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Verdrängtes Kapitel deutscher Kolonialgeschichte

Vor hundert Jahren erhob sich der Süden der Kolonie Deutsch-Ostafrika gegen die weiße Fremdherrschaft. Die drei Jahre andauernden Kämpfe kosteten vor allem in der Zivilbevölkerung fast 100.000 Menschen das Leben, schätzen die beiden Herausgeber Felicitas Becker und Jigal Beez, die mit ihrem Buch ein fast vergessenes unrühmliches Kapitel deutscher Kolonialgeschichte sorgsam rekonstruiert haben.

Von Dirk Asendorpf | 08.08.2005
    Deutsch-Ostafrika vor einhundert Jahren: Der Völkerkundler Karl Weule war im Auftrag des Kolonialrats in den Süden Tanganjikas gereist. Er sollte das Wesen der Afrikaner ergründen, die 15 Jahre zuvor zu Untertanen des deutschen Kaisers geworden waren und sich seit Mitte 1905 plötzlich so rebellisch gegen die Kolonialmacht zeigten. Nicht nur die Landkarten Afrikas hatten damals noch viele weiße Flecken. Auch Kultur und Natur seiner Bewohner war den Kolonisatoren fremd. Alles konnte deshalb von Interesse sein. Als Karl Weule von seiner Forschungsreise nach Leipzig zurückkehrte, hatte er 1 640 völkerkundliche Objekte im Gepäck, 1 300 Fotos, 40 Stummfilme und 57 Tonaufnahmen.

    20. Juli 1905. Im Dorf Nandete wird die Kriegstrommel gerührt. Männer vom Volk der Matumbi beginnen damit, auf einer deutschen Plantage die unter Zwangsarbeit angebauten Baumwollpflanzen auszureißen. Wie ein Buschfeuer greift die Rebellion im Süden der Kolonie um sich. Am 30. Juli wird ein deutscher Siedler namens Hopfer auf der Flucht vor den Aufständischen erschlagen. Einen Tag später erobern über 1.000 Kämpfer den Küstenort Samanga und plündern ihn. Ihr Kampfruf heißt "Maji-Maji". Moritz Merker, ein Hauptmann der so genannten deutschen "Schutztruppe", versuchte sich einen Reim darauf zu machen.

    Die Häuptlinge verbreiten unter ihren Leuten, dass ein in den Pangani-Schnellen lebender Geist dem in Ngarambe wohnenden Medizinmann eine Zaubermedizin gegeben habe, die den, welcher sie besäße, von allen Landwirtssorgen befreien würde. Sie würde ferner Wohlstand und Gesundheit verleihen, Hungersnot und Seuchen fernhalten und im Besonderen die Pflanzungen vor den Verwüstungen durch Wildschweine schützen. Sie garantierte reiche Ernte, so dass die Leute in Zukunft nicht mehr für die Fremden Lohnarbeit zu verrichten brauchten. Die Medizin sollte schließlich auch unverwundbar machen, sollte bewirken, dass die Geschosse des Gegners von den Zielen wie Regentropfen abfielen.

    Maji, das bedeutete eigentlich nur "Wasser" in der Handelssprache Kisuaheli. Und tatsächlich bestand Maji-Maji, das Zaubermittel gegen die Deutschen und die Plagen der Natur, vor allem aus Wasser. Boten, so genannte Hongos, verbreiteten die Formel, wie das Wasser mit Hirse zu Maji-Maji verkocht und wie es angewendet werden musste. Doch schon bald zeigt sich, dass das Zaubermittel gegen deutsche Maschinengewehre nicht hilft. Zwischen Oktober und Dezember 1905 brechen drei Großangriffe der Maji-Maji-Krieger im Kugelhagel zusammen. Daraufhin wechseln beide Seiten ihre Taktik. Die Angreifer verlegen sich auf einen Guerillakampf mit kurzen und überraschenden Überfällen aus dem Hinterhalt, die Schutztruppe rächt sich an der Zivilbevölkerung. Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa gebrauchte für das deutsche Vorgehen den Begriff "Taktik der verbrannten Erde". Dass er dabei das Land zerstören muss, das er doch eigentlich zum wirtschaftlichen Nutzen Deutschlands ausbeuten soll, verteidigte Gustav Adolf Graf von Götzen, seit 1901 Gouverneur in Deutsch Ostafrika, im Nachhinein so:

    Wie in allen Kriegen gegen unzivilisierte Völkerschaften war auch im vorliegenden Fall die planmäßige Schädigung der feindlichen Bevölkerung an Hab und Gut unerlässlich. Die Vernichtung von wirtschaftlichen Werten, wie das Abbrennen von Ortschaften und Lebensmittelbeständen, erscheint wohl dem Fernstehenden barbarisch. Vergegenwärtigt man sich aber einerseits, in wie kurzer Zeit afrikanische Negerhütten wieder erstehen und wie rasch die Üppigkeit der tropischen Natur neue Feldfrüchte hervorbringt, andererseits, dass in den meisten Fällen, wie auch dieser Krieg bewiesen hat, ein solches Vorgehen einzig und allein den Gegner zur Unterwerfung zu zwingen vermag, dann wird man zu einer milderen Auffassung dieser "dira necessitas" gelangen.

