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Verdichtungsraum der Unzufriedenheiten

Tilmann Köhler hat am Maxim Gorki Theater in Berlin eine Art Werkstatt ins Leben gerufen, bei der Regisseure und Autoren gemeinsam an Stücken arbeiten. "Kloster der Wut" nennen sie ihr Projekt, und die erste Premiere hat nun stattgefunden: eine Bühnen-Adaption des Kinofilms "Die fetten Jahre sind vorbei".

Von Eberhard Spreng |
    Da hocken zwei junge Leute auf dem Boden vor der Wand und haben ein Problem: Sie muss ihre Wohnung renovieren, um ihre Kaution zurückzubekommen, aber dann hat sie immer noch 96.000 Euro Schulden wegen eines Unfalls mit ihrem nicht versicherten Wagen. Und er möchte die Lebensverhältnisse auf diesem Planeten vor allem für die Menschen in der ehemaligen Dritten Welt verbessern, wo Kinder für Hungerlöhne Sportschuhe nähen. Dafür müsste sich das Bewusstsein vor allem der gierigen Reichen in den westlichen Konsumgesellschaften ändern. Und dann gibt es noch das eher als angenehmes Kribbeln empfundene Problem, dass sich da ein junger Mann in die Freundin seines besten Freundes verliebt, womit die klaren Linien seines revolutionären Vorhabens verwischt werden.

    Wie wir schon in dem Film von Hans Weingartner sahen, brechen Jan und Peter nachts in die Villen im Berliner Grunewald ein, um das Mobiliar superreicher Kapitalisten auffällig umzugruppieren und mit Aufschriften wie "Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Sie haben zu viel Geld" zu versehen. Unterschrieben wird das Ganze mit "Die Erziehungsberechtigten". Umdenken, Bewusstseinsveränderung, Lernprozesse sind also das Ziel, nicht gewaltsame Umverteilung nach unten qua Diebstahl.

    Das passt gut in die dreiteilige Reihe "Kinder der Sonne", nach einem Stück der Namenspatron Gorki, einer "Lernwerkstatt", in der nach der Brauchbarkeit gesellschaftlicher Bilder und Ideologien gefragt werden soll. Zum Abschluss dieser programmatischen Dramen-, Themen- und Theaterwerkstatt im Gorki-Studio will man sich in ein "Kloster der Wut" versammeln. Eine Reihe von drei Aufführungen wird flankiert von Filmvorführungen und Lesungen von Stücken eines eigens ausgerichteten Stückewettbewerbs.

    Nach den Vorstellungen des Projektleiters Tilmann Köhler soll dieses Kloster nicht in die friedliche Versenkung und innere Einkehr führen, sondern als Verdichtungsraum der Unzufriedenheiten, zum Aushecken eigener utopischer Lebensentwürfe dienen, Wutpotenziale steigern durch räumliche Verdichtung, so wie der Noch-Hausregisseur am Weimarer Nationaltheater sie in Neubauvierteln am Rand von ostdeutschen Kleinstädten entdeckt, in dem sich Menschen zusammenfinden, um den herrschenden Verhältnissen zu entkommen. Thomas Freyers "Separatisten", das Köhler demnächst zum Abschluss der Reihe urinszenieren wird, hat so etwas zum Thema. Die Revolte, so vermutet der Kopf des Unternehmens "Kloster der Wut", könnte demnächst wieder eine Frage des Ortes werden, eine Frage von auch urban erlebtem Zusammengehörigkeitsgefühl. Vor allem aber wünscht er sich ein Theater, das seine ganze Aufmerksamkeit auf den Text richtet und seine ästhetischen Mittel, ein wenig nach dem Vorbild der Regeln von Dogma 95 um Lars von Trier, bewusst einschränkt.

    In der von Frank Abt nun vorgelegten Theaterversion des "Die fetten Jahre sind vorbei"-Films sind die Vorteile einer solchen Demut schon erkennbar. Anders als die lustig vor sich hin krakelenden und jeden erst-schlechten Regieeinfall nicht scheuenden Studio-Arbeiten vom Saisonstart ist der Konfliktraum klar umrissen, in dem sich das Revolutzer-Trio und der von ihnen entführte neureiche 68er bewegen. Einheitlich silbergraue Wände fassen das Gorki-Studio ein, wenig Requisiten genügen den Akteuren. Umso klarer klingen die Botschaften: "Ein glücklicher Mensch ist in der Konsumgesellschaft völlig unbrauchbar, weshalb unser ganzes System auf dem Herstellen von ständiger Unzufriedenheit beruht." Aber auch, dass die paar Liebeshormone, die Endorphine und andere Drogen kein Ersatz für die Schaffung besserer Verhältnisse sein dürfen, erfahren wir. Die lange Episode auf der Almhütte in den Bergen, als der Film fröhlich mit der Komödie liebäugelte, bevor er ins graue Berlin zurückkehrte, hat die Theateraufführung komplett getilgt. Ihr ging es erst mal nur um eine klare Startvorgabe fürs "Kloster der Wut": Die Flucht in die Liebe ist keine Lösung, und vor allem "Kauft kein Schuhe von Nike!" Wie im Film wird auch hier von der Nutzlosigkeit alter Revoltetechniken - Demonstrationen zumal – ausgegangen. Die neuen Verfahren sind noch nicht gefunden, werden aber dringend ersehnt.