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Vergangenheitsbewältigung und politische Krise

60 Jahre nach der Unabhängigkeit steckt Kambodscha mitten in der Bewältigung seiner jüngeren Geschichte und in einer politischen Krise: das Tribunal zur Aufdeckung der Verbrechen der Roten Khmer findet statt und Anhänger der Opposition proklamieren den Sieg bei den Wahlen.

Von Udo Schmidt |
    "Ich habe von Massenmorden nichts gewusst", versichert der 87-jährige frühere Chefideologe der Roten Khmer, Nuon Chea dem Publikum im Gerichtsgebäude am Rande Phnom Penhs, "ich habe immer nur das Beste für die Menschen, die Khmer gewollt. Es gab keinen Auftrag zum Töten."

    Nuon Chea und der mitangeklagte frühere Staatspräsident der Roten Khmer, Khieu Samphan nutzen die Gelegenheit, sich noch einmal reinzuwaschen von aller Schuld. Nichts wollen sie mit den 1,7 Millionen Toten der Herrschaftszeit der Rotem Khmer von 1975 bis 1979 zu tun haben. Draußen vor dem Gericht lassen die, die ihre Familie in der Zeit Pol Pots verloren haben, ihre Wut heraus. Nuon Chea unschuldig – lächerlich, meint Tib Somaun, die fünf Familienmitglieder verloren hat:

    "Ich bin wirklich wütend und enttäuscht, wenn ich höre, dass sich Nuon Chea nicht zu seinen Taten bekennt, nicht zu dem, was er dem kambodschanischen Volk angetan hat."

    Und Ben Sila, deren ganze elfköpfige Familie von den Roten Khmer ausgelöscht wurde, will Rache.

    "Ich will Nuon Chea natürlich verurteilt sehen, ich wünsche mir, dass er zum Tode verurteilt wird."

    Die Todesstrafe ist in Kambodscha abgeschafft, aber helfen werden alle Beteuerungen den beiden Angeklagten nicht, im kommenden Jahr wird das Urteil lebenslänglich lauten, das lässt sich seriös vorhersagen. Und gerade daher sind manche mit dem Verfahren unzufrieden, etwa Theary Seng, die ihre Eltern nach 1975 verlor und nun eine Friedens- und Opferorganisation leitet:

    "Das Urteil ist ja keine Überraschung, es wird auf jeden Fall ‚lebenslänglich‘ lauten, es kann nicht anders sein, aber das Verfahren hat bisher keine Möglichkeit geboten, wirklich Massenmord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen."

    Denn bisher ging es ausschließlich um die Vertreibung von zwei Millionen Menschen aus Phnom Penh am 17.April 1975, dem Tag, an dem die Roten Khmer in die Hauptstadt einzogen. Ein Kunstgriff, um überhaupt in absehbarer Zeit zu einem Urteil zu kommen.

    Trotzdem, der Prozess bedeutet viel für die kambodschanische Gesellschaft, auch wenn man es nicht in jeder Ecke Phnom Penhs bemerkt und die Taxifahrer den Weg zum Gerichtsgebäude nicht kennen.

    Kambodschas Regierung hat kein Interesse an noch mehr Verfahren, die Mittel für den teuren "Außerordentlichen Gerichtshof" sind mittlerweile knapp, die Übersetzer etwa leben derzeit nur noch von Geld, dass die Vereinten Nationen kurzfristig geliehen haben.

    Und auch in der aktuellen Politik ist die Lage kompliziert. Nach den Wahlen vom 28. Juli prangerte die oppositionelle Nationale Rettungspartei Wahlbetrug an. Die Opposition unter dem charismatischen Sam Rainsy hatte zwar viele Mandate gewonnen, auf 55 Sitze kommt sie nun, aber es reichte eben nicht zur Regierungsübernahme. Seitdem weigert sich die "Rettungspartei", ihre Sitze im Parlament einzunehmen, seitdem gehen regelmäßig Zehntausende auf die Straße.

    Seitdem verlaufen Gespräche zwischen Regierung und Opposition über eine überwachte Neuauszählung ergebnislos. Sam Rainsy, der Held der Opposition, gerade erst aus dem Exil nach Kambodscha zurückgekehrt, bleibt kompromisslos:

    "Wir werden auf die eine oder andere Weise Druck machen, damit die Wahrheit ans Tageslicht kommt und der Wille der Kambodschaner geachtet wird. Im Moment ist der bei dem Wahlergebnis doch auf den Kopf gestellt."

    Und die Anhänger der Opposition, ihres autokratisch regierenden Premier Hun Sen überdrüssig, wollen nur eines, den Wahlsieg, die Regierungsmacht, darunter geht es nicht. Thy Sovantha ist Mitglied der Jugendorganisation der Rettungspartei:

    "Wir können dem Wahlergebnis nicht zustimmen. Wir haben so viel Unterstützung erlebt, viel mehr als für die Regierungspartei, wir können dem Ergebnis nicht zustimmen."

    Ou Virak ist einer der führenden Menschenrechtler Kambodschas und er betrachtet die politische Blockade in Kambodscha mit Sorge:

    "Die Opposition sollte nach vorne schauen, zur nächsten Wahl, sie haben doch Rückenwind. Aber wenn sie das nicht tun und jetzt den Sieg proklamieren, dann gibt es wieder Gewalt, dann haben wir wieder eine verlorene Generation, dann ist der ganze demokratische Prozess untergraben."