Burkhard Birke: Seit zwölf Wochen streiken die Ärzte an den Landes- und Unikliniken, und ein Ende der Tarifauseinandersetzung ist noch immer nicht in Sicht. Im Gegenteil: Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft droht der Streik nun sogar auszuufern. Der Totalstreik wird an einigen Kliniken erwogen, und einige Universitätskliniken haben auch schon damit begonnen, Patienten auszulagern, da eine vernünftige ärztliche Betreuung offenbar nicht mehr gewährleistet ist. Die Ärztegewerkschaft will verhandeln, die Tarifgemeinschaft der Länder nicht oder noch nicht.
Im Deutschlandfunk reden beide Seiten zumindest miteinander. Ich begrüße zum einen den Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery. Einen schönen guten Morgen!
Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Birke!
Birke: Und Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, den Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder. Guten Morgen, Herr Möllring!
Hartmut Möllring: Guten Morgen, Herr Birke! Guten Morgen, Herr Montgomery!
Montgomery: Guten Morgen, Herr Minister!
Birke: Herr Montgomery, zunächst an Sie die Frage. Zuckerbrot und Peitsche ist ja ein bewährtes Procedere. Was außer der angekündigten Verschärfung des Streiks können Sie denn Herrn Möllring anbieten, damit er heute bei den Beratungen der Tarifgemeinschaft der Länder die Rückkehr an den Verhandlungstisch empfiehlt?
Montgomery: Herr Möllring kennt unsere Position, kennt die vielen unterschiedlichen Verhandlungskonstrukte, die wir entwickelt haben. Er weiß, dass ganz viel von dem, was wir in der Vergangenheit gefordert haben, ja schon in Verhandlungen auf vernünftige Maße zurechtgestutzt ist. Ich glaube, wir können Leitplanken beschreiben, zwischen denen er sich bewegen muss und denen ich mich bewegen muss, und darüber kann man vernünftig verhandeln.
Birke: Herr Möllring, reicht Ihnen das, um jetzt an den Verhandlungstisch zurückzukehren?
Möllring: Nein. Wir haben ja am Verhandlungstisch gesessen. Wir haben ja ein fantastisches Angebot gemacht. Der Marburger Bund hat die Verhandlungen abgebrochen. Wir haben ja die meisten Forderungen des Marburger Bundes inzwischen mit ver.di verabredet. Deshalb ist eigentlich dieser Ärztestreik nicht mehr ganz verständlich. Es geht jetzt nur noch um 100 Euro pro Monat, und ich finde, dafür ist das alles ein bisschen übertrieben.
Birke: Sie bestehen also praktisch auf der Übernahme des ver.di-Tarifvertrages für alle öffentlichen Beschäftigten auf Länderebene?
Möllring: Nicht auf alle öffentlichen Beschäftigten, sondern auch für die Ärzte, denn das Angebot ist exorbitant gut. Wir bieten dem Arzt im ersten Jahr 509 Euro mehr als er heute bekommt und im fünften Jahr, also mit 32, 33 Jahren 4500 Euro pro Monat plus Bereitschaftsdienste und so weiter. Ich finde, das ist ein gutes Angebot, und das sollten sich die Ärzte jetzt langsam mal überlegen.
Birke: Das heißt, das ist so eine Art Politik Ärztegewerkschaft friss oder stirb? Dieses Angebot wird nicht nachgebessert?
Möllring: Nein. Das hat nichts mit friss oder stirb zu tun, sondern die Ärzte haben 30 Prozent mehr verlangt, und Herr Montgomery hat ja jetzt zu Recht gesagt, das ist eine politische Forderung gewesen. Nun muss man sich ja irgendwo mal auf einem vernünftigen Maß einigen.
Birke: Herr Montgomery, lohnt es sich für diese erwähnten 100 Euro mehr weiterzustreiken und jetzt wo möglich auch die Notfallplanung der Weltmeisterschaft zu gefährden?
