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Verdis „La Traviata“ in Paris
Todesdiagnose per Textnachricht

Sie wollen, können aber nicht zueinander finden. Violetta und Alfredo aus Verdis "Traviata" sind eines der bekanntesten Liebespaare der Opernwelt. Regisseur Simon Stone hat die beiden für seine Pariser Inszenierung in die Gegenwart geholt. Ein großer Bilderrausch, der nicht von der Tragik ablenkt.

Von Jörn Florian Fuchs | 13.09.2019
Regiseur Simon Stone am 25.07.2019 während der Fotoprobe zur Oper Medee ( Luigi Cherubini ) bei den Salzburger Festspielen, Österreich
Regisseur Simon Stone erntete im Pariser Palais Garnier großen Applaus (imago / Ernst Wukits)
Im gerade vergangenen Salzburger Festspielsommer arbeitete sich Regisseur Simon Stone an Luigi Cherubinis Opéra-comique "Médée" ab. Stone übertrug die mythische Geschichte ins Hier und Jetzt nach Salzburg. Das Ergebnis spaltete Kritik wie Publikum.
Auch seine Pariser "Traviata" spielt in der Gegenwart, nur dass Stones Konzept dieses Mal mühelos aufgeht. Wieder gibt es bühnenhohe, hyperrealistische Videos zu sehen, dazu unzählige Räume mit aufwändigen Bühnenbildern. Mal sieht man online Szenen einer kurzen, heftigen Beziehung; mal einen echten Club voller bunter Gestalten; mal eine Bruce-Nauman-artige Neonröhreninstallation mit kopulierenden Figuren oder einen Fast-Food-Imbiss namens "Paristanbul". Dazwischen erscheinen jede Menge Text- und Bildnachrichten von Violetta. Doch die erst witzigen, einfallsreichen Fotos und Emojiis werden plötzlich eindimensional düster, als der Arzt Violetta die Diagnose Krebs textet.
Berückend schöne Sterbenskantilenen
Es wird viel geschluchzt im letzten Akt. Das liegt vor allem an den berückend schönen, klaren, ergreifenden Liebes- und Sterbenskantilenen der Sopranistin Pretty Yendes als Violetta. Die Südafrikanerin singt und spielt fantastisch und hat in Benjamin Bernheim – als Alfredo Germont – ein ideales Gegenüber. Die beiden könnten das neue Pariser Operntraumpaar werden. Für Jules Massenets "Manon" im kommenden Februar sind sie jedenfalls schon gebucht.
Yende liefert wunderbar irrlichternde und zugleich präzise Spitzentöne, Bernheim singt wie eine Art Anti-Jonas-Kaufmann, nämlich vokal schluchzend, ohne die Gaumensegel zu strapazieren, dafür hell, klar, lodernd expressiv. Ludovic Tézier orgelt sich als alter Germont erst bösartig, dann zunehmend (ver)zweifelnd durch seine Partie.
Wirkungsvolles Klangtheater
Am Pult im Pariser Palais Garnier steht der italienische Dirigent Michele Mariotti. Er lässt sich mit spürbarer Lust auf die Szenen ein. Mal dimmt er das Orchester fein, mal realisiert er großen, opulenten Klang. Regietheater im Graben gibt es nicht: Keine exaltierten Neuerfindungsversuche, sondern in jedem Moment ausgezeichnetes, wirkungsvolles Klangtheater. Toll tönen auch die von José Luis Basso einstudierten Chöre.
Das traditionell konservativ eingestellte Pariser Opernpublikum ließ sich am Ende überwiegend zu Applausstürmen hinreißen. Mal sehen, wie die Wiener Reaktionen ausfallen. Denn Simon Stones "Traviata" wandert demnächst an die Staatsoper.