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Vereinigte Staaten oder Vereinte Nationen?

Am 10. Dezember 2012 ist die EU mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Nun geht es darum, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern zu vertiefen und die europäische Ebene zu stärken.

Von Annette Riedel | 13.12.2012
    Europa ist hier sehr grün und großflächig bunt-geblümt. Jedenfalls sieht so der Teppich aus in der Pressebar im Europäischen Parlament in Straßburg. Kurzes Zusammentreffen mit Jo Leinen, SPD-Europa-Abgeordneter und Ehrenpräsident der Union Europäischer Föderalisten. Überzeugteste Europäer von Parteien und Organisationen, die seit 60 Jahren Europa beim engeren Zusammenrücken begleiten beziehungsweise es dazu bewegen wollen.

    "Für die Föderalisten ist das eigentlich eine gute Zeit."

    Die Umbauarbeiten in der Europäischen Union, namentlich im Euroraum der Europäischen Union, bedeuten Auftrieb für diejenigen, die eine gemeinschaftliche handelnde Union wollen?

    "In der Tat gibt es jetzt einen größeren Integrationsschub. Es ist ein Stück mehr europäische Bundesstaatlichkeit, keine Frage. Es werden Kompetenzen übertragen werden müssen – und das ist ein Stück mehr Europa."

    Das ist allerdings nicht jedermanns Sache. Je mehr der Zug in Richtung engeres Zusammenrücken der EU-Staaten geht - mehr Abstimmung, mehr Kompetenzverlagerungen nach Brüssel - wie sich die Föderalisten das wünschen, desto mehr wächst auch die Gegenwehr der Kritiker solcher Entwicklungen.

    "Ich komme gerade auch vom Friedensnobelpreis in Norwegen, einem Land, wo es 50:50 immer war – für Europa und gegen Europa. Und genauso heiß sind die Debatten. Das wird sich fortsetzen in Großbritannien, aber auch in einer Reihe von anderen Ländern, wo die Gegner dann auch mobil machen."

    An diesem Morgen wird der Friedensnobelpreis für die EU gefeiert. Überall sind im Straßburger Parlament Bildschirme, die immer wieder die Osloer Zeremonie und Reaktionen von Europäern auf die Verleihung zeigen. An den Eingängen zum Plenarsaal Leinwände mit der Aufschrift: "Your peace your price" – euer Frieden, euer Preis.

    Guy Verhoffstadt, Fraktionsvorsitzender der Liberalen, ist stolz auf das Erreichte, aber er sieht Handlungsbedarf – hin zu einer noch deutlich mehr föderalistisch organisierten Union. Allerdings ist der Begriff 'Föderalismus’ in vielen europäischen Ländern noch ein rotes Tuch.

    "In Deutschland ist das nicht so, denn Deutschland ist ein föderaler Staat. Wir würden Europa gern genauso organisieren. Das würde nicht die Souveränität Deutschlands in Frage stellen. Aber in manch anderen Ländern gilt "Föderalismus" noch immer als übles Schimpfwort."

    Und weil das so ist, schlägt der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber, selbst kein Anhänger der Vision der Vereinigten Staaten von Europa, vor, für die auch für ihn jetzt notwendige größere Integration der EU-Länder nicht unbedingt den Begriff "Föderalismus" zu verwenden.

    "Bei den Briten muss man sehen, dass das Wort 'federal’ im Englischen eigentlich Zentralismus heißt. Da wird man für die vielleicht ein anderes Wort finden müssen, das zum Ausdruck bringt, dass es eine Balance geben muss, zwischen den Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union."

    Es geht nicht nur um Begrifflichkeit, meint Verhofstat. Die EU muss sich entscheiden.

    "Wir haben jetzt die Wahl – entweder werden wir die Vereinten Nationen von Europa oder wir schaffen die Vereinigten Staaten von Europa. Die Wahl ist eigentlich einfach, denn dass die Vereinten Nationen nicht funktionieren, sehen wir. Weil ein solches System im Kern auf dem Einstimmigkeitsprinzip aufgebaut ist."

    Geht der so genannte Masterplan für eine vertiefte Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsländer, wie er an den kommenden beiden Gipfel-Tagen von den Staats- und Regierungschefs in Brüssel diskutiert werden wird, in Richtung "Europäische Staaten von Europa"?

    Eher nicht meint der eine der beiden Föderalisten Guy Verhofstadt, durchaus meint der andere, Jo Leinen.

    "Auf dem Tisch des Gipfels liegen sehr allgemeine Schlussfolgerungen. Ich fürchte, dass wir in den kommenden Monaten bis zu den Wahlen in Deutschland keine großen Fortschritte machen werden. Wir sind in Europa immer noch von den Wahlperioden der Mitgliedsländer abhängig."

    "Der Masterplan ist ein Versatzstück der Vereinigten Staaten von Europa. Er kommt mit kurz-, mittel- und langfristigen Vorschlägen daher. Das ist schon mal gut, weil wir in der letzten Zeit nur Krisenmanagement hatten und jetzt blicken wir wieder über den Tag hinaus – ich kann das nur begrüßen."

    Er hält zwar das Konzept der Vereinigten Staaten von Europa nicht für realistisch, aber dass die europäische Ebene in mehr Bereichen gestärkt werden müssen, dass sieht auch Markus Ferber so.

    "Ich glaube die Krise hat deutlich gezeigt, dass das Europa der Gründerväter so nicht funktioniert: Man fährt nach Brüssel, verabredet etwas, fährt nach hause und macht vor Ort, was man will. Es geht nur mit starken Institutionen, die auch in der Lage sind, Spielregeln durchsetzen zu können. Fußballspiel ohne Schiedsrichter geht nicht. Und Währungsunion ohne Schiedsrichter geht auch nicht."