Archiv


Vergessener Held der 60er

Paul Thek war einer der Stars der im Jahr 1972 von Harald Szeemann ausgerichteten documenta 5. Er rebellierte gegen die Kunst-Hypes seiner Zeit, von Pop bis Minimal, verabscheute Kunstbetrieb und Publikumsrenner. Mit über 300 Werken zeigt jetzt das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) die bislang größte Retrospektive des 1988 verstorbenen Amerikaners.

Von Carmela Thiele |
    Zwiebeln keimen dekorativ auf Glasregalen, Pilze wuchern unter einem Plattenteller hervor und bringen eine LP zum Stillstand. In der Ausstellung über Paul Thek und seine Folgen geht es um Prozesse, Kooperationen und Wachstum, um nichts weiter als um Leben und Tod - und um ein paar unschöne Wahrheiten: Nämlich dass die kompromisslos freie Kunst selten zu Lebzeiten ihrer Autoren verkäuflich ist, und Künstler wie Paul Thek zwar am "Campfire" der Ateliers etwas gelten, aber nicht in Museen und Galerien.

    Der Hamburger Sammler Harald Falckenberg ist Thek-Fan und will diese Schieflage korrigieren. So regte er die Thek-Retrospekive im Karlsruher ZKM an, die im kommenden Jahr in Hamburg in seinen eigenen Kunsträumen gezeigt werden soll. Falckenberg bringt den Zwiespalt zwischen Kunst und Gesellschaft auf den Punkt:

    "Künstler haben in aller Regel die Ambition, etwas Neues zu schaffen und gegen die zivilisatorischen Normen anzugehen. Darum verstehen sie Kunst nicht als Kultur, sondern als Anti-Kultur. Aber in der Öffentlichkeit wird Kunst zunehmend als Kultur vereinnahmt und auch instrumentalisiert. Und da ist Paul Thek ein sehr wichtiger Künstler, weil er sich sehr früh, Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre gegen jede Versuche der Instrumentalisierung durch den Museumsbetrieb gewehrt hat. So viel er konnte."

    Wer war Paul Thek? In Zeitlupe tanzt ein Langhaariger in Parka und Jeans zu dem Song über die freien, aber armen Outcasts dieser Welt. Oftmals fesseln die dokumentarischen Fotos und Filme aus den sechziger Jahren mehr als die neuen Arbeiten der Thek-Nachfolge, ja sogar mehr als manche der Leinwände und der rekonstruierten Installationen des heroischen Außenseiters selbst.
    Eine Ausnahme bildet Gregor Schneiders Nachbau einer Isolationszelle von Guantanamo. Sie sieht eben nicht aus wie eine Kopie der mystischen Environments von Paul Thek und seiner Co-op aus den sechziger und siebziger Jahren. Sie versinnbildlicht aber genauso die Isolation des Künstlers wie Theks berühm-testes Werk "The Tomb" aus dem Jahre 1967. Die stilisierte Zikkurat war eine Art Mausoleum, in dem ein bis ins Detail ausgeführter Abguss seines eigenen, bekleideten Körpers wie tot aus Wachs auf dem Boden lag. Was immer den damals 34-jährigen Amerikaner in diese Endzeitstimmung gebracht hat - unmissverständlich sprechen Selbstzweifel, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit aus dieser Arbeit, obwohl der Künstler zunehmend international Beachtung fand.

    In den achtziger Jahren lebte Thek zurückgezogen und malte die Fensterausblicke seiner Wohnung in New York. 1988 starb er völlig verarmt an AIDS. Ins Gedächtnis der Art-Community gelangte der Melancholiker erst wieder, als Mike Kelley zu Beginn der neunziger Jahre einen Aufsatz über ihn veröffentlichte. Akademieprofessor Axel Heil über den Einfluss der Legende Paul Thek:

    "Ein Statement wie 'Get over yourself' war und ist für junge Künstler zu Beginn der neunziger Jahre ein Motto, das heute, 15 Jahre später, schon fast wieder exotisch wirkt, wo das Betriebssystem die Arbeit im Studio völlig aufgefressen hat."

    Dass Thek großen Einfluß ausübte, läßt sich nach dieser Mega-Schau vermuten, aber nicht unmittelbar nachprüfen. Zu vielseitig und mehrdimensional ist sein Werk, zu wenig haben sich die Kuratoren auf den direkten Vergleich eingelassen. So entzieht sich die Legende ein weiteres Mal dem Publikum, und behauptet seinen Kultstatus.