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Verdachtsberichterstattung
Dürfen die das?

Medien sollen nicht nur über Tatsachen berichten, sondern auch aufdecken und aufklären. Dabei geht es - wie bei Dieter Wedel - oft um Vorwürfe und Verdächtigungen. Wie sollten Journalisten mit diesen heiklen Fällen umgehen?

Von Philip Banse | 08.03.2018
    Der Regisseur Dieter Wedel spricht in ein Mikrofon.
    Der Fall Dieter Wedel ist ein Beispiel für Verdachtsberichterstattung. (Swen Pförtner / dpa )
    Verdachtsberichterstattung sei wahrscheinlich das größte Privileg, das Journalisten besitzen, und zugleich die größte Verantwortung, mit der sie umgehen müssen, sagt Georg Mascolo, Leiter Rechercheverbund NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung. Denn Journalisten dürfen, müssen mitunter über Dinge berichten, die sich hinterher als falsch herausstellen können.
    "Trotzdem folgt daraus für den Journalisten keine Sanktion – so er sich denn an die klaren und sehr strengen Vorgaben hält, was eine Verdachtsberichterstattung ist", sagt Mascolo.
    Begründeter Verdacht als Kriterium
    Diese Regeln ergeben sich aus der Rechtsprechung und dem Pressekodex, einem Regelwerk, das sich die Medien in Deutschland selber gegeben haben. Danach haben auch Journalisten erstmal die Unschuld eines Verdächtigen anzunehmen, sie achten dessen Persönlichkeitsrechte – dürfen aber ausdrücklich auch über Verdächtige berichten und unter Umständen sogar deren Namen nennen.
    Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, sagt, eine saubere Verdachtsberichterstattung setze zwei wesentliche Anforderungen voraus: "Auf der einen Seite einen wirklich begründeten Verdacht, einen Verdacht, der auf Tatsachen beruht, und diese Tatsachen müssen in einem besonders hohen Maß sorgfältig recherchiert sein".
    Zurückhaltung nötig
    Die Sprache der Journalisten soll zudem nüchtern sein und frei von Verurteilungen – gerade in Zeiten, da Emotionen in sozialen Netzwerken schnell überkochen und Verdächtige besonders leiden. "Und auf der anderen Seite bedarf es eines klar zu beschreibenden Informationsinteresses der Allgemeinheit, das über die reine Sensationsgier hinausgeht."
    Der Verdacht muss also echten Nachrichtenwert haben. Anwaltverein und Berliner Journalistenverband ließen bei der Tagung in Berlin diskutieren, ob diese Kriterien erfüllt wurden bei der Berichterstattung über den deutschen Regisseur Dieter Wedel.
    Die Wochenzeitung "Die Zeit" hatte in zwei Artikeln mehrere Schauspielerinnen zu Wort kommen lassen, die Wedel detailliert schwere Straftaten bis zur Vergewaltigung vorwerfen, teilweise in eidesstattlichen Erklärungen.
    Öffentliches Interesse im Fall Wedel
    "Die allererste Frage, die man sich allerdings stellen muss, ist: Wo ist das öffentliche Interesse?", findet die Rechtsanwältin Gül Pinar aus dem Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins. Das öffentliche Interesse sei vorhanden, das bestreitet auch Pinar nicht:"Ich meine trotzdem, dass der erste Bericht auch ohne Namensnennung hätte geschehen können."
    Der Hausanwalt der ZEIT, Jörg Nabert, verteidigt die Namensnennung: "Dieter Wedel ist mit dem Thema sexueller Übergriff am Set selber vorher raus gegangen. Der ist im Herbst vor die Mikrofone getreten und hat gesagt: Ich war Opfer, weil ich für schwul gehalten wurde. Und mich haben immer Männer angefasst und ich musste mich dem erwehren und ich bin einer, der ganz streng gegen jede Form sexueller Übergriffe ist. Das heißt, er selber hat das Thema öffentlich gemacht und dann muss er es auch hinnehmen, wenn er namentlich konfrontiert wird." Auch habe seine Redaktion den Verdacht gegen Dieter Wedel ausreichend mit Tatsachen belegen können.
    Einzelfall oder großes Thema?
    Auch Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent beim Tagesspiegel und Mitglied des Deutschen Presserats, sieht das öffentliche Interesse. Er gibt jedoch zu bedenken, dass sich infolge der ZEIT-Berichte über Wedel bisher kaum weitere Opfer aus der Filmbranche gemeldet hätten, die ein vermutetes System des sexuellen Machtmissbrauchs belegen könnten: "Wenn ich mich hinstelle und sage: Ich berichte über den Einzelfall, weil er pars pro toto für ganz viele steht, und dann kommen keine, das ist finde ich ein Problem in diesem Fall."
    Das könne ja noch kommen, entgegnet Georg Mascolo vom Rechercheverbund NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung. Er verlangt für eine legitime Verdachtsberichterstattung aber auch eine offenere und fairere Fehler-Kultur.