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Verhängnisvolle Beziehung

Biologie. - Steinadler abschießen - das hört sich zunächst an wie ein Sakrileg, aber es könnte die einzige Maßnahme sein, die einen winzigen Fuchs retten kann: den Kanalinselfuchs, der seit 20.000 Jahren auf den Kanalinseln vor Los Angeles heimisch ist. Auf diesen Inseln hat sich seit Mitte der 90er Jahren ein fatales Dreiecksverhältnis etabliert, das zeigt, wie komplex und schwer Artenschutz sein kann. In der jüngsten Ausgabe von "Science" berichten Biologen darüber.

Dagmar Röhrlich |
    Es ist eine "Beziehungskiste" zwischen Kanalfuchs, Schwein und Steinadler - und die läuft schlecht: Der kleine Fuchs droht auszusterben. In den vergangenen 20.000 Jahren hat sich das katzengroße, höchstens zwei Kilo leichte Tier auf San Miguel, Santa Rosa und Santa Cruz entwickelt, seit dort Graufüchse durch den ansteigenden Meeresspiegel vom Festland abgeschnitten wurden. Gary Roemer von der New Mexico State University in Las Cruces:

    Vor rund 10.000 Jahren wurden die Inseln von amerikanischen Ureinwohnern besiedelt. Die brachten die Kanalfüchse auf die südlichen Inseln, so dass es die Tiere nun auf sechs Kanalinseln gibt und sonst nirgends auf der Welt.
    20.000 Jahre lang haben sie sich ohne Feinde entwickelt und sind entsprechend freundlich. Es ging den Füchsen gut - aber unglücklicherweise setzte der Mensch vor 200 Jahren Schweine aus, die schnell verwilderten und sich unglaublich vermehrten. Und es sind die Ferkel, die das Verderben ins Fuchsparadies gelockt haben. Bis Mitte der 90er Jahre schauten die Adler nur hin und wieder auf den Inseln vorbei. Aber vor zehn Jahren waren sie durch all' die Ferkel zum Schlaraffenland geworden, so dass die Greifvögel blieben und sich ebenfalls stark vermehrten. Roemer:

    Sie ernähren sich hauptsächlich von den Ferkeln, und wegen des opulenten Angebots begannen sie auf den drei nördlichen Kanalinseln zu brüten. Die Adler haben zwar kaum einen Effekt auf die Schweine, aber die Füchse sind für die Vögel ein leicht zu schlagendes Zusatzfutter. Auf San Miguel und Santa Rosa sind die Kanalfüchse inzwischen in freier Wildbahn ausgestorben, auf Santa Cruz ist der Bestand von 1500 Tieren auf 65 gefallen. Wir hätten einen solchen Zusammenhang zwischen Fuchs, Schwein und Adler niemals erwartet: Dass die Schweine es den Adlern erlauben, als fremde Art in einen Lebensraum einzudringen.
    Da die Schweine sich nicht nur wie wild vermehren, sondern auch den Boden umwühlen und die Lebensräume zerstören, sollen sie von den Inseln entfernt werden. Die gut gemeinte konservatorische Maßnahme könnte sich in der neu entstandenen Situation als fatal erweisen. Roemer:

    Wenn man die Schweine entfernt, ohne vorher die Adler herausgenommen zu haben, werden sich die Adler vollkommen auf die Füchse konzentrieren. Da nützt es nichts, die Zahl der Adler zu reduzieren. Auf Santa Cruz hat man so viele Steinadler wie möglich weggefangen: Die verbleibenden üben einen ungeheuer großen Druck auf die inzwischen sehr kleine Fuchspopulation aus.
    31 Adler wurden umgesiedelt - aber die restlichen gingen den Tierschützern nicht in die Falle - und sie töten Inselfuchs um Inselfuchs. Roemer:

    An diesem Punkt plädieren wir dafür, dass die Steinadler so schnell wie möglich vollkommen herausgenommen werden, damit sich die Fuchspopulation erholen kann. Notfalls müssen der Adler geschossen werden, wenn sie sich nicht einfangen lassen.

    Erst muss der Adler fort, und dann erst die wilden Schweine. Rechtlich hofft man, den Abschuss der streng geschützten Vogel durchsetzen zu können. Schließlich erhielten Farmer bereits Genehmigungen, wenn Steinadler sich unmäßig über Lämmer her machten. Inzwischen hat die Parkverwaltung zumindest den Plan zum Abtransport der Schweine vorläufig gestoppt. Roemer:

    Beim Artenschutz ist es nicht immer so einfach, dass man nur die Ursache eines Problems zu beseitigen braucht. Vielmehr kann man damit etwas Unerwartetes anrichten. Man muss alles sorgfältig in Betracht ziehen, damit man nicht vernichtet, was man eigentlich schützen wollte.