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Vergessene Heldin Italiens

Die Frau, die fünf Leben lebte - so beschrieb ein Historiker die Fürstin Cristina Trivulzio di Belgiojoso. Sie war Freiheitskämpferin, Salonnière, politische Journalistin, Sozialreformerin, Großbäuerin in der Türkei und Orientreisende. Im italienischen Kampf um Unabhängigkeit und Einheit spielte sie eine bedeutende Rolle. Und dann wurde sie vergessen, wie es Frauen eben oft erging.

Von Ulrike Rückert |
    Mailand im März 1848: Nach blutigen Straßenkämpfen räumt das österreichische Militär die Stadt. Der Aufstand wird zum Krieg, als Truppen aus Piemont in die Lombardei einmarschieren. Am 6. April empfängt Mailand 200 Freischärler aus Neapel, an ihrer Spitze eine Frau. Ein gefangener Österreicher ist Augenzeuge:

    "Alle Wagen mussten anhalten, um sie passieren zu lassen. Sie trug eine große rot-weiß-grüne Fahne. Von allen Fenstern und Balkonen erschollen Hochrufe."

    "Meine kleine Armee und die Soldaten aus Piemont waren die ersten, die in die Lombardei kamen. Es veränderte die Situation, es machte aus einer lokalen Angelegenheit einen italienischen Krieg."

    Fürstin Cristina di Belgiojoso, die vergessene Heldin des Risorgimento, der italienischen Einigung. Geboren wurde sie am 28. Juni 1808 in Mailand. Mit zwanzig Jahren schloss sie sich dem Geheimbund der Carbonari an, um gegen die österreichische Herrschaft zu kämpfen.

    "Ach! vor jedem Zitronenbaum steht dort eine östreichische Schildwache."

    So beschrieb Heinrich Heine das Regime. Spione folgten der Fürstin überall. Auf der Flucht vor einer Verhaftung kam sie 1831 nach Paris.

    "Meine doppelte Eigenschaft als Fürstin und als Flüchtling verschaffte mir die Aura des Heldentums."

    Bald führte sie einen glanzvollen Salon. Bei La Belgiojoso trafen sich Politiker und Journalisten, Diplomaten und Verschwörer, Künstler und Frühsozialisten. Zu ihren Gästen zählten Heine, Liszt, Balzac, Mérimée, Chopin, Musset, Bellini, Thiers, Tocqueville, Meyerbeer, Rossini, um nur einige zu nennen. Die Fürstin wurde bewundert und begehrt, ganz besonders von Heine.

    "Sie sind der vollkommenste Mensch, den ich auf der Erde gefunden habe."

    Andere schmähten sie, zum Beispiel Balzac:

    "Ein schrecklicher Blaustrumpf."

    Doch ihr Salon diente einem Zweck, er war ein politisches Projekt im Dienst ihrer patriotischen Ziele. Alles war davon geprägt, wie ein Zeitgenosse festhielt:

    "Niemand tat in Frankreich mehr als sie, um die italienische Sache zu fördern. Diese Idee atmete man im Haus der Fürstin sozusagen mit der Luft ein."

    1840 konnte Cristina di Belgiojoso nach einer Amnestie nach Mailand zurückkehren. Dort widmete sie sich sozialen Reformen auf ihren Ländereien: Sie richtete Schulen und Manufakturen ein, baute neue Häuser und öffnete ihren Palazzo für die Bauern.

    "Die Gesellschaft, wie sie heute besteht, ist ein krasser Widerspruch gegen die Gerechtigkeit Gottes, der beseitigt werden muss."

    Bald war sie auch wieder politisch aktiv. Sie gründete eine Zeitung, die in Paris gedruckt und nach Italien geschmuggelt wurde. Ihre Vision war ein vereintes Italien mit einer konstitutionellen Monarchie. Im Herbst 1847, als es in Italien gärte, reiste sie durch das Land. Ihre Auftritte waren antiösterreichische Demonstrationen.

    "Überall hießen mich die Stadtväter willkommen. In Florenz wurde ich gebeten, vor einer öffentlichen Versammlung zu sprechen. Hier in Rom streiten sich die verschiedenen Parteien darum, wer mich zuerst empfangen darf."

    Als im Januar 1848 in Neapel ein Aufstand ausbrach, eilte Cristina di Belgiojoso nach Süden, und von dort kam sie mit einem Schiff voller Waffen und Kämpfer ins befreite Mailand. Doch den Krieg um die Lombardei gewann Österreich. Im nächsten Jahr half sie bei der Verteidigung der Republik in Rom und organisierte die Lazarette. Einen Monat lang wurde die Stadt beschossen - zum Entsetzen der Fürstin von Truppen der französischen Republik. Nach dem Sieg der Franzosen...

    " ... dem furchtbaren Mord an der römischen Republik ... "

    … verließ Cristina di Belgiojoso Europa. Sie kaufte Land in Anatolien. Hier lebte sie fünf Jahre, baute Reis an und züchtete Ziegen. Zwischendurch reiste sie nach Jerusalem, zu Pferd auf dem Landweg. Zurück in Italien, kämpfte sie wieder mit der Feder für ihr großes Ziel.

    "Wir wollen die Einheit, weil wir wissen, dass es das einzige Mittel ist, Unabhängigkeit als Nation zu erlangen."

    Als sie 1871 starb, war es erreicht: Italien war vereint, mit Rom als Hauptstadt und Viktor Emanuel von Savoyen als König. Den Helden des Freiheitskampfes wurden Denkmäler aufgestellt, Cristina di Belgiojoso aber war bald vergessen. Es hätte sie wohl nicht überrascht:

    "So behandelt die Welt Frauen, deren Charakter von ihrer Erziehung nicht ausgelöscht wurde. Im Gegensatz dazu ist bei Männern Individualität ein Verdienst."