
"Alle adligen Kinder aufstehen!" hat der Lehrer gesagt. Und dann standen sie. Lange. Und hielten durch, ohne Schwäche zu zeigen. Das war Anfang Oktober 1945. Die damals 12- jährige Brigitta Gräfin von Wedel, eine geborene von Schönberg, geht mit ihrer 13-jährigen Schwester auf eine Schule im sächsischen Wurzen. Eigentlich ist der Krieg zu Ende, doch für die adlige Familie geht er weiter. Am 15.Oktober erreicht sie eine unangenehme Nachricht:
"Und da gab es einen fertigen Spruch, wie man verhaftet wurde: Waschzeug und Verpflegung für drei Tage. Und da wusste damals eigentlich jeder: Du bist verhaftet. Das hatte man uns auch gesagt."
Bereits in den Morgenstunden werden ihre Eltern, das Thammenhainer Gutsbesitzer-Ehepaar von Schönberg, mit den anderen fünf Geschwistern und beiden Großmüttern abgeholt. Sie werden nach Colditz gebracht. Dort ist eines von drei sächsischen Internierungslagern. Insgesamt werden 1.400 adlige und bürgerliche Gutsbesitzer, Pächter und Familienangehörige deportiert. Der Dresdner Historiker Matthias Donath ist einer der ersten, der diese Ereignisse recherchiert und wissenschaftlich untersucht hat:
"Die Adligen wurden 1945 von den Kommunisten, von der Sowjetmacht, die ja die Herrschaft in Lande übernommen hatte, pauschal als Faschisten hingestellt. Sie sollten ausgeschaltet werden als eine Führungsschicht. Diese Bezeichnung als Faschist ist aber völlig überzogen. Es gab natürlich Adlige, die sich für den Nationalsozialismus engagiert haben. Es gab aber genau Gegner und diese Befürworter und Gegner gab es in allen Teilen der Gesellschaft."
Nie wird einem der Internierten eine persönliche Schuld nachgewiesen.
Auf der Colditzer Gefangenenliste stehen rund 200 Namen, die Hälfte sind Kinder. Das jüngste ist das sieben Monate alte Baby der Schönbergs. Nach drei Wochen in Colditz heißt es: Fußmarsch zum Bahnhof. Sie werden in Viehwaggons gepfercht. Zwischen sieben und neun Tagen dauert die Fahrt nach Rügen. Es wird gehungert. Auf halber Strecke zerren die Chemnitzer Wachleute den Vater aus dem Waggon:
"Da haben sie ihn rausgerissen und haben den ganz wahnsinnig vor unserem Viehwagen zusammengeschlagen. Und da erinnere ich mich, dass meine Großmutter raus rief: Wir sind doch die Familie mit den vielen kleinen Kindern, wir können doch gar nicht fliehen. Das war denen ganz egal und da hat diese alte Dame angefangen zu beten."
Laut zu beten - und mit ihr der ganze Waggon.
Auf Rügen werden die Deportierten im Winter '45 sich selbst überlassen. Die einheimische Bevölkerung hilft, wo sie kann. Doch die Großmutter stirbt, wie alle, die über 70 sind, sagt Brigittas Bruder Rüdiger von Schönberg. Viele Deportierte fliehen mit Fischerbooten übers Meer. Familie von Schönberg gelingt mit gefälschten Papieren zu Fuß die Flucht über den bewachten Rügendamm. Der damals fünfjährige Rüdiger von Schönberg hat entsetzliche Schmerzen und weint bei jedem Schritt:
"Es lag nicht an der Schwäche, sondern an den Frostbeulen, das weiß ich noch. Wir hatten zum Teil keine Schuhe, das galt für Kinder wie Erwachsene. Mein Vater hatte zum Beispiel nur Fußlappen und hatte gar keine Schuhe mehr. "
Nach mehrtägiger Zugfahrt beginnt in der Dunkelheit der Silvesternacht zu Fuß die Flucht über die Zonengrenze. Vor lauter Angst weint Rüdiger nicht mehr, erinnert sich seine Schwester.
"Und auf einmal sehe ich durch das Unterholz Licht und auf einmal wurden die Erwachsenen alle ganz laut und von da drüben rief man 'Prosit Neujahr' und es ging ein Schuss hoch."
