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Verhärtete Fronten im Atomstreit mit dem Iran

Der ehemalige Schweizer Botschafter im Iran, Tim Guldimann, rechnet damit, dass der Iran den Atomstreit noch weiter eskalieren lassen wird. Die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats durch die Internationale Atomenergiebehörde habe die Fronten weiter verhärtet, so Guldimann.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Auch der Versuch, in letzter Minute im Atomstreit mit Iran zu einer Einigung zu kommen, hat diese nicht mehr herbeigeführt. Nicht nur das Treffen der so genannten EU-Troika mit dem Teheraner Atom-Unterhändler Ali Laridschani am Freitag, auch der Versuch Russlands, in der festgefahrenen Situation zu vermitteln, verlief ohne Ergebnis. Dreh- und Angelpunkt des Konfliktes: Der Westen will, dass der Iran auf die Anreicherung von Uran verzichtet, das dem Mullah-Regime zum Bau der Atombombe verhelfen könnte. Der Iran will genau das nicht aufgeben und beruft sich auf die friedliche Nutzung der Urananreicherung, die ihm als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags zusteht. Morgen berät in Wien der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergie-Behörde, ob der Streit an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verwiesen wird. Tim Guldimann war fünf Jahre der Schweizer Botschafter in Teheran und lehrt heute an der Universität Frankfurt am Main. Herr Guldimann, wie wird die iranische Regierung denn reagieren, sollte man bei der Atombehörde morgen tatsächlich beschließen, den Sicherheitsrat anzurufen?

    Tim Guldimann: Einen entsprechenden Entscheid hat man schon am 4. Februar gefällt, nämlich den Sicherheitsrat zu informieren. Die Iraner haben immer damit gedroht, falls der Sicherheitsrat eingeschaltet wird, halten sie sich nicht mehr weiter an die Verpflichtungen, die sie im Rahmen der Verhandlungen eingegangen sind. Wenn in der IAEA in der nächsten Woche nochmals bestätigt wird, allenfalls noch spezifiziert wird, wie die Sache an den Sicherheitsrat gelangen soll, kann man davon ausgehen, dass die Iraner in der einen oder anderen Form Schritte unternehmen, die Sache nochmals etwas zu eskalieren. Aber ich glaube nicht, dass viel Neues dazukommen wird.

    Kaess: Was wären das für Schritte zur weiteren Eskalation?

    Guldimann: Das könnten verbale Schritte sein. Das könnten auch die Fortsetzung sein dessen, was sie tun: die Verweigerung, auf die Forderung die IAEA einzugehen, nämlich die im Januar beschlossene Wiederaufnahme der Anreicherung zu suspendieren. Es sieht danach aus, dass, dadurch dass der Sicherheitsrat eingeschaltet wird, die Fronten sich weiter verhärtet haben.

    Kaess: Das, was so oft als Katz-und-Maus-Spiel bezeichnet wird - wenn zum Beispiel Iran den Durchbruch in den Atomverhandlungen mit Russland ankündigt, noch bevor die Russen sich überhaupt sicher waren, ob sie sich tatsächlich geeinigt haben, und was ja dann auch im Nachhinein als falsch sich erwiesen hat -, ist das die bisher gewohnte iranische Kalenderdiplomatie vor dem Treffen der Atombehörde morgen oder schwingen da auch ernsthafte Bedenken vonseiten Irans mit, dass der Konflikt vor den Sicherheitsrat gebracht wird?

    Guldimann: Ich glaube nicht, dass man hier eine einseitige Schuldzuweisung machen kann. Es ist klar, dass jetzt in diesem Vorschlag, mit den Russen eine Lösung zu diskutieren, ein beidseitiges Interesse besteht - sowohl von Iran, die Sache etwas zu dämpfen im Hinblick darauf, dass man Hoffnungen schafft, die Sache könnte doch gelöst werden; ebenfalls auch von russischer Seite, weil die Russen klar gesagt haben, sie sind gegen Sanktionen im Sicherheitsrat und sind daran interessiert, in irgendeiner Form die Sache zu lösen. Abgesehen davon besteht ein russisches Interesse, jetzt in diesen doch weltpolitischen Konflikt eine aktivere Rolle zu spielen, als sie das bisher gemacht haben.

    Kaess: Wo liegen denn Ihrer Meinung nach in dem Konflikt vertane Chancen?

    Guldimann: Ich glaube, vor einigen Jahren wäre vielleicht nicht absolut auszuschließen gewesen, wenn von amerikanischer Seite man die Frage der Anreicherung verbunden hätte mit der Frage einer offenen Diskussion mit Iran über alle anstehenden Probleme. Es gab entsprechende Versuche von der amerikanischen Seite, noch im zweiten Jahre 2000 von Madeleine Albright als Außenministerin. Es gab entsprechende Versuche von den Iranern. Ich glaube, damals wären Dinge noch möglich gewesen, die heute nicht mehr möglich oder kaum mehr möglich sind - nicht zuletzt auch, weil von amerikanischer Seite die Möglichkeit ausgeschlossen wird, im Moment, auf das Regime in Teheran mit Respekt zuzugehen, es als Partner zu anerkennen und sich zu überlegen, wie man gemeinsam das Problem lösen kann. In der heutigen, verhärteten Situation ist diese Option nicht gegeben. Und das bedeutet, dass auf der westlichen Seite man nicht bereit ist, auf die Forderungen der Aufgabe der Anreicherung sich davon zu distanzieren, und auf iranischer Seite darauf zu insistieren.

