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Verhaftungen von Ausländern in der Türkei
"Das sind politische Geiseln"

Hasnain Kazim war bis 2016 "Spiegel"-Korrespondent in der Türkei. Seitdem ist er nicht mehr dort gewesen - zu groß sei das Risiko, verhaftet zu werden, sagte er im Dlf. Er glaubt, die Türkei benutze die Verhaftungen von etwa Deniz Yücel und Peter Steudtner, um Politik mit Deutschland zu machen.

Hasnain Kazim im Gespräch mit Christine Heuer | 19.07.2017
    Der Journalist Hasnain Kazim in einer Fußgängerzone
    Der Journalist Hasnain Kazim kann nicht mehr in der Türkei arbeiten (dpa, picture alliance/Can Merey)
    Christine Heuer: Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue Provokation Deutschlands aus Ankara. Vor fünf Tagen hat die türkische Regierung deutschen Parlamentariern den Besuch von Bundeswehrsoldaten am NATO-Stützpunkt Konya vorerst, wie es heißt, untersagt. Gestern wurde dann die Verhaftung mehrerer ausländischer Menschenrechtler in Istanbul gemeldet, unter ihnen der Deutsche Peter Steudtner. Die Bundesregierung erklärt ihre Solidarität und sichert Hilfe zu. SPD und Opposition finden, die Kanzlerin sei mit ihrer Türkei-Politik gescheitert. Berlin müsse endlich härter mit Ankara umgehen. Die Frage, ob das Erfolg versprechender ist als ein halbwegs diplomatischer Dialog, wird uns jetzt in zwei Interviews beschäftigen: in ein paar Minuten mit dem früheren Verteidigungsminister Volker Rühe. Da geht es dann vor allem um Konya. Und jetzt erst einmal im Gespräch mit Hasnain Kazim, der für den "Spiegel" bis 2016 aus der Türkei berichtet hat, bis sein Magazin ihn aus Sicherheitsgründen von dort abzog. Hasnain Kazim berichtet seitdem aus Wien. Guten Morgen!
    Hasnain Kazim: Guten Morgen!
    "Die Gefahr besteht, dass ich festgenommen werden"
    Heuer: Wie froh sind Sie, Herr Kazim, rechtzeitig aus der Türkei rausgekommen zu sein, nämlich vor der Verhaftung zum Beispiel von Deniz Yücel oder jetzt dieser neuen Verhaftung von Peter Steudtner?
    Kazim: Ich bin da sehr zwiegespalten. Einerseits wäre ich natürlich als Journalist gerne vor Ort, auch jetzt, und sicher ist es wichtig, dass jetzt, gerade jetzt Journalisten vor Ort sind und berichten, auch aus dem Ausland, ausländische Korrespondenten. Auf der anderen Seite bin ich natürlich auch froh, nicht dort zu sein, denn die Bedingungen, unter denen man in der Türkei lebt, und zwar nicht nur Journalisten, sondern auch Akademiker, eigentlich alle Menschen, die auch nur irgendein kritisches Wort gegen Erdogan oder die Regierung in den Mund nehmen, dieses Leben ist sehr schwer. Da bin ich froh, natürlich jetzt mit meiner Familie nicht in der Türkei zu sein.
    Heuer: Sie sind auch nie wieder dort eingereist zwischenzeitlich? Das ist für Sie sozusagen im Moment jedenfalls verbrannte Erde?
    Kazim: Leider nein, denn es ist so, gegen alle Kritiker heißt es ja immer, wir seien Unterstützer oder Sympathisanten von Terroristen. Diesen Vorwurf gibt es auch gegen mich, ich sei angeblich ein Terror-Propagandist, nur weil ich mit PKK-Anhängern und Mitgliedern gesprochen habe und sie auch zu Wort kommen lassen habe. Kritisch, ich habe mich nie gemein gemacht mit denen, aber natürlich spreche ich mit denen wie jeder Journalist. Aber das reicht schon, um diesen Vorwurf Terrorunterstützer entstehen zu lassen, und jetzt besteht die Gefahr, wenn ich in die Türkei reise, dass ich da festgenommen werde, und die Wahrscheinlichkeit ist im Moment größer denn je.
    "Grundsätzlich ist es naiv, in die Türkei zu reisen"
    Heuer: Jetzt sitzt, haben wir gestern erfahren, der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner auch in U-Haft. Wie muss man sich seine Lage und die Lage anderer inhaftierter, ich sage jetzt mal, deutscher oder deutsch-türkischer Inhaftierter im Moment vorstellen in dieser U-Haft in der Türkei?