Das ist die Freiheit. Und ein völlig mittelloser Neubeginn im Westen. In den 70er-Jahren besucht Rüdiger von Schönberg erstmals wieder seit der Deportation seinen Heimatort. Der Vater ist strikt dagegen. Er hat Angst um seinen Sohn. Doch die Sehnsucht nach der Heimat ist groß. Nach der Wende kauft Rüdiger von Schönberg das enteignete Elternhaus zurück. Insgesamt leben mittlerweile rund 30 einst vertriebene Adelsfamilien wieder in Sachsen.
"Und da gab es einen fertigen Spruch, wie man verhaftet wurde: Waschzeug und Verpflegung für drei Tage. Und da wusste damals eigentlich jeder: Du bist verhaftet. Das hatte man uns auch gesagt."
Bereits in den Morgenstunden werden ihre Eltern, das Thammenhainer Gutsbesitzer-Ehepaar von Schönberg, mit den anderen fünf Geschwistern und beiden Großmüttern abgeholt. Sie werden nach Colditz gebracht. Dort ist eines von drei sächsischen Internierungslagern. Insgesamt werden 1.400 adlige und bürgerliche Gutsbesitzer, Pächter und Familienangehörige deportiert. Der Dresdner Historiker Matthias Donath ist einer der ersten, der diese Ereignisse recherchiert und wissenschaftlich untersucht hat:
"Die Adligen wurden 1945 von den Kommunisten, von der Sowjetmacht, die ja die Herrschaft in Lande übernommen hatte, pauschal als Faschisten hingestellt. Sie sollten ausgeschaltet werden als eine Führungsschicht. Diese Bezeichnung als Faschist ist aber völlig überzogen. Es gab natürlich Adlige, die sich für den Nationalsozialismus engagiert haben. Es gab aber genau Gegner und diese Befürworter und Gegner gab es in allen Teilen der Gesellschaft."
Nie wird einem der Internierten eine persönliche Schuld nachgewiesen.
Auf der Colditzer Gefangenenliste stehen rund 200 Namen, die Hälfte sind Kinder. Das jüngste ist das sieben Monate alte Baby der Schönbergs. Nach drei Wochen in Colditz heißt es: Fußmarsch zum Bahnhof. Sie werden in Viehwaggons gepfercht. Zwischen sieben und neun Tagen dauert die Fahrt nach Rügen. Es wird gehungert. Auf halber Strecke zerren die Chemnitzer Wachleute den Vater aus dem Waggon:
"Da haben sie ihn rausgerissen und haben den ganz wahnsinnig vor unserem Viehwagen zusammengeschlagen. Und da erinnere ich mich, dass meine Großmutter raus rief: Wir sind doch die Familie mit den vielen kleinen Kindern, wir können doch gar nicht fliehen. Das war denen ganz egal und da hat diese alte Dame angefangen zu beten."
Laut zu beten - und mit ihr der ganze Waggon.
Auf Rügen werden die Deportierten im Winter '45 sich selbst überlassen. Die einheimische Bevölkerung hilft, wo sie kann. Doch die Großmutter stirbt, wie alle, die über 70 sind, sagt Brigittas Bruder Rüdiger von Schönberg. Viele Deportierte fliehen mit Fischerbooten übers Meer. Familie von Schönberg gelingt mit gefälschten Papieren zu Fuß die Flucht über den bewachten Rügendamm. Der damals fünfjährige Rüdiger von Schönberg hat entsetzliche Schmerzen und weint bei jedem Schritt:
"Es lag nicht an der Schwäche, sondern an den Frostbeulen, das weiß ich noch. Wir hatten zum Teil keine Schuhe, das galt für Kinder wie Erwachsene. Mein Vater hatte zum Beispiel nur Fußlappen und hatte gar keine Schuhe mehr. "
Nach mehrtägiger Zugfahrt beginnt in der Dunkelheit der Silvesternacht zu Fuß die Flucht über die Zonengrenze. Vor lauter Angst weint Rüdiger nicht mehr, erinnert sich seine Schwester.
"Und auf einmal sehe ich durch das Unterholz Licht und auf einmal wurden die Erwachsenen alle ganz laut und von da drüben rief man 'Prosit Neujahr' und es ging ein Schuss hoch."
Das ist die Freiheit. Und ein völlig mittelloser Neubeginn im Westen. In den 70er-Jahren besucht Rüdiger von Schönberg erstmals wieder seit der Deportation seinen Heimatort. Der Vater ist strikt dagegen. Er hat Angst um seinen Sohn. Doch die Sehnsucht nach der Heimat ist groß. Nach der Wende kauft Rüdiger von Schönberg das enteignete Elternhaus zurück. Insgesamt leben mittlerweile rund 30 einst vertriebene Adelsfamilien wieder in Sachsen.