Montgomery: Herr Birke, das fantastische Angebot des Ministers, was so exorbitant ist, ist in Wirklichkeit eine Mogelpackung. Wir kriegen nur das zurück, was man uns einseitig und gegen unseren Willen genommen hat, nämlich das Weihnachtsgeld. Und vor allem: Wir kriegen eine Vergütung dafür, dass wir bereit sind, mehr zu arbeiten, nämlich 42 Stunden. Wenn Sie das rausrechnen, dann ist das fantastische Angebot ein Nullsummenspiel, ja sogar für den jungen Berufsanfänger ein Minus von 2,8 Prozent. Ärzte können nicht nur zählen, Ärzte können auch rechnen, und die wissen, dass es eine Milchmädchenrechnung ist, wenn man zwar pro Monat mehr bekommt, aber dafür kein 13. Gehalt und darüber hinaus neun Prozent mehr arbeiten muss. Deswegen geht es eben nicht um 100 Euro allein, sondern es geht auch um die Frage, wie anständig es ist, mit einer Gewerkschaft wie dem Marburger Bund neun Verhandlungsrunden und drei Spitzengespräche zu führen und anschließend mit ver.di den billigen Jakob abzuschließen.
Das geht nicht! Wir werden deswegen darauf bestehen, einen arztspezifischen Tarifvertrag zu verhandeln. Da gibt es wie gesagt Leitplanken. Es gibt Kompromisse, die man in der Vergangenheit schon erreicht hatte, die dann von der Arbeitgeberseite wieder zurückgezogen wurden. Entlang dieser Leitplanken werden wir mal sehen, ob wir zu einer konstruktiven Lösung kommen. Ich bin da eigentlich sehr optimistisch.
Birke: Herr Möllring, ist ein eigener Tarifvertrag für die Ärzte grundsätzlich tabu für Sie?
Möllring: Nein. Wir hatten ja dem Marburger Bund eine Woche, bevor wir mit ver.di verhandelt haben, das angeboten. Herr Montgomery hat diese Verhandlungen abgebrochen. Herr Montgomery erzählt ja Sachen, die so nicht stimmen. Was heißt denn hier 13. Monatsgehalt? Was heißt denn hier alter BAT? Wir haben die alten Verträge gekündigt. Es gibt keinen Assistenzarzt, der noch ein 13. Monatsgehalt kriegt, jedenfalls nicht in den ersten drei Jahren, so dass wir heute einen Assistenzarzt im ersten Jahr haben, der 3091 Euro kriegt. Dem bieten wir jetzt 3600. Wir haben Assistenzärzte im zweiten Jahr; die kriegen heute 3091 Euro. Denen bieten wir jetzt 3800, also über 700 Euro mehr. Ich finde, das ist ein ordentliches Angebot. Man kann ja nicht sagen, ich möchte gerne die Zustände von vor drei Jahren haben. Dann müssen wir auch wieder den Arzt im Praktikum einführen. Das heißt, wir bieten ihm dann 1400 Euro und jetzt kriegt er 3091. Man muss also schon die Situation von heute sehen und nicht die Situation von früher und dann noch Rosinenpickerei machen und nur das Schöne von früher heraussammeln und nicht das, was früher schlechter war.
Birke: Aber es gibt ja nun auch einen Kompromiss, der wohl ein bisschen dazwischen liegt und der ja von Bayern mit dem Marburger Bund ausgehandelt wurde, der im Volumen bei zirka 20 Prozent mehr liegt bis 2008, auch 20 Prozent mehr als über dem Tarifvertrag der Länder, den Sie ja, Herr Möllring, zu Grunde legen wollen. Herr Montgomery, wäre das für Sie ein akzeptabler Weg, hier zu einem Abschluss endlich zu kommen und vielleicht auch das wachsende Unverständnis in der Bevölkerung über den Ärztestreik zu eliminieren?
Montgomery: Der bayerische Abschluss ist ein Sonderweg, den ich zwar begrüße für die Bayern, aber im Kern bin ich an einem Flächentarifvertrag interessiert, denn es wäre schlimm, wenn Herr Möllring in Niedersachsen zusammen mit Rheinland-Pfalz und vier ostdeutschen Bundesländern als Niedriglohngebiet übrig blieben, während die reicheren Bundesländer sich ihre Ärzte zu besseren Bedingungen einkaufen könnten. Das wäre nicht gut für die Forschung in Hannover und Göttingen. Deswegen ist ja auch das, was wir als Streikbewegung erleben, eine absolute Bottom-up-Bewegung von Assistenten und Ordinarien. Die sagen, wir können diese Art von Tarifpolitik und diese Art von Bezahlung der jungen Wissenschaftler nicht länger erdulden.
