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Vergiftete Bergwelt

" Tag für Tag, Nacht für Nacht wabern giftige Gase über den Fluss, treiben durch die Straßen der Altstadt, dringen ein in unsere Häuser. Besonders schlimm ist es am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit. Dichte Qualmwolken quellen dann nicht nur aus dem großen Schlot und Dutzenden kleinerer Schornsteine, sondern auch aus dem Dach und unzähligen Ritzen der Anlage. Senfgelbe und dunkelgraue Gase, die wie ein Schleier über der Stadt liegen und unerträglich brennen – in den Augen, im Hals."

Von Thomas Kruchem |
    Graue Menschen; gebückte, verängstigt wirkende Menschen in einer grauen, düsteren Stadt. La Oroya, 35.000 Einwohner, liegt in den Zentralanden Perus, gezwängt in ein enges Tal am Oberlauf des Rio Mantaro, 3.800 Meter über dem Meer. Öde Häuschen an kahlen Hängen, umgeben von schwarzer Schlacke, von grauen Bergen mit gelblich-weißem Belag, auf denen kein Grashalm wächst.

    Eine 80 Jahre alte Metallhütte produziert in La Oroya Blei, Zink und Kupfer – aus so genannten polymetallischen Konzentraten, die neben den erwünschten auch giftige Schwermetalle enthalten. Die Betreiber in La Oroya haben das Gift stets der Luft und dem Fluss überlassen: Schwefeldioxid, Arsen, Cadmium, Uran, gewaltige Mengen nicht genutzten Bleis. – 1997 verkaufte Perus Regierung die Hütte der US-Firma "Doe Run" – zu einem äußerst günstigen Preis, an den allerdings eine Auflage gekoppelt war: Umweltinvestitionen von 170 Millionen Dollar bis Ende 2006. – Bis heute jedoch sind diese Investitionen gerade erst zu einem Drittel verwirklicht; die Hütte bläst, nach eigenen Angaben, täglich noch 580 Tonnen Schwefeldioxidqualm in die Luft – gesättigt mit Bleistaub. – Zehn Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut sind aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation gerade noch akzeptabel, erklärt am örtlichen Krankenhaus Neurologe Hugo Villa. In La Oroya haben fast alle Kinder den vier- bis achtfachen Wert.

    " In meine Sprechstunde kommen zahlreiche Kinder und Erwachsene mit Kopfschmerzen, tauben Gliedmaßen und Muskelschwäche. Arbeiter der Anlage klagen häufig auch über Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen – bedingt durch Nervenschäden, die eindeutig auf eine enorm hohe Bleibelastung zurückzuführen sind. Fachkliniken in Lima bestätigen das. Mit einer Unmenge von Fällen giftbedingter Schäden am Atemsystem haben es derweil meine Kollegen aus Pädiatrie und Allgemeinmedizin zu tun."

    Symptome von Schwefeldioxid-, Arsen- und Cadmiumvergiftung. Die Schwermetallbelastung in Knochen und Organen der Kinder von La Oroya; das Vorkommen von Nieren-, Magen- und Lungenkrebs; die Lebenserwartung der Menschen hier – all das hat niemand bislang wissenschaftlich untersucht. "Wen interessiert es?" fragt Neurologe Hugo Villa – empört darüber, dass Kinder im Schatten der Hütte schon chancenlos zur Welt kommen.

    " Es ist seit längerem bekannt, dass Blei im Blut der Mutter die Plazenta-Schranke passiert und das Baby im Uterus vergiftet. In La Oroya werden folgerichtig praktisch alle Babys mit mindestens schon zehn Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut geboren. Ein Wissenschaftler der Universität Huancayo hat dies in seiner Dissertation ausführlich dokumentiert."

