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Vergebungsbitten im Petersdom

Bereits 21 Jahre war Papst Johannes Paul II. im Amt, als ein neues Jahrtausend begann. Er erklärte das Jahr 2000 zum Heiligen Jahr und nutzte es gleich für eine große Entschuldigung - für Verfehlungen der katholischen Kirche wie Kirchenspaltung und Inquisition, Judenverfolgung und Zwangstaufen.

Von Peter Hertel | 12.03.2010
    "Liebe Schwestern und Brüder, Gott, unser Vater, möge die Reue seines Volkes annehmen, das in Demut seine Schuld bekennt, und ihm seine Barmherzigkeit schenken."

    Das hat es noch nicht gegeben. Ein Papst bekennt öffentlich Sünden katholischer Kirchengeschichte und bittet Gott um Vergebung. Diese Bußliturgie, angeordnet von Johannes Paul II. in St. Peter, seiner römischen Papstkirche, hat nach ihrer Ankündigung weltweit Lobeshymnen hervorgerufen. Die Kirche, so hieß es, werde endlich Schuld eingestehen für Kirchenspaltung und Inquisition, für Judenverfolgung und Zwangstaufen. Nun tragen sechs vatikanische Würdenträger historische Sünden vor. Daran knüpft der Papst an diesem 12. März 2000 jeweils eine Vergebungsbitte. Zunächst ist Kardinal Joseph Ratzinger, der oberste katholische Glaubenswächter, an der Reihe.

    "Auch Menschen der Kirche haben im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen, die dem Evangelium nicht entsprechen."

    Etwas dürr erscheint dieses Bekenntnis im ersten Moment schon. Immerhin ist Kardinal Ratzinger der Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, die früher einmal "Heilige Inquisition" hieß. Von Inquisition ist in seinem Bekenntnis jedoch nicht die Rede. Soll das alles sein? Anscheinend schon. Denn ähnlich sind die Schuldbekenntnisse der übrigen Kirchenfürsten gestrickt - zu Rassismus und Kindesmissbrauch, zur Unterdrückung von Randgruppen und fremden Kulturen: die katholische Kirche als Institution erscheint keineswegs als Sünderin. Sondern lediglich von Christen ist die Rede, und die sind bekanntlich nicht nur katholisch. Höchst peinlich wird dieses Ausklammern der Kirche, als dann Kardinal Cassidy eine Schulderklärung gegenüber dem Judentum abgibt. Auch er schweigt über kirchliche Schuld.

    "Lass die Christen ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben. Lass sie so ihr Herz reinigen."

    Das klingt gar wie eine Verharmlosung des Holocaust, besonders für den, der den Hintergrund dieses Bußaktes in St. Peter bedenkt. Dem Schuldbekenntnis des Papstes und seiner Kardinäle ist nämlich offiziell eine Gewissenserforschung vorausgegangen, drei Jahre lang von der Internationalen Theologenkommission des Vatikans vorgenommen und von Kardinal Ratzinger autorisiert. Und da hieß es: Eine heidnische Ideologie sei für die Vernichtung der Juden verantwortlich. Abwiegelnd hat die vatikanische Kommission die Frage gestellt, ob nicht auch ein paar Christen zum Holocaust beigetragen hätten:

    "Man kann sich fragen, ob die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten nicht doch auch von antijüdischen Vorurteilen begünstigt wurde, die in den Köpfen und Herzen einiger Christen lebendig waren."

    Hinter der Auffassung, nicht die Kirche, sondern allenfalls einige Mitglieder trügen Schuld, steht eine fragwürdige theologische Vorstellung. Sie lautet: die unfehlbare Kirche kann nicht irren und sündigen. Deshalb kann sie auch nicht schuldig werden. So kam es, dass das Schuldbekenntnis hinterher doch als halbherzig erschien. Und die kirchennahe katholische Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" fragte sogar, was fromme Schulderklärungen nützen, wenn sie Tote im Auge haben, aber kaum Konsequenzen für Lebende ziehen:

    "Einen Galileo Galilei kann man im weiten historischen Abstand leichter rehabilitieren als einen Sigmund Freud anerkennen. Noch schwerer ist es, einem Pierre Teilhard de Chardin oder gar Hans Küng Gerechtigkeit widerfahren zu lassen."