Birke: Aber die Frage war ja, ob dieser Tarifvertrag Modell sein könnte oder praktisch die Blaupause für den Flächentarifvertrag?
Montgomery: Ich glaube, wir haben viele Blaupausen. Es gibt berühmte Kompromisse, die auch mit der Stadt München verbunden sind. Es gibt Gesprächsergebnisse und dann nicht angenommene Ergebnisse von Dresden. Ich glaube Herr Möllring und ich, wir kennen beide ganz viele Korridore, innerhalb derer wir uns bewegen können. Da wird auch München eine Rolle spielen. Aber entscheidend ist für uns, dass wir wirklich zukunftsfähige Arbeitsplätze für junge Assistenzärzte bekommen, denn vergessen wir nicht: Ein Drittel der jungen Ärzte wandert heute ins Ausland aus und nimmt 300.000 Euro Ausbildungskosten mit. Das ist eine volkswirtschaftliche Verschwendung erster Güte. Und wenn man auch mal mit den Länderhaushalten volkswirtschaftlich intelligenter rechnen würde, würde man feststellen, dass es sich vielleicht lohnt, ein bisschen mehr in diese jungen Ärzte zu investieren. Dann bleiben sie nämlich hier, dienen den Patienten und sind später auch mal als niedergelassene Fachärzte von großem Wert für die Versorgung der Bevölkerung.
Birke: Herr Möllring, warum nicht auf das Angebot eingehen und jetzt Herrn Montgomery entgegenkommen und vielleicht diesen bayerischen Abschluss doch zu Grunde legen?
Möllring: Nein. Herr Montgomery verkennt ja, dass ein Arzt sicherlich nicht nur wegen der 100 Euro dann nach München geht. Erstens sind die Lebenshaltungskosten in München natürlich teurer als in Göttingen oder als in Hannover. Außerdem bieten wir dem Arzt exzellente Ausbildungsmöglichkeiten in Hannover und in Göttingen, weil beide Kliniken einen hervorragenden Ruf haben. Das muss man ja auch mal sehen.
Herr Montgomery hat völlig Recht. Wir schenken dem Arzt als Staat, als Steuerzahler - das bezahlen ja alles die Krankenschwestern und alle anderen, die Steuern zahlen - seine Ausbildung. Dann kommt er nach seinem Studium und sagt, ich will nicht 3600 Euro haben, sondern ich will 3700 Euro haben, ansonsten gehe ich ins Ausland. Das sind ja, sagen wir mal, Anspruchsdenken der Ärzte, was Herr Montgomery eben noch mal bestätigt hat, worüber man ja noch mal diskutieren muss, ob das ethisch vertretbar ist und ob man nicht sagen muss, gut, ich habe hier für 300.000 Euro vom Staat eine Ausbildung geschenkt gekriegt und nun bin ich auch bereit, für 3600 Euro zu arbeiten und fordere nicht wie jetzt in München 3700 Euro.
Birke: Herr Möllring, das ist sicher alles sehr, sehr wichtig und relevant, aber was die Zuhörer ja interessiert ist: Wie geht es weiter? Was werden Sie heute der Tarifgemeinschaft empfehlen?
Möllring: Ich werde empfehlen, dass wir Herrn Montgomery das gleiche Angebot machen, wie wir es ver.di gemacht haben. Entweder wird dieses Angebot angenommen, oder aber es wird nicht angenommen. Wir haben ja einen Tarifvertrag, der auch für die Ärzte gilt. Ich werde empfehlen, dass wir das ab 1. 7. in den Gehaltszahlungen der Ärzte bezahlen. Dann muss man mal weitersehen.
Birke: Das heißt, Sie wollen zunächst nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren?
Möllring: Es gibt gar keinen Grund, an den Verhandlungstisch zurückzugehen. Wir haben ja eben von Herrn Montgomery gehört, dass er gar nicht ernsthaft verhandeln will. Er hat dieses Angebot damals in Dresden abgelehnt, und er ist heute noch nicht kompromissbereit. Dann muss man sehen, wie es weitergeht.
