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Vergangenheitsbewältigung im Steuerparadies

Eine unabhängige Historikerkommission hat in den vergangenen fünf Jahren untersucht, inwieweit liechtensteinische Finanzinstitutionen den Nazis geholfen haben, den Juden geraubte Güter, Geld oder Kunstwerke zu verstecken. Dabei gerieten auch die fürstlichen Sammlungen in den Blick der Öffentlichkeit, die rund 40.000 Objekte umfassen.

Moderation: Rainer B. Schossig | 19.05.2005
    Schossig: Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes hat sich auch das Fürstentum Liechtenstein bewegt. Eine unabhängige Historikerkommission hat soeben die Resultate Ihrer Forschungen über die Zeit des Nationalsozialismus im Zwergenstaat vorgelegt. Den Auftrag dazu hatte die Regierung vor fünf Jahren erteilt. Die heftigen Debatten um Raubgold, um Restituierung und Flüchtlingsfragen, die hatten auch im Nachbarland der Schweiz, in Vaduz ein reges Echo gefunden. Dabei gerieten auch die weltberühmten fürstlichen Sammlungen in den Blick der Öffentlichkeit. Frage an Peter Geiger in Vaduz, den Präsidenten der unabhängigen Historikerkommission Lichtenstein: Aufgrund welcher Diskussionen beziehungsweise Vorwürfe ist die Kommission denn damals eingesetzt worden?

    Geiger: Der Hauptvorwurf wurde in einem "Spiegel"-Interview, das Ellen Steinberg gegeben hat, im August oder im Juli 2000 erhoben. Und zwar wurde dort der Vorwurf erhoben, liechtensteinische Finanzinstitutionen, das hieße ja also Bankentreuhänder und Anwälte, hätten den Nazis geholfen, geraubte, und zwar den Juden geraubte Güter, insbesondere Geld, Gold und Kunstwerke, zu verschieben und zu verstecken.

    Schossig: Das waren also Ihre Hauptuntersuchungsfelder?

    Geiger: Das waren die Hauptuntersuchungsfelder. Man hat die Flüchtlingspolitik Lichtensteins und die für deutsche Abnehmer produzierten kriegswichtigen Güter noch dazu genommen, ebenso die Frage nach Verwicklungen in so genannte Arisierungen und allfällige Verwicklungen in Zwangsarbeit.

    Schossig: Welchen quantitativen Umfang hatten denn im Rahmen Ihrer Untersuchungen Stücke aus verloren gegangenen Kunstschätzen, Sammlungen, die bis zu den Möbeln und Gebrauchsgegenständen gingen?

    Geiger: Es war einer der wichtigen Untersuchungsgegenstände, also die Suche nach Raubkunst, auch Fluchtkunst, also Kunstgegenständen, die durch NS-Verfolgte in Sicherheit gebracht werden konnten, über oder durch Liechtenstein hindurch oder nach Liechtenstein. Und eine dieser Untersuchungen galt eben der Nachforschung nach Raub und Fluchtkunst.

    Schossig: Sie schreiben, dass Sie mit einem sehr feinem Kamm das Ganze durchgekämmt hätten. Sind Sie fündig geworden in Liechtenstein?

    Geiger: Fündig geworden im Lande selber sind wir nicht, aber wir haben alles abgeklärt. Dabei ging es im Prinzip um Provenienzabklärungen, also die Frage, ob in der zentralen liechtensteinischen öffentlichen Sammlung, heute ist das das Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz, ob dort unter den Gegenständen, die im Besitz des Staates sind, oder auch bei den Leihgaben, die dort ständig ausgestellt sind, ob sich dort problematische oder gar direkt nachweisbar so genannte arisierte Kunstgegenstände fänden oder nicht. Wir haben dort nichts festgestellt, was als problematisch oder als eben entzogenes Gut, also geraubtes Gut zu gelten hätte.

    Schossig: Dies bezieht sich ja auch auf die fürstlichen Sammlungen des Fürstentums. Wie steht es damit?

    Geiger: Die fürstlichen Sammlungen lagen seinerzeit ja in Wien, beziehungsweise in und um Wien verstreut in verschiedenen Sicherheitsunterkünften. Die fürstlichen Sammlungen umfassen etwa 40.000 Objekte. Dazu gehörten kunsthandwerkliche Objekte neben den etwa 600 weltberühmten Bildern. Während der gesamten NS-Zeit und insbesondere dann von 1938 bis 1945 sind nur sehr wenige Objekte vom Sammlungsdirektor mit Einverständnis des Fürsten erworben worden. Insgesamt sind es 270 Objekte, die wir feststellen konnten. Von diesen ist wieder ein kleinerer Teil als problematische Provenienz, also möglicherweise aus so genannten arisierter, ehemals jüdischer, geraubter Besitz einzustufen.

    Schossig: Solche Fragen wie Flüchtlingsfragen oder Restituierungsfragen sind ja auch immer ethische Fragen. Können Sie sich jetzt nach Ihrem Ergebnis in der Kommission beruhig zurücklehnen?

    Geiger: Beruhig zurücklehnen können wir uns sicher nicht, das heißt, die Kommission hat zu klären, was war und was nicht war, oder was man feststellen konnte und was vielleicht offen blieb. Aber es ist natürlich an der Regierung und an der Öffentlichkeit, sich mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen. Das hat die Regierung nun auch angekündigt, dass sie für Erziehung, für Öffentlichkeitsarbeit, für die Schulen insbesondere hier entsprechend wirksam werden will.

    Schossig: Das war aus Vaduz Peter Geiger, der Präsident der unabhängigen Historiker-Kommission zur Politik des Fürstentums Lichtenstein während der NS-Zeit.