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Verfassungsfolklore?

Nun liebe Kinder, welches bahnbrechende politische Ereignis fand zuletzt am 17. und 18. Oktober in Würzburg statt und davor im Mai in Eisenach? Richtig, die Plenartagung der Kultusministerkonferenz. Sie ist, wie ihr ja alle wisst, ein echtes Stück Deutschland, wie es föderalistischer nicht sein könnte. Da hat jedes Bundesland, von Hamburg bis Bayern, Sitz und Stimme und eine Menge zu melden. Denn Kultur ist Ländersache, und dieser Satz muss wie ein Schatz verteidigt werden. Der kostbare kulturelle Kontrast im föderalen Deutschland zeigt sich zum Beispiel darin, dass ein und dasselbe Englischbuch für Schüler in Nordrhein-Westfalen etwas anders aussieht als in Hessen oder Baden-Württemberg. Ein Schulbuchverlag muss von jedem Standardwerk gleich eine Handvoll verschiedener Ausgaben produzieren, weil Englisch von hessischen Hirnen vermutlich anders aufgenommen wird als von nordrhein-westfälischen.

Eine Einführung von Burkhard Müller-Ullrich, aus Anlass ihrer dreihundertsten Aufführung. |
    Wer diesen Bildungsföderalismus für wirtschaftlichen Wahnsinn hält und sich dagegen wendet, wird aber die Erfahrung machen, dass die Kultusminister aller 15 Bundesländer auch sehr einig sein können: und zwar darin, dass dieses Regionalgedöns nicht angetastet werden dürfe. Ja, bei der Verteidigung des Status Quo wird dieses illustre Kollegium ziemlich energisch. 60 Pressemitteilungen hat die Kultusministerkonferenz in diesem Jahr bis jetzt herausgegeben – das macht eine alle vier Arbeitstage, ein Output, der zu Resonanz und Reputation der KMK in groteskem Missverhältnis steht. Darunter sind kämpferische Kommuniqués mit Schlagzeilen wie "Präsidium betrachtet Forderung der FDP nach Abschaffung der KMK als populistisches Wahlkampfgebaren" oder "Bundesbildungsministerin Bulmahn soll sich besser informieren" oder "Focus-Meldung über PISA-Länderstudie ohne sachliche Grundlage".

    Nun waren aber weder jene Focus-Meldung noch das allgemeine Entsetzen über die PISA-Studie ohne sachliche Grundlage. Im Gegenteil: seit einem Jahr ist klar, dass Deutschland das viertschlechteste Schulsystem der westlichen Welt besitzt, und wenn es sich denn bei der Bildungskatastrophe nicht um ein Naturereignis wie Hochwasser handelt, dann liegt die Verantwortung dafür in der Tat bei den 15 Kultusministern unserer Nation. Sie und niemand sonst leiten und gestalten nämlich das Schulwesen. Doch was haben sie in ihrer erlauchten Runde all die Jahre vorher ausgeheckt? Eine Rechtschreibereform, nach der man sich nicht wundern muss, dass deutsche Kinder Rechtschreibeprobleme haben. Und was hat die KMK sonst noch getan? Sie hat sich neues Briefpapier gestalten lassen und mit großer Geste mitgeteilt, dass künftig nicht mehr das Kürzel KMK, sondern das Wort "Kultusministerkonferenz" verwendet werden soll. Und zwar – auch darauf kommt es an – wird das Wort "Kultusminister" aus der Schrift Prillwitz Italic gesetzt, das Wort "Konferenz" dagegen aus Univers 75 Black.

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