    Der durch La Oroya fließende Rio Mantaro ist an seinem Oberlauf gesäumt von nichts als nacktem Fels – tot wie der Fluss selbst. 15 Kilometer flussabwärts jedoch weitet sich das Tal allmählich. Viehweiden, Kartoffel-, Artischockenfelder tauchen auf; Frauen in bunten Kleidern und dunklen Hüten, gebeugt über Feldfrüchte, sitzend vor ziegelgedeckten Lehmhütten; Dörfer, gebettet in frisches Grün.

    "Wir befinden uns 80 Kilometer östlich von La Oroya", sagt in der Provinz Jauja der Bauer Rolando Granados Cruz, deutet gestikulierend auf einen vom Rio Mantaro her kommenden Bewässerungskanal, auf seine blühenden Kartoffelfelder.

    " Im Moment ist Regenzeit; da sieht man das Schlimmste gar nicht. Aber während der Aussaat im Frühling und in der Regel über neun Monate im Jahr bewässern wir unsere Felder aus dem Rio Mantaro. Wir öffnen die Tore an den Bewässerungskanälen dort und überschwemmen so die Felder. – Schon wenige Stunden später sehen wir dann Schlacke und anderen Schmutz, die sich wie ein Film auf die Pflanzen gelegt haben. Den mit Schwermetallen belasteten Klee verfüttern wir trotzdem an unsere Kühe, trinken dann deren Milch, essen schließlich das Fleisch. Auch unsere kleinen Haustiere – Meerschweinchen, Enten und Hühner – fressen fast nur Futter von diesen Feldern."

    Felder, auf denen es keine Regenwürmer mehr gibt, weil Fluss und Wind das Gift von La Oroya im ganzen Tal des Rio Mantaro verteilt haben – in Perus größtem Anbaugebiet für Gemüse. – Für die wenig profitträchtigen Umweltinvestitionen beantragen die amerikanischen Betreiber der Metallhütte derweil immer neue Fristverlängerungen – unterstützt von handzahmen Gewerkschaften und Leuten wie Abila Rojas, Führer einer "Front für die Verteidigung von La Oroya", die jetzt lautstark Angst um die 3.000 Arbeitsplätze der Hütte schürt und Umweltschützer als Arbeitsplatzvernichter brandmarkt.

    " Die gesamte Bevölkerung La Oroyas steht hinter der Forderung, "Doe Run" die beantragte Fristverlängerung einzuräumen und so auch unsere Rechte zu wahren. Es befindet sich alles auf einem guten Weg; und die Bevölkerung ist entschlossen, das zu verteidigen – wenn es sein muss, auch mit Straßenblockaden. Schon einmal haben wir die durch La Oroya führende "Carretera Central" blockiert und so den gesamten Verkehr zwischen Lima und Huancayo lahm gelegt."

    … mit dem durchschlagenden Erfolg, dass 2004 ein Gesetz speziell für "Doe Run" erging. Es eröffnet der Firma die Möglichkeit, die Umweltinvestitionen für weitere vier Jahren aufzuschieben. Ein Gesetz, gegen das Umweltschützer im Tal des Rio Mantaro Sturm laufen; allen voran der Erzbischof von Huancayo Pedro Barreto. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern organisiert er Studien, Aufklärungskampagnen und Demonstrationen in ganz Peru –unterstützt vom deutschen Hilfswerk "Misereor".

    " Wenn ich als Erzbischof dieser Diözese sehe, wie die Verhüttungsanlage in La Oroya die Umwelt zerstört; wenn ich von der Umweltbehörde CONAM erfahre, dass die Anlage täglich über tausend Tonnen toxischer Gase in die Luft bläst, die dann über der Stadt niedersinken und noch im 140 Kilometer entfernten Huancayo Menschen vergiften, dann darf ich dazu nicht schweigen. – Ich habe kürzlich mit Papst Benedikt XVI. persönlich über die Umweltproblematik hier gesprochen. Was der peruanische Staat tue, hat der Papst gefragt; ich antwortete ihm; und mit großer Weisheit gab mir der Heilige Vater seine Unterstützung mit auf den Weg, die Menschen hier in ihrem Kampf für eine saubere Umwelt zu begleiten."