    Kazim: Das ist eine sehr schwierige Lage, weil überhaupt nicht absehbar ist, wie es weitergehen wird. Wird Anklage erhoben werden, wenn ja wann. Der Kollege Deniz Yücel beispielsweise sitzt ja schon mittlerweile seit über 150 Tagen ohne Anklage in Haft. Das sind unhaltbare Zustände aus rechtsstaatlicher Sicht. Weil ja in der Türkei der Ausnahmezustand herrscht seit dem gescheiterten Putschversuch im vergangenen Jahr, kann er bis zu fünf Jahre ohne Anklage in Haft gehalten werden und dann erst kann ihm eine Anklage gemacht werden, der Prozess und dann kommt noch die Strafe. Das kann sehr lange dauern und das ist natürlich alles erschreckend, dass so etwas auch dem Menschenrechtsaktivisten nicht klar ist im Moment, was passiert jetzt eigentlich, wie lange bin ich hier. Man muss schon sagen, dass diese ganzen Häftlinge, die es gibt, Ausländer wie auch Türken, dass das oft politische Häftlinge sind, und im Fall der Ausländer und im Fall der Deutschen sogar regelrecht politische Geiseln. Die türkische Regierung benutzt sie, um Politik zu machen mit Deutschland.
    Heuer: Dieses Szenario oder diese Strategie war ja vorher schon bekannt. Die Frage klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch, Herr Kazim, aber ich stelle die trotzdem. War es vielleicht ein bisschen leichtsinnig von Peter Steudtner, in dieser Situation überhaupt in die Türkei zu reisen als Menschenrechtsaktivist?
    Kazim: Ja, das ist sehr schwierig zu beantworten. Man kann schon sagen, dass es grundsätzlich naiv ist, in die Türkei zu reisen. Das Problem ist, die Türkei ist ja ein NATO-Partner. Es ist überhaupt ein Partner und es ist ein Land, das in die EU möchte, lange Zeit auf jeden Fall wollte es das. Insofern muss man davon ausgehen, dass das ein Land ist, in das man reisen kann. Es ist übrigens nach wie vor ja auch ein beliebtes Reiseland, mittlerweile nicht mehr so sehr, aber es war mal eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen. Deswegen ist es schwierig zu sagen, es wäre naiv oder leichtsinnig, dort hinzureisen.
    Diplomatie führt zu nichts
    Heuer: Wenn man die Situation einfach kennt und weiß, dass das, wenn man mit so einer Mission unterwegs ist, riskant ist im Moment.
    Kazim: In der Tat muss man auf jeden Fall jetzt mit Blick auf das, was in den vergangenen Wochen und Monaten passiert ist, auf jeden Fall sich überlegen, ist es noch sicher, in die Türkei zu reisen. Und dann muss man seine Schlussfolgerung daraus ziehen. Ich bin ja, seitdem ich aus der Türkei raus bin und dieses Land verlassen musste, nicht mehr hingereist, genau aus diesen Überlegungen, weil es für mich zu riskant ist. Ich glaube, immer mehr Menschen werden sich das jetzt überlegen und sich fragen, macht es noch Sinn und ist es noch sicher, in die Türkei zu reisen.
    Heuer: Es gibt seit gestern spätestens, eigentlich auch schon vorher einen politischen Streit darüber, wie hart man eigentlich von Berlin aus mit Ankara umgehen sollte. Die SPD, inzwischen auch die Opposition sowieso finden, Angela Merkel ist da viel zu verhalten. Wie ist Ihre Einschätzung, interessiert mich noch? Sollte Berlin härter auftreten?
    Kazim: Auf jeden Fall. Ich teile da die Meinung der Opposition. Ich würde nicht den Begriff "gescheitert" in den Mund nehmen. Ich glaube nicht, dass die Türkei-Politik gescheitert ist, weil ich glaube, dass die Bundesregierung und übrigens auch die SPD, die ja Teil der Regierung ist, dass man schon versucht hat, das auf einem diplomatischen Wege zu lösen. Aber man sieht, dass das zu nichts führt. Die Türkei kommt immer wieder mit neuen Vorwürfen, mit neuen Dingen, nimmt wieder neue Leute fest, lässt wieder Bundestagsabgeordnete nicht einreisen. Sie eskaliert das Ganze und da ist es absolut an der Zeit, dass eine Bundesregierung sich überlegt, wie können wir damit jetzt umgehen, und zwar auch härter umgehen und auch der Türkei Grenzen setzen.
    Heuer: Der aus der Türkei abgezogene "Spiegel"-Reporter Hasnain Kazim war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Dafür bedanke ich mich sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.