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Verbrecher am Gesicht erkennen?

"Was für eine Verbrechervisage; dem möchte ich nicht im Dunkeln begegnen..." - das hat sicherlich jeder schon über einen Mitmenschen gedacht, dessen Aussehen ihm suspekt erschien. Aber wie weit ist es her mit solchen Beurteilungen? Ein einfacher Test sollte es zeigen: In die Vorlesung "Kriminologie I" an der Ruhr-Universität Bochum hatte Professor Dr. Hans-Dieter Schwind heute Morgen sowohl Straftäter als auch Gesetzeshüter eingeladen. Die Studierenden sollten nun schätzen: Wer könnte wohl stehlen, betrügen oder zuschlagen? Wer kann kein Wässerchen trüben? 13 Männer, bekleidet mit Jeans und Pullover, trugen eine Nummer auf dem Pappkarton in der Hand. Darunter waren fünf Gefängnisinsassen und acht gesetzestreue Bürger: ein Staatsanwalt, ein Gefängnisleiter und der Kölner Regierungspräsident Jürgen Roters: "Dieses Experiment ist außerordentlich spannend und es zeigt, wie sehr sich die Hochschule und die Kriminologie öffnet. Dass sie nicht in einem Elfenbein agiert, sondern versucht reale Situationen nachzustellen."

    Die Einschätzung der Studierenden: Jürgen Roters wurde angedichtet, er sei ein Betrüger oder möglicherweise ein Drogendealer. Das Ergebnis der Vorlesung war, dass von den sieben Männern, die am häufigsten als Verbrecher eingeschätzt wurden, fünf unbescholtene Bürger waren. Ein Bochumer Staatsanwalt war der Spitzenreiter. Professor Hans-Dieter Schwind: "Wir machen das Experiment, um den Studenten, die später mal Richter und Staatsanwalt werden wollen, zu zeigen, dass man vom Äußerlichen nicht auf Wesen, Charakter oder Straftat eines Menschen schließen kann. Dieses Experiment soll im Hinterkopf der Studenten bleiben. Ich hoffe, dass sie Sensibilität genug entwickeln, von selbst auf diesen Gedanken zu kommen. Aber das heutige Experiment untermauert dies zusätzlich." Seit 26 Jahren macht Hans-Dieter Schwind solche Untersuchungen. Mal geht er mit den Studenten ins Gefängnis, nimmt an Mahlzeiten teil, manche übernachten dort. Mal holt er Prostituierte in den Hörsaal, um den angehenden Juristen einen Bereich zu zeigen, den sie sonst nicht kennen lernen würden. Die Studierenden waren begeistert und überrascht über ihre Fehleinschätzungen. Ein Student: "Ich habe den Staatsanwalt für einen Drogendealer gehalten. Mit seinen schwarzen Klamotten sah er bleich und bekifft aus."