    Kaess: Es gab im August 2005 vonseiten der EU ein Kooperationsangebot. Warum klammern sich die Iraner an den Punkt der eigenen Anreicherung, wenn das Land - so, wie das Regime das behauptet - sowieso kein Interesse hat an der militärischen Nutzung?

    Guldimann: Ich glaube, dahinter steht ein Konsens im iranischen Regime, dass das Land ein nukleares Schwellenland werden möchte. Das bedeutet, dass sie die Nuklearindustrie zu dem Punkt entwickeln wollen, von dem aus dann, in veränderten Bedingungen, allenfalls die militärische Option wahrgenommen werden könnte innerhalb von einigen Jahren. Diese Haltung haben auch andere Länder wie Japan, Brasilien, früher Südafrika gehabt. Und das ist in dem Sinne verständlich, als Iran im Krieg mit Irak es selbst erlebt hat, allein zu stehen, angegriffen werden von außen, von Saddam Hussein, der von der ganzen Welt unterstützt wurde. Ich glaube auch, dass in dieser Situation damals, das iranische Atomprogramm vorangetrieben wurde, sicher mit militärischen Intentionen. Danach hat man sich im Regime möglicherweise darauf geeinigt - so sieht es aus -, dass man ganz klar erklärt: Wir bauen die Atombombe nicht. Es gibt die klare Position des religiösen Führers, des höchsten Würdenträgers des Regimes, der das verbindlich gesagt hat.

    Kaess: Halten Sie das für glaubwürdig?

    Guldimann: Das halte ich für glaubwürdig, wenn man sagt: Aber gleichzeitig besteht der Wille, das Potenzial und die Möglichkeit, sich zu beschaffen, allenfalls in Zukunft militärisch-nuklear rüsten zu können, wenn man es dann will. Und das ist, wie gesagt, eine Position, die auch von anderen Ländern eingenommen worden ist.

    Kaess: Ist die Anreicherungsfrage für die Iraner mittlerweile eine Angelegenheit des nationalen Ehrgefühls geworden?

    Guldimann: Genau. Also das ist - zusätzlich kommt zur gemachten Überlegung noch hinzu, dass das Selbstverständnis des Landes, eine künftige Technologie-Nation zu werden, dass in diesem Selbstverständnis natürlich die Position ist, in einem Hochtechnologiebereich, in dem man schon recht weit vorangekommen ist, es sich nicht nehmen lassen möchte, hier weitermachen zu dürfen, weil der Westen es verbietet. Das heißt, es besteht eine Empfindung, von den Kolonialmächten daran gehindert zu werden, etwas tun zu dürfen, was alle anderen tun dürfen. Quasi als Einzelfall herausgenommen zu werden und ganz besonders streng behandelt zu werden im Gegensatz zu Indien und Pakistan, Israel oder Nordkorea. Indien, Pakistan und Israel haben den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet und sind die besten Freunde heute mit Atomwaffen des Westens.

    Kaess: Wie nimmt denn der Iran das jüngste amerikanische Angebot an Indien auf, Material, Technik und Know-how für Indiens Atomwirtschaft zu liefern?

    Guldimann: Ich glaube, es ist für die Iraner einfach ein Hinweis darauf, generell, dass, wenn man im nuklearen Bereich selbst weiterkommen kann, man erst dann ernst genommen wird. Also das ist eher das nordkoreanische Beispiel.

    Kaess: Wenn man sich die Situation in der Region ansieht: Im fast rein schiitischen Südirak kontrollieren Hintermänner aus Teheran Polizei und Behörden; mit Syrien hat Ahmadinedschad soeben ein Bündnis geschlossen; und über die Unterstützung der Hisbollah im Libanon hat Iran Einfluss bis ans Mittelmeer; und die Hamas wird seit Jahren finanziell unterstützt. Ist der Iran auf seinem Weg zur Vormacht in der Region?

    Guldimann: Das sieht von außen, vom Westen, so aus als furchtbar bedrohlich. Es gibt auch klare Äußerungen, die sind bedrohlich und sind auch sehr ernsthaft zu nehmen - die Äußerung von Ahmadinedschad zu Israel. Gleichzeitig muss man verstehen, dass von iranischer Seite die Bedrohung von der anderen Seite kommt. Das heißt die Iraner fühlen sich bedroht durch beispielsweise die amerikanische oder auch israelische Äußerung, dass die militärische Option für einen Militärschlag gegen Iran oder gegen die Nuklearindustrie im Iran nicht vom Tisch ist. Oder die Tatsache, dass die amerikanischen Streitkräfte rundherum ums Land - in Afghanistan und im Irak und im Golf - stationiert sind. Also in dem Sinne, wenn wir von Bedrohung sprechen, müssen wir nur auch sehen, dass es auch die umgekehrte Bedrohung gibt, die vor allem durch die ganz dramatische Erfahrung des Irak-Krieges, des Angriffs von Saddam Hussein, zu dieser Haltung geführt hat. Und in diesem Zusammenhang auch eine historische Erinnerung an den Aufbau der französischen Atomstreitkraft im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg, im Nachgang zum Ersten Weltkrieg. Also der feste Wille, sich nicht nochmals in eine solche Situation hineinmanövrieren zu müssen.