Birke: Welche Konsequenzen ziehen Sie, Herr Montgomery, jetzt für die Ärztegewerkschaft daraus?
Montgomery: Ich habe ja mal gehofft, dass wir endlich mal aus dieser tarifpolitischen Rabulistik heraus kommen. Wir haben berechtigterweise das Angebot, das man ver.di gemacht hat, abgelehnt. Wir haben sogar noch ein besseres bekommen, ein minimal besseres und dieses abgelehnt. Das hat dazu geführt, dass sich inzwischen eine riesige Solidarisierungswelle von den Chefärzten, den Ordinarien bis zu den Assistenten ausbreitet, dass inzwischen selbst konservative Kliniken wie Göttingen und Hannover in den Vollstreik getreten sind, weil man mit diesem Angebot und mit dieser Art von Tarifpolitik nicht weiter kommt. Wenn wir wirklich verhandeln wollen - und das biete ich Herrn Möllring an –-und nicht Kapitulationsurkunden unterschreiben sollen - das wäre der völlig falsche Weg und hat mit Tarifpolitik nichts zu tun -, dann wird er heute in seiner Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder mal überlegen müssen, was das Wort "verhandeln" wirklich heißt, nämlich zuerst mal handeln. Deswegen sage ich mal, ich bin ziemlich sicher: Wir werden relativ bald uns wieder am Verhandlungstisch treffen.
Birke: Können Sie uns wenigstens beruhigen, dass die Notfallversorgung während der WM gesichert ist?
Montgomery: Wir haben rechtzeitig schon vor vier Wochen darauf hingewiesen, dass man die Notfallpläne überprüfen soll, welche Universitätskliniken eingebunden sind. Und Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dadurch, wenn man 40 Kliniken bundesweit bestreikt bei 2200 vorhandenen Krankenhäusern, das dadurch die Notfallversorgung der WM irgendwie in Gefahr käme.
Birke: Das war Frank Ulrich Montgomery. Er ist der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Und ich bedanke mich auch recht herzlich bei dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring. Er ist der Verhandlungsführer für die Tarifgemeinschaft der Länder. Vielen Dank beide Herren für dieses Gespräch!
Möllring: Vielen Dank! Tschüss, Herr Montgomery!
Montgomery: Tschüss, Herr Möllring!
Im Deutschlandfunk reden beide Seiten zumindest miteinander. Ich begrüße zum einen den Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery. Einen schönen guten Morgen!
Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Birke!
Birke: Und Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, den Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder. Guten Morgen, Herr Möllring!
Hartmut Möllring: Guten Morgen, Herr Birke! Guten Morgen, Herr Montgomery!
Montgomery: Guten Morgen, Herr Minister!
Birke: Herr Montgomery, zunächst an Sie die Frage. Zuckerbrot und Peitsche ist ja ein bewährtes Procedere. Was außer der angekündigten Verschärfung des Streiks können Sie denn Herrn Möllring anbieten, damit er heute bei den Beratungen der Tarifgemeinschaft der Länder die Rückkehr an den Verhandlungstisch empfiehlt?
Montgomery: Herr Möllring kennt unsere Position, kennt die vielen unterschiedlichen Verhandlungskonstrukte, die wir entwickelt haben. Er weiß, dass ganz viel von dem, was wir in der Vergangenheit gefordert haben, ja schon in Verhandlungen auf vernünftige Maße zurechtgestutzt ist. Ich glaube, wir können Leitplanken beschreiben, zwischen denen er sich bewegen muss und denen ich mich bewegen muss, und darüber kann man vernünftig verhandeln.
Birke: Herr Möllring, reicht Ihnen das, um jetzt an den Verhandlungstisch zurückzukehren?
Möllring: Nein. Wir haben ja am Verhandlungstisch gesessen. Wir haben ja ein fantastisches Angebot gemacht. Der Marburger Bund hat die Verhandlungen abgebrochen. Wir haben ja die meisten Forderungen des Marburger Bundes inzwischen mit ver.di verabredet. Deshalb ist eigentlich dieser Ärztestreik nicht mehr ganz verständlich. Es geht jetzt nur noch um 100 Euro pro Monat, und ich finde, dafür ist das alles ein bisschen übertrieben.
