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Vergangenheits-Nichtbewältigung

Ab September soll – Neuwahlen hin oder her – eine von Außenminister Joschka Fischer einberufene Historikerkommission Licht in ein besonders pikantes Kapitel deutscher Vergangenheits-Nichtbewältigung bringen: in die vielfältigen personellen Kontinuitäten zwischen NS-Diplomatie und Adenauers Auswärtigem Amt in der jungen Bundesrepublik der 50er Jahre. Ende August erscheint – sozusagen als Buch zum Untersuchungsausschuss – eine Neuveröffentlichung des Osnabrückers Historikers Hans-Jürgen Döscher, der sich nicht zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt. Godehard Weyerer stellt sie Ihnen vor.

Von Godehard Weyerer | 15.08.2005
    Herbert Blankenhorn – ein Name, der für die personelle Kontinuität im Auswärtigen Dienst steht. Herbert Blankenhorn war von 1929 bis 1945 Legationsrat I. Klasse in der Protokollabteilung, NSDAP-Mitglied seit 1938 und ab 1951 Leiter der Politischen Abteilung im Bonner Auswärtigen Amt.

    "Sie vom A.A. halten mir zu sehr zusammen. Sie wissen, dass ich ein neues Amt aufbauen möchte, das mit den alten Leuten möglichst wenig zu tun hat. "
    Konrad Adenauer war nicht gerade glücklich über die Zusammensetzung des Auswärtigen Amtes. Sie würden alle wie die Kletten zusammenhängen, beklagte sich der Kanzler gegenüber Herbert Blankenhorn; Herbert Blankenhorn war seit 1946 CDU-Mitglied, ab 1948 persönlicher Referent Adenauers und 1949 Leiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission. Diese Dienststelle, so Hans-Jürgen Döscher, bildete den eigentlichen Kern des späteren Auswärtigen Amtes.

    "Darüber hinaus hat es Herr Blankenhorn in der Anfangsphase auch verstanden, Diplomaten in exponierte Positionen zu bringen, wie etwa Herrn Haas, den ersten Personalchef des Auswärtigen Amtes. Herr Haas war nicht Mitglied der NSDAP, Herr Haas war sozusagen ein Vorzeigediplomat gegenüber der Alliierten Hohen Kommission, aber Herr Haas war von Herrn Blankenhorn abhängig. Und als Herr Haas dann die Anweisungen Blankenhorns und Adenauers nicht so befolgte, wie von den Herren gewünscht, ist Herr Haas dann auch abgeschoben worden in Richtung Ankara. Und dann trat ein Mitglied aus der Crew von Herrn Blankenhorn in diese verantwortliche Position, die Herr Haas inne hatte. Die Crews, die Diplomaten, die einen Ausbildungsabschnitt gemeinsam absolvierten, hielten eng zusammen. Aus den Erinnerungen vieler Diplomaten ist häufig zu entnehmen, dass diese Crews sich bezeichneten als eine verschworene Schar - ich zitiere aus diplomatischen Erinnerungen -, eine verschworene Schar. "
    Adenauer sei vor allem Innenpolitiker gewesen, meint Döscher. Er sprach keine Fremdsprachen und war in außenpolitischen Fragen auf professionelle Hilfe angewiesen. Zwei Drittel der Führungskräfte im Bonner Auswärtigen Amt seien ehedem NSDAP-Mitglieder gewesen. Dem konnte auch der Kanzler nicht widersprechen, als der Untersuchungsausschuss, der die personellen Missstände im Auswärtigen Amt klären sollte, seinen Bericht dem Deutschen Bundestag vorlegte. Im Oktober 1952 kam es zur Aussprache.

    Adenauer am 22.10.1952 vor dem Deutschen Bundestag: " Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an leitenden Stellen Leute hat, die etwas von der Geschichte von früher her verstehen. "

    "Die 128 Diplomaten, die diese privatfinanzierte Anzeige in der FAZ Anfang des Jahres 2005 aufgegeben haben, wurden politisch, gesellschaftlich, diplomatisch sozialisiert in der Ära Adenauer oder in der anschließenden Ära Brandt. Es sind Diplomaten auch unter Brandt noch im Amt geblieben, die der NSDAP angehörten, man hat sich dort flexibel verhalten. Herr Krapf und auch einige andere Diplomaten mit NSDAP- und SS-Zugehörigkeit haben unter Brandt die Außenpolitik zum Teil mitgetragen – aus welchen Gründen auch immer. "
    Auf knapp 400 Seiten hat Hans-Jürgen Döscher aufgelistet, was in den ersten 40 Jahren nach Kriegsende kaum einer wissen wollte: Die Kenntnis der deutschen Diplomaten von der Ermordung der europäischen Juden, ihre Rechtfertigungsstrategien im Wilhelmstraßen-Prozess und in den Entnazifizierungsverfahren, die restaurative Personalpolitik nach 1949, der Untersuchungsausschuss, der 1951 auf Antrag der SPD die Missstände im Auswärtigen Amt durchleuchten sollte.

