Archiv


Verfremdung

Im Kunstmuseum Cottbus sind die Arbeiten des Fotografen Stefan Heyne zu sehen. Er steht in der Tradition der abstrakten Fotografie – auch wenn der Künstler selbst das gar nicht so gern hört. Für ihn gehe es darum, die Fotografie von ihren konkreten Motiven zu befreien.

Von Carsten Probst |
    "Viel, viel Dunkelheit und wenig Licht" - so charakterisiert Stefan Heyne seine Fotografien selbst, und manch einer zweifelt gar daran, ob es sich um Fotografie im strengeren Sinn des Wortes handelt. Heyne selbst entzieht sich gern einer eindeutigen Festlegung, als Künstler ebenso wie in seinen Arbeiten.

    Zu sehen sind in seiner Cottbuser Einzelausstellung vorwiegend unscharfe Konturen, die aus einem dunklen Raum auftauchen, ohne dass man ihnen eine bestimmte Gegenständlichkeit oder eine Bedeutung beimessen könnte. Oft sind es nicht einmal Gegenstände, sondern eher Lichtstreuungen, diffuse Ausleuchtungen, die nichts zum Vorschein bringen außer sich selbst. Als leere Bühnen bezeichnen manche Kritiker diese abstrakten Räume, weil Stefan Heyne eigentlich als Bühnenbildner angefangen hat. Seine Ausbildung an der der Hochschule für Bildende Künste bei dem Bühnenbildner Volker Pfüller, das Heyne 1992 abgeschlossen hat, hat ihn und sein Werk offenkundig geprägt, aber Heyne selbst hält sich mit Deutungen seiner Fotografien zurück. Wer ihn befragt, erhält eher Antworten, die noch mehr Fragen aufwerfen. Antworten wie die, dass ihn an der Fotografie eigentlich immer das Vorhandensein eines Motivs gestört hat und dass es ihm daher darum gegangen sei, die Fotografie von ihren konkreten Motiven zu befreien.

    Aber ist das nicht eigentlich ein klassisch abstrakter Ansatz? Muss man nicht zwangsläufig an die Bauhaus-Experimente mit Lichtfotografie denken, an Laszlo Moholy-Nagy etwa, der eigens einen Licht-Raum-Modulator erfand, eine Maschine, mit der sich Räumlichkeit in Licht- und Schattenerscheinungen verwandeln ließ, oder an Man Ray? Aber auch dagegen wehrt sich Heyne. Er könne mit dem Begriff abstrakt nichts anfangen. Wenn man nachts in einen wolkenverhangenen Himmel schaut und wenig erkennt, ist das dann etwa abstrakt. Nennt man ein Bild gleich abstrakt, nur weil man in der Kunst immer ein gutes, erkennbares Motiv braucht?

    Die Einfachheit seiner Argumente ist entwaffnend, und doch teilt Heynes höchst ungewöhnlich fotografische Praxis ein Merkmal mit der klassischen Abstraktion: Sie wirft den Betrachter auf sich selbst zurück. Das tut schließlich auch ein wolkenverhangener Himmel bei Nacht, selbst wenn er nicht abstrakt ist. Der Effekt ist aber derselbe: Die Aufmerksamkeit wird auf die Frage gelenkt, ob man überhaupt etwas sieht, oder ab die eigene Wahrnehmung ausreicht, um etwas zu erkennen. Und um es vorwegzunehmen, in aller Regel reicht die eigene Wahrnehmung nicht aus. Man kann, wenn es einem niemand vorher gesagt hat, nicht erahnen, wie viel Realität in Heynes Aufnahmen steckt. Dass er beispielsweise 2008 für eine Serie Pressebilder aus dem Irak verwendet hat, die Explosionen zeigen. Er entfernte alle erkennbaren Inhalte, Menschen, Gebäude, Waffen, so dass nichts übrig blieb außer dem Rauch der Explosionen. Er druckte die Bilder auf Aluminium, belegte sie mit schwarzem Staub, der der Dunkelheit ihre opake Stofflichkeit verleiht. Von den inhaltlichen Hintergründen der Bilder ist freilich nichts mehr zu erahnen, allenfalls in den Titeln der Serien.

    Seit 2009 verzichtet Heyne aber auch auf solche letzten Hinweise. So weiß man auch jetzt nicht von vornherein, dass er im Frühjahr 2011 zufällig Zeuge eines Anschlags auf dem Frankfurter Flughafen wurde. Die Fotografien, die er zufällig bei dieser Gelegenheit machte, behandelt er mit derselben totalen Verfremdungsmethode wie gewohnt, erzählt damit zugleich jedoch immer eine konkrete Geschichte. Damit radikalisiert er zugleich die Technik des unscharfen, ominösen Geschichtsbildes, wie es von Gerhard Richter berühmt gemacht wurde, unter anderem in dessen berühmter RAF-Serie. Heynes Fotografien lösen den Kontext auf, bewahren ihn zugleich als Subtext, der als solches die Frage nicht mehr nur nach der Überlieferung der Bilder stellt, sondern nach den Unschärfen der Geschichte selbst: Viel, viel Dunkelheit und wenig Licht.