Birke: Sie bestehen also praktisch auf der Übernahme des ver.di-Tarifvertrages für alle öffentlichen Beschäftigten auf Länderebene?
Möllring: Nicht auf alle öffentlichen Beschäftigten, sondern auch für die Ärzte, denn das Angebot ist exorbitant gut. Wir bieten dem Arzt im ersten Jahr 509 Euro mehr als er heute bekommt und im fünften Jahr, also mit 32, 33 Jahren 4500 Euro pro Monat plus Bereitschaftsdienste und so weiter. Ich finde, das ist ein gutes Angebot, und das sollten sich die Ärzte jetzt langsam mal überlegen.
Birke: Das heißt, das ist so eine Art Politik Ärztegewerkschaft friss oder stirb? Dieses Angebot wird nicht nachgebessert?
Möllring: Nein. Das hat nichts mit friss oder stirb zu tun, sondern die Ärzte haben 30 Prozent mehr verlangt, und Herr Montgomery hat ja jetzt zu Recht gesagt, das ist eine politische Forderung gewesen. Nun muss man sich ja irgendwo mal auf einem vernünftigen Maß einigen.
Birke: Herr Montgomery, lohnt es sich für diese erwähnten 100 Euro mehr weiterzustreiken und jetzt wo möglich auch die Notfallplanung der Weltmeisterschaft zu gefährden?
Montgomery: Herr Birke, das fantastische Angebot des Ministers, was so exorbitant ist, ist in Wirklichkeit eine Mogelpackung. Wir kriegen nur das zurück, was man uns einseitig und gegen unseren Willen genommen hat, nämlich das Weihnachtsgeld. Und vor allem: Wir kriegen eine Vergütung dafür, dass wir bereit sind, mehr zu arbeiten, nämlich 42 Stunden. Wenn Sie das rausrechnen, dann ist das fantastische Angebot ein Nullsummenspiel, ja sogar für den jungen Berufsanfänger ein Minus von 2,8 Prozent. Ärzte können nicht nur zählen, Ärzte können auch rechnen, und die wissen, dass es eine Milchmädchenrechnung ist, wenn man zwar pro Monat mehr bekommt, aber dafür kein 13. Gehalt und darüber hinaus neun Prozent mehr arbeiten muss. Deswegen geht es eben nicht um 100 Euro allein, sondern es geht auch um die Frage, wie anständig es ist, mit einer Gewerkschaft wie dem Marburger Bund neun Verhandlungsrunden und drei Spitzengespräche zu führen und anschließend mit ver.di den billigen Jakob abzuschließen.
Das geht nicht! Wir werden deswegen darauf bestehen, einen arztspezifischen Tarifvertrag zu verhandeln. Da gibt es wie gesagt Leitplanken. Es gibt Kompromisse, die man in der Vergangenheit schon erreicht hatte, die dann von der Arbeitgeberseite wieder zurückgezogen wurden. Entlang dieser Leitplanken werden wir mal sehen, ob wir zu einer konstruktiven Lösung kommen. Ich bin da eigentlich sehr optimistisch.
Birke: Herr Möllring, ist ein eigener Tarifvertrag für die Ärzte grundsätzlich tabu für Sie?
Möllring: Nein. Wir hatten ja dem Marburger Bund eine Woche, bevor wir mit ver.di verhandelt haben, das angeboten. Herr Montgomery hat diese Verhandlungen abgebrochen. Herr Montgomery erzählt ja Sachen, die so nicht stimmen. Was heißt denn hier 13. Monatsgehalt? Was heißt denn hier alter BAT? Wir haben die alten Verträge gekündigt. Es gibt keinen Assistenzarzt, der noch ein 13. Monatsgehalt kriegt, jedenfalls nicht in den ersten drei Jahren, so dass wir heute einen Assistenzarzt im ersten Jahr haben, der 3091 Euro kriegt. Dem bieten wir jetzt 3600. Wir haben Assistenzärzte im zweiten Jahr; die kriegen heute 3091 Euro. Denen bieten wir jetzt 3800, also über 700 Euro mehr. Ich finde, das ist ein ordentliches Angebot. Man kann ja nicht sagen, ich möchte gerne die Zustände von vor drei Jahren haben. Dann müssen wir auch wieder den Arzt im Praktikum einführen. Das heißt, wir bieten ihm dann 1400 Euro und jetzt kriegt er 3091. Man muss also schon die Situation von heute sehen und nicht die Situation von früher und dann noch Rosinenpickerei machen und nur das Schöne von früher heraussammeln und nicht das, was früher schlechter war.
