DLF: In unserem Beitrag geht es um die Verharmlosung der Judenverfolgung in Rumänien zur Zeit des Nationalsozialismus. Kürzlich erst hatte ein Minister der rumänischen Regierung bestritten, im rumänischen Staatsgebiet hätte zwischen 1940 und 1945 ein Völkermord stattgefunden. Nun hat vor wenigen Tagen der rumänische Staatspräsident Ion Illiescu in der israelischen Zeitung Haaretz gesagt, der Völkermord an den Juden sei nicht einzigartig. Der Protest Israels zeigte Wirkung. Aus dem Büro des Präsidenten hieß es, alles ein Missverständnis. Ich habe mit der Schriftstellerin Herta Müller gesprochen, die sich mit dem Alltag in einem totalitären Land literarisch viel befasst hat und viele Preise inzwischen auch bekommen hat, und sie gefragt, wie sie sich dieses Verhalten erklärt.
Müller: Das musste so weit kommen. Das ist nur die logische Folge eines primitiven Verhaltens.
DLF: Hat dieses Verhalten Methode? Reiht sich das ein? Ist das schlüssig?
Müller: Ja, das reiht sich ein. Ich meine, es gibt nichts anderes, und das ist das Problem, und das wird im Westen nur punktuell wahrgenommen, wenn gerade jetzt mit Israel ein Konflikt daraus entsteht, aber es gibt seit Jahren diese ganzen Straßen, die nach Ion Antonescu benannt sind, die Denkmäler, es gab diese Feierstunde im rumänischen Parlament zu Ehren von Antonescu. In die Galerie der Ministerpräsidenten im Regierungsgebäude hat man jetzt vor kurzem Antonescus Bild dazugetan und auf seine Leistungen für die Geschichte Rumäniens hingewiesen.
DLF: Das war der Machthaber während der Zeit des Nationalsozialismus in Rumänien.
Müller: Ja, und das geht also fortwährend. Es ist im Grunde genommen leider Normalität in Rumänien geworden.
DLF: Versucht man da an eine "gute alte Zeit" anzuknüpfen, indem man sich auf die schreckliche Zeit beruft?
Müller: Ein bisschen ist es natürlich auch das, aber es ist natürlich auch die gleiche Geschichte, so wie man die letzte Diktatur nicht aufgearbeitet hat, die Ceausescu-Zeit, und in dieser Zeit wurde ja die ganze Geschichtssplitterung angefangen. Rumänien hat sich offiziell nach 1945 im Stalinismus als der Befreier erklärt und war immer in der offiziellen Geschichtsschreibung an der Seite der siegreichen Sowjetarmee. Da sind sie aber erst am zweitletzten Kriegstag hingegangen, und bis dahin waren sie mit Antonescu an der Seite von Hitler.
DLF: Also man hat versucht, sich in eine antifaschistische, kommunistische Tradition zu stellen?
Müller: Man hat sich in diese Tradition hinein gestellt, und das hatte ja auch einen doppelten Boden. Damit hat man eine sehr hinterhältige Minderheitenpolitik betreiben können, denn die Nazis blieben dann im Land noch, die ungarische und die deutsche Minderheit. Man selbst war aus der Affäre.
DLF: Steht die Furcht, ausgewanderte rumänische Juden entschädigen zu müssen, hinter diesem Verhalten? Was meinen Sie?
Müller: Ich glaube, nicht nur. Wenn man jetzt wirklich drastisch formuliert, wäre es gut, wenn es nur das wäre. Aber es ist eine wirkliche Überzeugung. Antisemitismus ist Gang und Gebe und man hat sich seiner Geschichte nie gestellt. Auch Intellektuelle, die nicht als Rechte gelten, erklären einem das Gleiche.
DLF: Sie haben sich literarisch sehr viel mit dem Alltag im totalitären Land befasst, haben selber Ihrer Erfahrungen in Ihrer Familie. Glauben Sie, Illiescu hat versucht, das Problem sich jetzt vom Hals zu schaffen, aber das Gegenteil bewirkt, dass er jetzt vielleicht erst recht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat?
Müller: Ich glaube, das hat er versucht, aber sie werden auch nervös. Ich meine, sie wollen nach Europa, und durch die EU wurde ihnen schon aufgezwungen, Gott sei Dank, muss ich dazu sagen, dass man die Büsten abräumt, dass man die nach Antonescu benannten Straßen wieder umbenennt.
DLF: Aber das ist eine unfreiwillige Demokratisierung.
Müller: Das ist eine unfreiwillige Demokratisierung. Das ist Zwang. Sie machen dann ihre Aufgaben, damit sie eine Chance haben, aber es geht ja nicht anders, sonst bleiben sie ewig dort, wo sie sind. Das ist ja das Argument Illiescus. Ich meine, wenn er anders an die Sache rangegangen wäre, wenn er das Problem mal formuliert und die Beteiligung am Mord an den Juden, wenn er das mal zugibt, dann würde man in Israel wahrscheinlich auch anders mit ihm reden können. Aber schon dieses Leugnen, diese Arroganz und das von sich weisen bewiesener Tatsachen macht es natürlich noch schlimmer. Insofern hat er sich einen Bärendienst erwiesen.
DLF: Glauben Sie, dass eine Historikerkommission das erhellen wird, dass überhaupt zugelassen wird, in den Regionen, wo viele Deportationen waren, für Aufklärung zu sorgen?