    Die "grausame Notwendigkeit" des Gouverneurs Götzen führt nach drei Jahren zum vollständigen Sieg über die Aufständischen. Doch der Schaden ist enorm. In den Gefechten kommen mehrere tausend Afrikaner zu Tode. Und in der Zivilbevölkerung sterben mehr als 100.000 Menschen an den Folgen von Plünderungen, Vertreibung, Krankheiten und Hunger. Von einem Völkermord wollen die Autoren des Buches "Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika" dennoch nicht sprechen. Anders als beim zeitgleichen Krieg in Deutsch-Südwestafrika gegen die Herero und Nama seien die Vernichtungsaktionen weitaus weniger systematisch und flächendeckend gewesen.

    Es ist nicht nachzuweisen, dass hinter den Aktionen der Kolonialtruppe die klare Absicht stand, die Völker auszurotten. Von entscheidender Bedeutung für die hohen Opferzahlen in Deutsch-Ostafrika war vielmehr das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, von denen die Strategie der verbrannten Erde nur einer war, wenn auch der bedeutendste. Hinzu kamen die Opfer der eigentlichen Kampfhandlungen und der Ausfall der Regenzeit in der ersten Hälfte des Jahres 1907, wodurch die Zahl der Hungertoten in einigen Gebieten noch einmal erheblich anwuchs.

    Nur die Deutschen kommen fast ungeschoren davon. Ganze 15 Todesopfer fordert der dreijährige Maji-Maji-Krieg auf ihrer Seite. Denn während in Südwestafrika 15 000 deutsche Soldaten im Einsatz sind und 1500 von ihnen sterben, stellt die Kolonialmacht in Deutsch-Ostafrika nur die Offiziere. Alle einfachen Soldaten, die so genannten Askari, sind in anderen Teilen Afrikas rekrutiert worden und zählen in den offiziellen Dokumenten des Kaiserreichs gar nicht als Kriegsteilnehmer.


    In der geringen Zahl der deutschen Opfer sehen die Autoren einen wichtigen Grund dafür, dass die von der Kolonialmacht verursachte humanitäre Katastrophe bis heute nicht in unser Geschichtsbewusstsein gedrungen ist. Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag, um das endlich nachzuholen. Darin geben sie wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig sehr gut lesbare Auskunft über Ursachen, Verlauf und Folgen des Krieges. Und beweisen, dass nichts dran ist am Mythos der guten deutschen Kolonialherren in Afrika.

    "Wir können ruhig sagen, dass wir niemals eine koloniale Machtpolitik betrieben haben und dass das auch nicht das Ziel unseres Verlangens nach unseren Kolonien ist. Die deutsche Verwaltung hat bewiesen, dass sie den Eingeborenen als den wertvollsten Bestandteil kolonialen Bodens ansieht."

    Vom Maji-Maji-Krieg und seinen verheerenden Folgen ist keine Rede, als Franz Xaver Ritter von Epp, Führer des Reichskolonialbundes, im Mai 1939 auf einer Großveranstaltung die Rückgabe der afrikanischen Kolonien fordert. Bis heute heißen deutsche Kasernen nach Kolonialkriegern, werden ihre Namen auf Straßenschildern geehrt. Doch setzen die 14 Autoren gegen das alte Schwarz-Weiß-Bild vom wilden Afrikaner, der im Zweifel eben mit Gewalt zur Zivilisation bekehrt werden muss, keineswegs ein neues Schwarz-Weiß-Bild vom unschuldigen Afrika, das von bösen Europäern zerstört wurde. Ausführlich gehen sie der Frage nach, welchen Beitrag der innerafrikanische Sklavenhandel und kriegerische Konflikte zwischen den verschiedenen Völkern der Region für das Vordringen der Kolonisatoren geleistet haben.

    Die Entscheidung, Maji anzunehmen oder abzulehnen, war für die Menschen nicht immer leicht. Eine Annahme hatte eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Militärapparat zur Folge, bei einer Ablehnung zog man sich die Feindschaft der Maji-Maji-Bewegung zu.

    50 Jahre später wurde der Maji-Maji-Krieg von der tansanischen Unabhängigkeitsbewegung als erste antikoloniale Erhebung glorifiziert, bei der sich 20 verschiedene Völker gemeinsam gegen die Kolonialherrschaft zur Wehr gesetzt hätten. Darin habe sich die "Vorahnung eines Nationalgefühls" gezeigt, so der spätere Präsident Julius Nyerere. Doch auch diesem Mythos gehen die Autoren des Buches nicht auf den Leim und erinnern daran, dass die Erhebung auf den Süden der deutschen Kolonie begrenzt blieb und im Norden kaum wahrgenommen wurde. Ihre vernichtende Niederlage habe sich zudem kaum als Vorbild für den Befreiungskampf geeignet. So sei es kein Wunder, dass zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns in Tansania keine größeren staatlichen Feiern geplant sind. Anders als in Namibia wurden in Tansania bisher auch keine Forderungen nach Entschädigung für die bis heute sichtbaren Folgen des Krieges laut. Am Ende des Buches schreibt dazu der in Deutschland lebende tansanische Pädagoge Isack Majura:

    Man sollte die Kolonialverbrechen nicht vergessen, aber vergeben. Anstatt Reparationsforderungen zu stellen, sollte man sich versöhnen. Doch eine Versöhnung ist erst dann wirklich möglich, wenn die Deutschen sich ihrer Vergangenheit stellen. Dann könnte man gemeinsam um die Opfer des Kolonialismus trauern und sich aussöhnen. Und erst dann wären die Beziehungen zwischen Tansania und Deutschland normal.

    Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907
    Herausgegeben von Felicitas Becker und Jigal Beez
    Ch. Links Verlag, 240 Seiten, 22,90 Euro