Birke: Aber es gibt ja nun auch einen Kompromiss, der wohl ein bisschen dazwischen liegt und der ja von Bayern mit dem Marburger Bund ausgehandelt wurde, der im Volumen bei zirka 20 Prozent mehr liegt bis 2008, auch 20 Prozent mehr als über dem Tarifvertrag der Länder, den Sie ja, Herr Möllring, zu Grunde legen wollen. Herr Montgomery, wäre das für Sie ein akzeptabler Weg, hier zu einem Abschluss endlich zu kommen und vielleicht auch das wachsende Unverständnis in der Bevölkerung über den Ärztestreik zu eliminieren?
Montgomery: Der bayerische Abschluss ist ein Sonderweg, den ich zwar begrüße für die Bayern, aber im Kern bin ich an einem Flächentarifvertrag interessiert, denn es wäre schlimm, wenn Herr Möllring in Niedersachsen zusammen mit Rheinland-Pfalz und vier ostdeutschen Bundesländern als Niedriglohngebiet übrig blieben, während die reicheren Bundesländer sich ihre Ärzte zu besseren Bedingungen einkaufen könnten. Das wäre nicht gut für die Forschung in Hannover und Göttingen. Deswegen ist ja auch das, was wir als Streikbewegung erleben, eine absolute Bottom-up-Bewegung von Assistenten und Ordinarien. Die sagen, wir können diese Art von Tarifpolitik und diese Art von Bezahlung der jungen Wissenschaftler nicht länger erdulden.
Birke: Aber die Frage war ja, ob dieser Tarifvertrag Modell sein könnte oder praktisch die Blaupause für den Flächentarifvertrag?
Montgomery: Ich glaube, wir haben viele Blaupausen. Es gibt berühmte Kompromisse, die auch mit der Stadt München verbunden sind. Es gibt Gesprächsergebnisse und dann nicht angenommene Ergebnisse von Dresden. Ich glaube Herr Möllring und ich, wir kennen beide ganz viele Korridore, innerhalb derer wir uns bewegen können. Da wird auch München eine Rolle spielen. Aber entscheidend ist für uns, dass wir wirklich zukunftsfähige Arbeitsplätze für junge Assistenzärzte bekommen, denn vergessen wir nicht: Ein Drittel der jungen Ärzte wandert heute ins Ausland aus und nimmt 300.000 Euro Ausbildungskosten mit. Das ist eine volkswirtschaftliche Verschwendung erster Güte. Und wenn man auch mal mit den Länderhaushalten volkswirtschaftlich intelligenter rechnen würde, würde man feststellen, dass es sich vielleicht lohnt, ein bisschen mehr in diese jungen Ärzte zu investieren. Dann bleiben sie nämlich hier, dienen den Patienten und sind später auch mal als niedergelassene Fachärzte von großem Wert für die Versorgung der Bevölkerung.
Birke: Herr Möllring, warum nicht auf das Angebot eingehen und jetzt Herrn Montgomery entgegenkommen und vielleicht diesen bayerischen Abschluss doch zu Grunde legen?
Möllring: Nein. Herr Montgomery verkennt ja, dass ein Arzt sicherlich nicht nur wegen der 100 Euro dann nach München geht. Erstens sind die Lebenshaltungskosten in München natürlich teurer als in Göttingen oder als in Hannover. Außerdem bieten wir dem Arzt exzellente Ausbildungsmöglichkeiten in Hannover und in Göttingen, weil beide Kliniken einen hervorragenden Ruf haben. Das muss man ja auch mal sehen.
