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Verfremdung in der Küche

Materialforschung. - Von trendigen Küchenchefs wurde das "molekulare Kochen" erfunden. Systematischer wird an solchen Themen in den Forschungsabteilungen des Technologie-Zentrums Bremerhaven gearbeitet. Wie man Mango-Püree in eine Himbeer-Essig-Hülle steckt oder die richtige Konsistenz von Frucht-Mayonnaise auf den Punkt trifft, interessiert die Wissenschaftler vor allem, damit sie neue Lebensmittelprodukte für die Industrie kreieren können. Zwei Tage lang haben sich jetzt Spitzenköche von Lebensmitteltechnologen in die Töpfe schauen lassen.

Von Folkert Lenz |
    "Wir machen jetzt ein Mango-Olivenöl-Eis. Und wir wissen ja alle, dass das gefährlich ist. Das muss ich ihnen ja gar nicht sagen. Das sind 196 Grad minus. Ich habe da einen Heidenrespekt vor…"

    Na klar! Wenn der sternegekrönte Koch Heiko Antoniewicz flüssigen Stickstoff in etwas Fruchtpampe gießt, dann ist ihm die Aufmerksamkeit gewiss. Bei seinen Gästen im Nobel-Restaurant genauso wie bei der Expertenrunde in der Bremerhavener Laborküche.

    "Hier habe ich ein Mangomark, einfach mit etwas Mineralwasser gestreckt. Da mache ich hier jetzt das Olivenöl dazu. Und das passt gut zusammen. Geht im Kopf erstmal völlig auseinander, passt aber wirklich irre gut zusammen."

    Weißer Dampf quillt aus einem blankgeputzten Spezialtiegel. Antoniewicz quirlt den Stickstoff mit einem Schneebesen unter das giftgelbe Püree. Die Kostprobe auf einem Löffel ein paar Minuten später: Die Creme ist kühl und locker. Gar nicht so wie ein normales Eis. Doch warum hat der Koch das Dessert nicht einfach in den Kühlschrank geschoben?

    "Zum Einen wird bei der Stickstoffzubereitung einfach das Fruchtaroma noch mal hoch potenziert. Das Eis bekommt ein größeres Volumen. Das erziele ich im Tiefkühlschrank nicht. Darüber hinaus gibt es bei der Stickstoffzubereitung keine Eiskristalle."

    Das molekulare Kochen setzt auf Überraschungseffekte – nicht nur bei der Optik. Die Zunge verwirren, den Geschmack überlisten: Die Labor-Gourmets haben sich dafür einige Tricks ausgedacht. Zum Beispiel: Nano-Emulsionen. Das sind feinste Tröpfchen einer Flüssigkeit in einer anderen – vorzugsweise Stoffe, die sich sonst nicht mischen lassen, zum Beispiel Wasser und Öl. Chemie hilft, dass man sie dennoch mixen kann – mittels Emulgatoren. In den Bremerhavener Laboren werden aber neue physikalische Mischverfahren ausprobiert, die mit kleinsten Partikeln arbeiten, sagt die Ökotrophologin Claudia Krines.

    "Wenn ich das von der geschmacklichen Seite her sehe, dann könnte ich zum Beispiel ein Minzöl unter einen Erbsengeschmack bringen, um eine gewisse Frische herauszuarbeiten. Oder ich bringe kleinste Farbstoffe so fein in eine Emulsion ein, dass es von der Optik her besser kommt."

    Aussehen, Geruch und Geschmack von Speisen können die Molekularköche in manchen Fällen sogar von den Ursprungszutaten entkoppeln. Der Gaumenverwirrung dienen auch neuartige Verkapselungsverfahren. Die sind schon aus der Lebensmittelindustrie bekannt: Arzneien geben so erst im Darm ihre Wirkstoffe ab und nicht schon im Magen. In Fertiggerichten werden Gewürze erst freigesetzt, wenn das Essen richtig heiß ist, und nicht früher. Jetzt nutzen auch Spitzenköche dieses Wissen. Mit Algenzusätzen oder Gelee aus Zellulose können sie sogar Geschmacksexplosionen im Mund herbeizaubern, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Krines:

    "Da sind wir bei dem Thema Molekulargastronomie und warum Verkapselung von den Köchen aufgegriffen wird. Es ist eine Möglichkeit für sie, Makrokapseln herzustellen. Also Cocktails auf dem Löffel zu servieren. Oder wie setze ich eine Verkapselung gezielt ein, um ein Gericht zu verfremden oder anders darzustellen."

    Wie das geht, weiß auch Heiko Antoniewicz. Er produziert gerade Mozzarella-Bällchen, die es in sich haben:

    "Hier ist die Bindung noch nicht optimal. Da mache ich ein bisschen Xanthane einfach dazu, um das Fett noch mal besser zu binden. Und da kann ich dann andere Medien mit einbringen, wie hier die getrocknete Tomate. Und die kann man dann hier auch wirklich noch mal einschließen…"

    Von außen sieht der Mozzarella-Käse ganz normal aus. Innen drin aber hat ihn Antoniewicz völlig umgebaut: Er ist flüssig. Doch das merkt der Gast erst beim Zubeißen:

    "Also, es riecht nach Tomate und Mozzarella, ganz normal, oder? – Aber jetzt sind wir mal auf die Textur gespannt. – Also außen geleeartig, aber innen so cremig. … Mmmh, sehr lecker…"

    Die so genannten Texturen – also das Gefühl im Mund – machen derzeit noch die meisten Probleme. In einem Fall ist das aber schon gelöst: Eis, das zwar kalt ist, sich aber heiß anfühlt. Eine Idee der Gourmetköche, die jetzt vom Bremerhavener Technologiezentrum für den Massenmarkt umgesetzt werden soll.