jetzt die Reform der Verfassung voranbringen und sie sollten dem EU-Prozess einen kräftigen Schub geben. Von nun sollte die Regierung jeden Tag über die EU-Mitgliedschaft und die notwendigen Änderungen reden. Diejenigen in Europa, welche die Türkei noch nie dabei haben wollten, sind über diese innenpolitische Krise sicher mehr als erfreut, weil sie sehen, dass die Türkei ganz allein vom Kurs einer Vollmitgliedschaft abkommt."
Bis zu einem Urteil des Verfassungsgerichts werden Monate vergehen, möglicherweise Monate der politischen Lähmung. Wirtschaftlich beginnt sich die Krise bereits auszuwirken: Die türkische Lira ist Anfang dieser Woche gegenüber Dollar und Euro auf ein Rekordtief gerutscht.