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Vergessene Nebenwirkung bei altem Schmerzmittel

Metamizol ist ein wirksames Schmerzmittel und wird von Ärzten viel verschrieben. Die Deutsche Arzneimittelbehörde warnt vor einem unbedachten Gebrauch: Metamizol löst zwar selten Nebenwirkungen aus, diese können jedoch das lebenswichtige blutbildende System des Körpers betreffen. In vielen Ländern wurde das Medikament deshalb in den 70er-Jahren vom Markt genommen.

Von Anna-Lena Dohrmann | 30.08.2011
    Akute Schmerzen nach einer Operation, Verkrampfungen der Bauchorgane, Schmerzen, die einfach nicht aufhören wollen – in diesen Fällen sind Patienten oft bereit alles zu tun. Brigitte Ludwig leidet seit vielen Jahren an chronischen Schmerzen. Sie hat vier künstliche Gelenke und jetzt auch noch Lungenkrebs. Ein Leben ohne Schmerzmittel kommt für die 69-Jährige schon lange nicht mehr infrage. Seit ungefähr sechs Jahren nimmt sie auch Metamizol:

    "Es sind mehrere Schmerzmittel ausprobiert worden bei mir, bei meinen Schmerzen und, ich kenn das ja unter Novaminsulfon, dass mir das eigentlich am besten geholfen hat. Die haben eigentlich recht wenige Nebenwirkungen. Da waren die Schmerzen eben zum Ertragen."

    Kaum Nebenwirkungen – das macht dieses Medikament so beliebt. Außerdem wirkt es schnell, senkt Fieber und kann Verkrampfungen lösen. Doch es gibt einen Haken: Wenn Nebenwirkungen auftreten, sind diese umso gefährlicher. Denn sie betreffen das blutbildende System des Körpers – und das ist lebenswichtig. Professor Dietger Niederwieser ist als Leiter der Abteilung für Hämatologie an der Uniklinik Leipzig auf Blutkrankheiten spezialisiert.

    "Das Problem ist, dass das Metamizol - zwar in sehr wenigen Patienten - sehr schwere Veränderungen im Bereich der weißen Blutkörperchen verursacht. Das heißt also, dass diese Patienten keine weißen Blutkörperchen mehr haben und damit an den Folgen dieser fehlenden Abwehr versterben können."

    Denn die weißen Blutkörperchen bekämpfen Bakterien, Parasiten und Pilze. Sind sie nicht mehr vorhanden, kann sich der Körper nicht mehr wehren. In vielen Fällen verläuft diese sogenannte Agranulozytose tödlich. Diese Nebenwirkung ist von Metamizol schon lange bekannt. In vielen Ländern ist das Mittel deshalb verboten. Doch in Deutschland gehört es zu den sogenannten Blockbustern, seit 1990 hat sich der Gebrauch verzehnfacht. Und das obwohl die Arzneimittelbehörde die Verwendung eingeschränkt hat. Haben die Ärzte die gefährlichen Nebenwirkungen vergessen?

    Professor Armin Sablotzki ist Chefarzt des Schmerzzentrums des Sankt Georg Klinikums in Leipzig.

    "Zwei Dinge dazu: Vergessen spielt sicherlich eine Rolle. Auf der anderen Seite spiegelt das auch wieder, dass man davon ausgeht, dass es sich hier um eine weitestgehend sichere Substanz handelt und man, ja fast vertrauensvoll möchte ich sagen, diese Substanz unkritisch einsetzt."

    Für Sablotzki gehört das Medikament zum Klinikalltag. Doch jetzt wollte er genau wissen, wie häufig Metamizol im Klinikum Sankt Georg eingesetzt wird und hat beim Apothekeneinkauf nachgefragt.

    "Also wir verwenden ungefähr 40 bis 50.000 Ampullen Metamizol pro Jahr. Und das ist doch jetzt, muss ich ehrlich zugeben, deutlich mehr als ich noch vor ein paar Minuten gedacht hatte. Dann bekommt fast jeder Patient, statistisch gesehen, oder fast jeder zweite Patient in diesem Hause, einmal im Rahmen seiner Krankenhausbehandlung Metamizol."

    Bisher hat Sablotzki keinen Fall von Agranulozytose erlebt, der durch das Medikament ausgelöst wurde. Denn diese Komplikation tritt nur sehr selten auf - bei weniger als einem von 10.000 Patienten.

    "Wenn man ganz pragmatisch ist, dann muss man sagen, dass eine Substanz, die seit 1922 auf dem Markt ist, die viele Millionen Mal im Jahr in Deutschland verordnet wird, so wahnsinnig schlecht nicht sein kann. Gut, das ist keine wissenschaftliche Antwort, die ich ihnen gebe, sondern eine gefühlte Wirklichkeit, die ich wiedergebe."

    Außerdem haben andere Schmerzmittel ebenfalls Nebenwirkungen. Jedes Medikament muss mit individuellen Beschwerden und Vorerkrankungen abgestimmt werden. Für Niederwieser als Spezialist für Blutkrankheiten steht jedoch fest:

    "Natürlich ist es fein, so ein Medikament zu nehmen, weil es sehr schnell wirkt. Aber man hat ein Risiko dabei. Und dieses Risiko möchte ich für meine Patienten nicht eingehen."

    Denn Niederwieser kennt Patienten, die wegen Metamizol eine Agranulozytose bekommen. Ungefähr drei solche Fälle behandelt er jährlich. Und auch Sablotzki räumt ein:

    "Ich denke schon, dass wir mit dem Umgang mit dieser Substanz auch in unserem Hause noch kritischer umgehen müssen, als wir persönlich vielleicht jetzt schon denken, dass wir es tun. Und ich bin mir sicher, dass anlässlich dieser Gespräche wir das auch tun werden."