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Verfressen und aufdringlich

"Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen" - dem heiteren Ton von Christian Morgensterns Möwenlied mag sich in Westerland auf Sylt wohl niemand mehr anschließen. Eher fühlen Bewohner und Feriengäste sich schon an Hitchcocks Vögel erinnert. Vor einem Jahr haben die Silbermöwen nämlich ihre angestammten Brutplätze verlassen und sind zum Nisten und Fressen mitten in den Hauptort der Insel gezogen. Seitdem haben sie sich dort zu wahren Plagegeistern entwickelt. Die Frage, wie man sie aus Westerland wieder vertreiben könnte, beschäftigt Bürgermeisterin und Naturschützer.

Von Jens Wellhöner |
    Die Fußgängerzone von Westerland: Feine Boutiquen, Parfümerien, Cafes: Und gefräßige Möwen. Im Tiefflug suchen die Vögel nach Essbarem. Wilfried Kaiser arbeitet in einem Fischrestaurant. Er beobachtet das Treiben der Möwen jeden Tag:

    " Die Möwen, die werden von den Leuten gefüttert. Daran sind sie gewöhnt. Und die nehmen den Leuten die Fischbrötchen aus der Hand, das Eis aus der Tüte und so weiter. Kleine Kinder wurden schon am Finger verletzt, die Möwen haben ja scharfe Schnäbel. Also, das ist schon ein Problem hier. "

    Auch Teehändler Ernst Janssen ist genervt:

    " Seit einiger Zeit können wir nachts nicht mehr schlafen. Wir werden spätestens um 2 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Lassen sie sich mal jede Nacht etwa 5 bis 10 Mal aus dem Schlaf reißen, immer aus der tiefsten REM-Phase werden sie regelrecht wach gebrüllt! "

    Die Möwen haben jede Scheu vor dem Menschen verloren. Zu Dutzenden leben und brüten die Silbermöwen mit dem hell-weißen Gefieder jetzt mitten in Westerland. Ein untypisches Verhalten. Werner Mannsen, von der Naturschutzgemeinschaft Sylt :

    " Wir hatten eine große Brutkolonie im Wattbereich. Die Hallig Jordsand. Die ist jetzt überflutet und steht als Brutgebiet kaum mehr zur Verfügung. Und es scheint so zu sein, dass die Möwen sich jetzt neue Brutgebiete suchen, Dächer von Friesenhäusern. Und brüten auf den Dachfirsten. Aber auch auf Flachdächern in der Stadt. "

    Und der Tisch ist für sie in der Fußgängerzone reich gedeckt. Für Westerlands Bürgermeisterin Petra Reiber ein Unding. Man müsse um das Wohl der Anwohner und Touristen fürchten. Und auch um das der Möwen:

    " Ich meine auch im Sinne des Tierschutzes kann es doch nicht gut sein, dass die Möwe sich von Eis und Crepes ernährt. Wir müssen als Menschen sehen, dass die Möwe wieder zu ihrem natürlichen Lebensraum zurückkehrt. "

    Und deshalb wird die Stadt Westerland für das Füttern der Möwen in Kürze unter Strafe stellen. Ein Bußgeld wird dann fällig. Aber das ist nicht alles. Die Bürgermeisterin will verhindern, dass sich die Möwen weiter vermehren:

    " Da bin ich gerade im Dialog mit dem Landesamt für Natur und Umwelt, dass wir eine Ausnahmegenehmigung erhalten, die Möweneier auf den Dächern, aber wohlgemerkt nur auf den Dächern, einzusammeln. Das muss dann natürlich auch mehrmals machen und regelmäßig. Denn die Silbermöwe legt die Eier sofort nach, wenn sie weggenommen werden. "

    Aber noch ist das Einsammeln von Möweneiern streng verboten. Naturschützer Ernst Janssen hält von der Idee der Stadtverwaltung nicht besonders viel:

    " Sicherlich wäre es sinnvoller, die Brut zu verhindern, als Gelege zu entnehmen oder zu zerstören. "

    Die Silbermöwen sollen auf den Dächern von Westerland nicht mehr brüten: Um das zu erreichen, hat Bürgermeisterin Petra Reiber die Dachdecker aktiviert:

    " Es besteht die Möglichkeit, über die Flachdächer Netze zu spannen. Unsere Dachdecker sind schon informiert. Und vierte und letzte Möglichkeit ist eine stärkere Aufklärungskampagne gegenüber den Gästen, dass sie unter keinen Umständen die Möwen füttern. "

    Bis spätestens nächsten Sommer wollen die Sylter ihre Möwenplage in den Griff bekommen. Dann nämlich beginnt wieder die Brutsaison der Silbermöwe.