Herr Montgomery hat völlig Recht. Wir schenken dem Arzt als Staat, als Steuerzahler - das bezahlen ja alles die Krankenschwestern und alle anderen, die Steuern zahlen - seine Ausbildung. Dann kommt er nach seinem Studium und sagt, ich will nicht 3600 Euro haben, sondern ich will 3700 Euro haben, ansonsten gehe ich ins Ausland. Das sind ja, sagen wir mal, Anspruchsdenken der Ärzte, was Herr Montgomery eben noch mal bestätigt hat, worüber man ja noch mal diskutieren muss, ob das ethisch vertretbar ist und ob man nicht sagen muss, gut, ich habe hier für 300.000 Euro vom Staat eine Ausbildung geschenkt gekriegt und nun bin ich auch bereit, für 3600 Euro zu arbeiten und fordere nicht wie jetzt in München 3700 Euro.
Birke: Herr Möllring, das ist sicher alles sehr, sehr wichtig und relevant, aber was die Zuhörer ja interessiert ist: Wie geht es weiter? Was werden Sie heute der Tarifgemeinschaft empfehlen?
Möllring: Ich werde empfehlen, dass wir Herrn Montgomery das gleiche Angebot machen, wie wir es ver.di gemacht haben. Entweder wird dieses Angebot angenommen, oder aber es wird nicht angenommen. Wir haben ja einen Tarifvertrag, der auch für die Ärzte gilt. Ich werde empfehlen, dass wir das ab 1. 7. in den Gehaltszahlungen der Ärzte bezahlen. Dann muss man mal weitersehen.
Birke: Das heißt, Sie wollen zunächst nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren?
Möllring: Es gibt gar keinen Grund, an den Verhandlungstisch zurückzugehen. Wir haben ja eben von Herrn Montgomery gehört, dass er gar nicht ernsthaft verhandeln will. Er hat dieses Angebot damals in Dresden abgelehnt, und er ist heute noch nicht kompromissbereit. Dann muss man sehen, wie es weitergeht.
Birke: Welche Konsequenzen ziehen Sie, Herr Montgomery, jetzt für die Ärztegewerkschaft daraus?
Montgomery: Ich habe ja mal gehofft, dass wir endlich mal aus dieser tarifpolitischen Rabulistik heraus kommen. Wir haben berechtigterweise das Angebot, das man ver.di gemacht hat, abgelehnt. Wir haben sogar noch ein besseres bekommen, ein minimal besseres und dieses abgelehnt. Das hat dazu geführt, dass sich inzwischen eine riesige Solidarisierungswelle von den Chefärzten, den Ordinarien bis zu den Assistenten ausbreitet, dass inzwischen selbst konservative Kliniken wie Göttingen und Hannover in den Vollstreik getreten sind, weil man mit diesem Angebot und mit dieser Art von Tarifpolitik nicht weiter kommt. Wenn wir wirklich verhandeln wollen - und das biete ich Herrn Möllring an –-und nicht Kapitulationsurkunden unterschreiben sollen - das wäre der völlig falsche Weg und hat mit Tarifpolitik nichts zu tun -, dann wird er heute in seiner Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder mal überlegen müssen, was das Wort "verhandeln" wirklich heißt, nämlich zuerst mal handeln. Deswegen sage ich mal, ich bin ziemlich sicher: Wir werden relativ bald uns wieder am Verhandlungstisch treffen.
Birke: Können Sie uns wenigstens beruhigen, dass die Notfallversorgung während der WM gesichert ist?
Montgomery: Wir haben rechtzeitig schon vor vier Wochen darauf hingewiesen, dass man die Notfallpläne überprüfen soll, welche Universitätskliniken eingebunden sind. Und Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dadurch, wenn man 40 Kliniken bundesweit bestreikt bei 2200 vorhandenen Krankenhäusern, das dadurch die Notfallversorgung der WM irgendwie in Gefahr käme.
Birke: Das war Frank Ulrich Montgomery. Er ist der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Und ich bedanke mich auch recht herzlich bei dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring. Er ist der Verhandlungsführer für die Tarifgemeinschaft der Länder. Vielen Dank beide Herren für dieses Gespräch!
Möllring: Vielen Dank! Tschüss, Herr Montgomery!
Montgomery: Tschüss, Herr Möllring!