Müller: Ich meine, das mit der Historikerkommission ist ja wahrscheinlich für die Beglaubigung dieser Sache ein Ritual, denn die Dinge liegen offen auf der Hand. Es gibt nichts zu beweisen. Die Dinge sind völlig bewiesen. Die Dinge sind geschehen. Aber es ist wahrscheinlich nötig, um das Ganze offiziell für diesen rumänischen Staat zu beglaubigen, und es zu einer praktikablen Handhabe zu machen. Es ist in Rumänien in all der Zeit nichts passiert. Man hat sich mit diesen Dingen nie auseinandergesetzt, außer sie von sich gewiesen. Das ist das Ergebnis.
DLF: Vielen Dank für das Gespräch.
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Müller: Das musste so weit kommen. Das ist nur die logische Folge eines primitiven Verhaltens.
DLF: Hat dieses Verhalten Methode? Reiht sich das ein? Ist das schlüssig?
Müller: Ja, das reiht sich ein. Ich meine, es gibt nichts anderes, und das ist das Problem, und das wird im Westen nur punktuell wahrgenommen, wenn gerade jetzt mit Israel ein Konflikt daraus entsteht, aber es gibt seit Jahren diese ganzen Straßen, die nach Ion Antonescu benannt sind, die Denkmäler, es gab diese Feierstunde im rumänischen Parlament zu Ehren von Antonescu. In die Galerie der Ministerpräsidenten im Regierungsgebäude hat man jetzt vor kurzem Antonescus Bild dazugetan und auf seine Leistungen für die Geschichte Rumäniens hingewiesen.
DLF: Das war der Machthaber während der Zeit des Nationalsozialismus in Rumänien.
Müller: Ja, und das geht also fortwährend. Es ist im Grunde genommen leider Normalität in Rumänien geworden.
DLF: Versucht man da an eine "gute alte Zeit" anzuknüpfen, indem man sich auf die schreckliche Zeit beruft?
Müller: Ein bisschen ist es natürlich auch das, aber es ist natürlich auch die gleiche Geschichte, so wie man die letzte Diktatur nicht aufgearbeitet hat, die Ceausescu-Zeit, und in dieser Zeit wurde ja die ganze Geschichtssplitterung angefangen. Rumänien hat sich offiziell nach 1945 im Stalinismus als der Befreier erklärt und war immer in der offiziellen Geschichtsschreibung an der Seite der siegreichen Sowjetarmee. Da sind sie aber erst am zweitletzten Kriegstag hingegangen, und bis dahin waren sie mit Antonescu an der Seite von Hitler.
DLF: Also man hat versucht, sich in eine antifaschistische, kommunistische Tradition zu stellen?
Müller: Man hat sich in diese Tradition hinein gestellt, und das hatte ja auch einen doppelten Boden. Damit hat man eine sehr hinterhältige Minderheitenpolitik betreiben können, denn die Nazis blieben dann im Land noch, die ungarische und die deutsche Minderheit. Man selbst war aus der Affäre.
DLF: Steht die Furcht, ausgewanderte rumänische Juden entschädigen zu müssen, hinter diesem Verhalten? Was meinen Sie?
Müller: Ich glaube, nicht nur. Wenn man jetzt wirklich drastisch formuliert, wäre es gut, wenn es nur das wäre. Aber es ist eine wirkliche Überzeugung. Antisemitismus ist Gang und Gebe und man hat sich seiner Geschichte nie gestellt. Auch Intellektuelle, die nicht als Rechte gelten, erklären einem das Gleiche.
DLF: Sie haben sich literarisch sehr viel mit dem Alltag im totalitären Land befasst, haben selber Ihrer Erfahrungen in Ihrer Familie. Glauben Sie, Illiescu hat versucht, das Problem sich jetzt vom Hals zu schaffen, aber das Gegenteil bewirkt, dass er jetzt vielleicht erst recht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat?
Müller: Ich glaube, das hat er versucht, aber sie werden auch nervös. Ich meine, sie wollen nach Europa, und durch die EU wurde ihnen schon aufgezwungen, Gott sei Dank, muss ich dazu sagen, dass man die Büsten abräumt, dass man die nach Antonescu benannten Straßen wieder umbenennt.
DLF: Aber das ist eine unfreiwillige Demokratisierung.
Müller: Das ist eine unfreiwillige Demokratisierung. Das ist Zwang. Sie machen dann ihre Aufgaben, damit sie eine Chance haben, aber es geht ja nicht anders, sonst bleiben sie ewig dort, wo sie sind. Das ist ja das Argument Illiescus. Ich meine, wenn er anders an die Sache rangegangen wäre, wenn er das Problem mal formuliert und die Beteiligung am Mord an den Juden, wenn er das mal zugibt, dann würde man in Israel wahrscheinlich auch anders mit ihm reden können. Aber schon dieses Leugnen, diese Arroganz und das von sich weisen bewiesener Tatsachen macht es natürlich noch schlimmer. Insofern hat er sich einen Bärendienst erwiesen.
DLF: Glauben Sie, dass eine Historikerkommission das erhellen wird, dass überhaupt zugelassen wird, in den Regionen, wo viele Deportationen waren, für Aufklärung zu sorgen?
Müller: Ich meine, das mit der Historikerkommission ist ja wahrscheinlich für die Beglaubigung dieser Sache ein Ritual, denn die Dinge liegen offen auf der Hand. Es gibt nichts zu beweisen. Die Dinge sind völlig bewiesen. Die Dinge sind geschehen. Aber es ist wahrscheinlich nötig, um das Ganze offiziell für diesen rumänischen Staat zu beglaubigen, und es zu einer praktikablen Handhabe zu machen. Es ist in Rumänien in all der Zeit nichts passiert. Man hat sich mit diesen Dingen nie auseinandergesetzt, außer sie von sich gewiesen. Das ist das Ergebnis.
DLF: Vielen Dank für das Gespräch.
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