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Verhaftungen bei Trauerzug auf Kuba

Auf einem Trauerzug für den verunglückten Bürgerrechtler Oswaldo Payá hat das Regime 50 Menschen verhaften lassen. Peter B. Schumann beschreibt, dass die Opposition auf Kuba dennoch so stark ist, wie noch nie zuvor.

Peter B. Schumann im Gespräch Stefan Koldehoff | 25.07.2012
    Stefan Koldehoff: Auch auf Kuba haben es die Intellektuellen alles andere als leicht. Das kommunistische Regime unter Leitung der Gebrüder Castro hat immer wieder kritische Schriftsteller und Bürgerrechtler inhaftieren lassen – zum Teil ohne Anklage, ohne Verfahren, ohne zeitliche Perspektive. Am Wochenende kam dann die Nachricht, dass der Bürgerrechtler Oswaldo Payá bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Gestern ist er in Havanna beigesetzt worden – und wieder gab es rund 50 Festnahmen von Regimegegnern.

    - Peter B. Schumann, bevor wir dazu kommen, erst noch einmal zu Payá selbst: Seine Schwester hat davon gesprochen, das mit vier Männern besetzte Auto könne abgedrängt worden sein. Sie haben selbst gute Kontakte nach Kuba: Weiß man inzwischen mehr?

    Peter B. Schumann: Diplomatische Kreise Spaniens haben mitgeteilt, dass der Fahrer des Wagens, der Vizesekretär des Jugendverbands, des Partido Popular, der am Steuer saß, Ángel Carromero, gesagt hat, er hätte tatsächlich die Gewalt über den Wagen verloren, weil er einem Schlagloch ausweichen wollte - und das sollte man auch tunlichst in Kuba tun, denn die sind ziemlich tief. Und er hätte aber auch ein Verkehrszeichen übersehen, nachdem er hätte die Geschwindigkeit reduzieren müssen. Angeblich sei das alles auch eine Baustelle gewesen. Darüber hat er jedenfalls die Kontrolle des Wagens verloren. Ich habe auch Bilder gesehen, zwei Fotos im Internet von diesem Fahrzeug, das hinten sehr stark eingedellt ist, der hintere Kotflügel. Und das sieht aus, wie wenn tatsächlich dort der Wagen so geschleudert ist, an den Baum rangeknallt ist, so sieht das jedenfalls aus. Also das ist die nichtoffizielle, die Äußerung aus diplomatischen Kreisen Spaniens, die sehr vorsichtig sind, weil diese ganze Geschichte natürlich auch für den Fahrer möglicherweise ein juristisches Spiel nach sich ziehen könnte.

    Koldehoff: Also scheint es ja zunächst mal so, als ob da Verschwörungstheorien der berühmte Wind aus den Segeln genommen sei. Welche Rolle hat Payá in Kuba gespielt?

    Schumann: Oswaldo Payá war eine moralische Instanz. Er war, wie er einmal sagte, radikal – das heißt, radikal friedlich. Und er gehörte zu der Hand voll Dissidenten, die auch von dem Regime geduldet wurden. Das heißt, er durfte sich mit dem Ausland in Verbindung setzen, Erklärungen abgeben, Interviews abgeben. Ihn hat man auch ab und zu mal ins Ausland reisen lassen. Er war sozusagen geduldet, so wie ein paar andere auch. Aber das heißt nicht, dass er nicht auch ständig observiert und mitunter auch Repressalien ausgesetzt war. Er war sozusagen jemand, der ganz unbestechlich, auch nicht die Linie der USA verfolgte. Er wollte von denen nie finanziert werden, sondern er ging seinen Weg, der schon sehr früh angefangen hat. Er war ein Visionär, er wollte eine Demokratie in Kuba auf der Basis eines nationalen Dialogs herstellen, eines Dialogs zwischen den Exil-Leuten und den Kräften der Opposition in Kuba und auch der Regierung - der jeweiligen, die dann eben dran war. Das war, glaube ich, sein ganz großes Projekt.

    Er hat dann etwas gemacht, das war die große Massenaktion der Opposition 2002, mühsam angekurbelt und auch mühsam durchgezogen: Eine Unterschriftensammlung von 11.000 Unterschriften für ein Referendum, mit dem man dann hätte politische Veränderungen fordern können. Und das war sehr, sehr mühsam, denn eine Unterschrift auf eine Liste zu setzen, das heißt einen Namen, die Adresse abzugeben und auch seine Personalausweisnummer, das kann sehr große, sehr unangenehme Folgen haben. Das Regime hat diese Geschichte hintertrieben, denn danach hat er eine weitere Unterschriftensammlung von 24.000 Unterschriften unternommen. Das heißt, ein Potenzial von 25.000 Kubanern haben dokumentiert, dass sie Oppositionelle sind und Veränderungen haben wollen. Und so etwas hat es bisher und auch danach nicht mehr gegeben.

    Koldehoff: Nun melden die Nachrichtenagenturen hier in Deutschland die Verhaftung von mindestens 50 Regimegegnern bei oder im Vorfeld der gestrigen Beisetzung von Oswaldo Payá. Ist das ein neuer Versuch, die Opposition zu drangsalieren, oder muss man traurigerweise sagen, das sind die üblichen Maßnahmen?

    Schumann: Das sind, glaube ich, die üblichen Maßnahmen, denn wenn immer irgendwo eine Akkumulation von Oppositionellen stattfindet, eine Versammlung, ein Trauerzug auch nur – das haben wir auch vor Kurzem erst gesehen, als eine der Damen in Weiß gestorben ist, das wurde sozusagen militärisch abgezirkelt, der ganze Friedhof. Und heute hat es auch einen Trauerzug gegeben von der Kirche zu dem großen Friedhof Colón in Havanna, und da haben Rollkommandos, Greifkommandos, muss man sagen, eingegriffen und sich einige Leute, einige führende Leute der Dissidenz herausgepickt, nämlich Guillermo Farinas - er gehört zu den eher radikalen Kräften, hat 23 Hungerstreiks in den letzten Jahren durchgeführt, um bestimmte Dinge zu erreichen – und auch einige andere wie zum Beispiel der Internetaktivist Antonio Rodiles. Farinas ist inzwischen abgeschoben worden, oder, wie es hier in einer Meldung heißt, deportiert worden in seine Heimatprovinz nach Santa Clara. Die meisten sind freigelassen worden, aber Rodiles zum Beispiel ist noch immer in Haft und man weiß überhaupt nicht, wo er im Augenblick steckt. Das sind die üblichen Maßnahmen, um mit Opposition umzugehen, um die immer wieder unter Druck zu setzen. Aber ich glaube, dass die Opposition in Kuba heute so stark ist wie niemals zuvor. Das heißt noch immer nicht, dass sie wirklich eine gewichtige Kraft darstellt, aber sie zeigt sich, sie ist präsent durch die Damen in Weiß, die unabhängigen Journalisten und viele andere, die unabhängigen Bibliotheken und viele andere Aktivitäten. Es gibt eine ganze politische Subkultur in Kuba, die sich regt und opponiert, und das sind Zeichen der Veränderung, die irgendwann ja wohl in Kuba eintreten muss.

    Koldehoff: ... sagt und hofft Peter B. Schumann zu den neuerlichen Verhaftungen auf Kuba.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.