    "In ihrem Abschlussbericht vom 18. Juni 1952 stellten die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses übereinstimmend fest, dass im Auswärtigen Dienst Personen beschäftigt wurden, deren Verhalten während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geeignet sei, das Vertrauen des In- und Auslandes zur demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Die Ausschussmitglieder attestierten nur fünf der 21 überprüften Diplomaten uneingeschränkte Eignung für den Auswärtigen Dienst. Ausschussvorsitzender Max Becker erklärte am 22. Oktober 1952 im Deutschen Bundestag: "Um Deutschland Willen haben wir nicht öffentlich verhandelt." "

    Becker am 22.10.1952 vor dem Deutschen Bundestag: " Um Deutschlands Willen muss auch jemand, wenn er durch eine tragische Verstrickung in der damaligen Zeit seinen Namen unter ein Schriftstück hat setzen müssen, was ihn heute in der Stellung im Auswärtigen Amt unmöglich macht, dann muss er das um Deutschlands Willen auf sich nehmen, wie viele Deutsche um Deutschlands Willen manches haben auf sich nehmen müssen. "
    Die traditionell konservative Berufsdiplomatie hatte sich in der NS-Zeit mit unmenschlichen Grundsätzen abgefunden, angeblich um Schlimmeres zu verhüten: Das war das Credo der Leute um Ernst von Weizsäcker und die Argumentation derer, die 1950/51 beim Neubeginn des Auswärtigen Dienstes wieder berücksichtigt werden wollten. Dass sich Wunsch und Wirklichkeit nicht deckten, ist im Buch von Hans-Jürgen Döscher nachzulesen.

    "Ich frage mich als Historiker: Was hat es Schlimmeres gegeben zu verhüten als die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg? Hierauf hat das Auswärtige Amt früher überhaupt keine Antworten gegeben. Im Gegenteil: Die Diplomaten haben in der Regel die Mitwirkung des Auswärtigen Amtes an der euphemistisch genannten Endlösung der Judenfrage infrage gestellt, haben ihre Unkenntnis zum Ausdruck gebracht. Das hängt zusammen ein bisschen mit den Rechtfertigungszwängen, die im Zuge der Entnazifizierung es vielen Diplomaten ermöglicht haben zu argumentieren, sie seien in der inneren Emigration gewesen oder sie seien nur im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten, oder die dritte Argumentation war, man habe sie gezwungen, in die NSDAP einzutreten. "
    Bundesaußenminister Joschka Fischer hat kürzlich eine Historiker-Kommission zur Aufarbeitung der Rolle des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit einberufen. Mitglieder der Kommission sind die deutschen Historiker Eckart Conze, Norbert Frei und Klaus Hildebrandt sowie ihr US-amerikanischer Kollege Henry A. Turner und der israelische Deutschland-Experte Mosche Zimmermann. Nicht dabei ist der Buchautor Hans-Jürgen Döscher.

    "Ich kann diese Entscheidung verstehen. Es sind Historiker berufen, die zwei Voraussetzungen erfüllten. 1. Sie sollten ordentliche Professoren sein, 2. sie sollten einen gewissen Abstand haben zum Auswärtigen Amt. Hierzu gehörte ich nicht. "
    Ein kleiner Trost mag es für Döscher sein, dass die Kommissionsarbeit ergänzt wird durch Kolloquien, zu denen auch er eingeladen ist. Er wünscht sich, dass sämtliche Akten, über die das Auswärtige Amt verfügt, der Kommission und den Arbeitsgruppen zugänglich gemacht werden; dasselbe soll gelten für bislang nicht veröffentlichte private Aufzeichnungen und Erinnerungen der Diplomaten, die in den Büchern, die er geschrieben hat, eine Rolle spielen. Kurzum: Die Kommission müsste ihre Untersuchungen auf einer breiteren Aktenbasis durchführen können, als es Hans-Jürgen Döscher bei seinen Recherchen möglich gewesen war.

    Godehard Weyerer über Hans Jürgen Döscher: Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts. Das Buch erscheint am 30. August im Propyläen Verlag Berlin, ist 320 Seiten stark und kostet 22 Euro.