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Verdi-Aufführung
Das Ende eines Dogen

Die Musik von "I due foscari" gehört zum Schönsten, was Giuseppe Verdi geschrieben hat. Nun erweist das Theater an der Wien dem frühen Werk eine ganz besondere Hommage - mit Placido Domingo in der Rolle des alten Dogen von Venedig.

Von Gernot Zimmermann | 16.01.2014
    Das Verdi-Jubiläumsjahr ist zwar schon um, aber mit der Aufführung der selten gespielten Oper "I due foscari" erweist das Theater an der Wien dem frühen Verdi eine ganz besondere Hommage. Und mit Placido Domingo in der Partie des alten Dogen von Venedig, der seinen Sohn verliert, war ein Verdi-Fest fast vorprogrammiert.
    Was in Hamburg Simone Young erfolgreich anging, nämlich die frühen Opern Verdis auf die Bühne zu bringen, die lange naserümpfend von sogenannten Verdi-Kennern abgetan wurden, das macht ihr der erfolgreiche Intendant des Theaters an der Wien Roland Geyer nun nach. Dazu bedient er sich des ORF-eigenen Radiosymphonieorchesters Wien, das immer wieder Oper im Theater an der Wien spielt, obwohl sein Kernrepertoire eigentlich die Moderne sein sollte. Aber schon im vergangenen Mai zeigte es mit Verdis "Trovatore", dass es sich auch auf Verdi einstimmen kann, wenn auch der damalige Dirigent Omer Meir Welber nicht ganz den Erwartungen entsprach. In Berlin feierte die eigensinnige Festwochen-Inszenierung nun unter Barenboim und mit Anna Netrebko Triumphe.
    In Wien steht nun James Conlon am Pult, der gemeinsam mit Placido Domingo die Oper in Los Angeles leitet und "I due foscari" schon dort und in Valencia dirigiert hat. Demnächst folgt Covent Garden London. Und er macht verständlich, was Placido Domingo vor der Wien in einer Pressekonferenz gesagt hat: Die Musik von "I due foscari" gehöre zum Schönsten, was Verdi geschrieben hat. In der Oper aus dem Jahr 1844 klingt schon viel von den späten Meisterwerken wie "Don Carlo" oder "Aida" an.
    Der 31-Jährige verfasste auf dem Libretto von Francesco Maria Piave nach einer Vorlage von Lord Byron damit seine erste Dogen Oper. Später wird er in "Simone Boccanegra" noch einmal in die Serenissima zurückkehren. Diesen Boccanegra hat Domingo zuletzt mit großem Erfolg an der Staatsoper gesungen. Dem frühen Verdi fehlt die Ambivalenz und Tiefe der Figuren, aber die Musik ist frisch und mitreißend.
    Ein Opern-Ufo aus Amerika
    Domingo ist ja zuletzt bekanntlich ins Baritonfach gewechselt, wenn der über 70-jährige Künstler auch sagt, er singe nicht wie ein Bariton, sondern mit der ihm ganz eigenen Stimme. Die Heldentenöre interessieren ihn heute nicht mehr, die hat er hinter sich gelassen, ihn interessiert die Menschengestaltung und im dritten und letzten Akt, hat er als sterbender Doge Francesco Foscari das Publikum wie eh und je in der Hand.
    Das Publikum bejubelte Domingo, aber auch seinen Schützling Arturo Chacón-Cruz, der seinen verurteilten und aus Venedig verbannten Sohn Jacopo Foscari singt, sowie dessen Gattin, die hochdramatische, von den Kanarischen Inseln stammende Davinia Rodriguez. Auch der sinistre Gegenspiele Domingos Loredano, gesungen vom Bass Roberto Tagliavini, überzeugte gestern Abend trotz seiner unsympathischen Rolle.
    Den Palazzo Foscari aus dem Jahr 1450 kennt man aus Fahrten am Canale Grande in Venedig. Seine spätgotische Pracht mit Spitzbögen und Marmor mischt das Bühnenbild mit Anklängen an den deutschen expressionistischen Stummfilm. Der junge amerikanische Regisseur Thaddeus Strassberger verstärkt diesen Eindruck, indem er verschnörkelte Zwischentitel wie in der Stummfilmzeit über die Szene projizieren lässt. Er genießt sichtlich die Folterkammer oder den Maskenball zu inszenieren, und setzt insgesamt auf Schau oder Showwerte, wie die an amerikanischen Opern wie der New Yorker Met oder der Oper von Los Angeles geschätzt werden.
    Psychologische Tiefenarbeit oder ein konzeptueller Ansatz, wie sie für Regisseure wie Claus Guth, Christoph Loy oder Robert Carsen vermutlich bedeutsam wären, scheint er nicht zu kennen. Insofern wirken diese "due foscari" auch ein wenig wie ein Opern-Ufo aus Amerika, das in Europa gelandet ist. Aber auch das kann zur Abwechslung Vergnügen bereiten.