Archiv

Verdis "Maskenball" in Brüssel
Totale Überwachung

Bevor das Théâtre de la Monnaie in Brüssel für ein paar Monate schließt, um Reparaturarbeiten durchzuführen, wird der "Maskenball" von Giuseppe Verdi gezeigt. Mit der Umsetzung des Historiendramas aus dem 19. Jahrhundert in die postdemokratische Ära des 21. wurden Carlo Rizzi und Alex Ollé beauftragt.

Von Frieder Reininghaus | 13.05.2015
    Die reich verzierte Decke der Brüsseler Oper La Monnaie-De Munt am 24. Februar 2014.
    Das Théâtre de la Monnaie, das ja dem Stagione-Prinzip folgt, wird ab dem 28. Mai für einige Monate geschlossen sein. (Imago / Belga)
    Es ist eine Sphäre der kältesten Herrschaftsarchitektur, in die der Bühnenbildner Alfons Flores den schwedischen Rokoko-Hof von König Gustav III. rückt: Viele Betonstelzen ragen aus der Höhe herab. Sie strukturieren den Bühnenraum zusammen mit Türrahmen, die sich nicht schließen lassen, je nach dem Grad ihrer Absenkung immer wieder auf verschiedene Weise - je nachdem, ob dem Chor Platz für die Huldigungen an die Nummer 1 im Staate zu schaffen war oder ob ein eher den Blicken der Öffentlichkeit entzogener Raum des Machtapparats gezeigt werden soll. Es ist ein unübersichtliches Gelände, in dem sich das zu keinem Zeitpunkt ausgelebte Techtelmechtel zwischen dem Monarchen und der Frau seines besten Freundes anbahnt, dann auch das gewaltsame Ende findet. Nur am Anfang gewährt eine aus- und einladende Video-Projektion mit schönen nackten Körpern, die elektronisch auf irrwitzige Weise tätowiert wurden, Einblick in die medialen Verheißungen.
    Einen Konflikt in einem totalitären System
    Die Untertanen wie ihr Führer wurden unter Perücken mit angegliederten Ohrklappen gezwängt: Drastisch zeigt Alex Ollé, dass es sich bei der Verhandlung der Interessenskonflikte zwischen feudalabsolutistischem Führungsanspruch und Adelsprivilegien um einen Konflikt in einem totalitären System handelt. Uniformiert und durchnummeriert sind Solisten wie Choristen. Sie bewegen sich auf denkwürdige Weise steif, statuarisch und mitunter auch ungelenk (allerdings gelenkt!), als sollten sie in Gänze einen grotesken "Maskenball" des Todes vor Augen führen.
    Nun gut, sie sind durchweg nicht mehr die Jüngsten. Das reale Alter der SängerInnen entspricht dem Spielalter: Gustav und sein Attentäter waren etwas über 50 Jahre alt, als sie aus dem Leben scheiden mussten - die im Beziehungsschnittpunkt stehende Amelia ist nicht viel jünger. Und auch die Wahrsagerin nicht, deren Partie mit Marie-Nicole Lemieux ebenso stimmkompetent besetzt ist wie die Partie der untreu-treuen Frau im Zentrum des Interesses - mit der energischen María José Siri.
    Auch die Männerrollen haben in Brüssel durchweg Sänger gefunden, die dem Anspruch des Hauses entsprechen - vornan mit dem kleinen König im kalten Ambiente, Stefano Secco, und mit George Petean als erst bester Freund und dann entschlossenster Feind. Carlo Rizzi begleitet so umsichtig wie zupackend. Musikalisch ist der Abend in bestem Lot.
    Reperaturpause für das Théâtre de la Monnaie geplant
    Das Théâtre de la Monnaie, das ja dem Stagione-Prinzip folgt, wird ab dem 28. Mai, wenn die "Maskenball"-Vorstellungen absolviert sein werden, für ein paar Monate geschlossen, damit dringend notwendig gewordene Reparaturarbeiten durchgeführt werden können. Das bedeutet auch eine Atempause für das Haus, das im vergangenen Jahr mit monströsen Sparauflagen seitens der zuständigen belgischen Politiker konfrontiert wurde (von ihnen konnte nach heftigen Protesten die größere Hälfte nun wieder abgewendet werden); dennoch erscheint das Theater mit etwa 30 Millionen Euro im Jahr nach wie vor finanziell nicht so ausgestattet, dass es gleichsam automatisch in der obersten europäischen Liga mitspielen kann (zum Vergleich: Die Bayerische Staatsoper bekommt das dreifache vom Freistaat).
    Vor dem Hintergrund, dass mit "Un ballo in maschera" noch einmal breiteste Akzeptanz eingeworben werden sollte, ist verständlich, dass ein international so renommierter Regisseur wie der langjährige Leiter der katalanischen Steilwandartistengruppe "La fura dels baus" mit der Umsetzung des Historiendramas aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in die postdemokratische Ära des 21. beauftragt wurde. Die Brüsseler Spitzen und das Bürgerpublikum in Parkett und Rängen hat er mit seiner monolithischen Sicht auf das Totalitäre der schwedischen Gesellschaft am Ausgang des 18. Jahrhunderts nicht von den roten Sesseln gerissen. Vielleicht ist es ganz gut, dass das Haus, das in dieser Saison ja bereits höchst Markantes wie Krzysztof Warlikowskis superscharfe "Don Giovanni"-Inszenierung oder die gediegene Uraufführung von Pascal Dusapins Kleist-Oper "Penthesilea" geboten hat, nun eine kleine Zäsur bekommt.