Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Verhaltensforschung
"Die Schimpansen haben Tausende Male zusammengearbeitet"

Schimpansen zeigen viele Verhaltensweisen, die lange als einzigartig menschlich galten: etwa Werkzeuggebrauch, Planen oder Sich-in-andere-Hineinversetzen. Im Fachmagazin PNAS haben Primatologen diese Woche beschrieben, dass Schimpansen dem Menschen auch im Kooperieren ähnlicher sind als angenommen.

Professor Frans de Waal im Gespräch mit Lennart Pyritz | 25.08.2016
    Zwei Schimpansen im Pongoland im Zoologischen Garten in Leipzig. Einer der Beiden klammert sich an die Schulter des Anderen.
    Schimpansen bevorzugen Kooperation statt Wettstreit ( imago / Meike Engels)
    Im Interview mit DLF-Moderator Lennart Pyritz erklärt der niederländische Verhaltensforscher und Leiter der Studie Frans de Waal, wie das Experiment aufgebaut war. Frans de Waal ist Professor an der Emory University in Atlanta.
    Lennart Pyritz: Wie schaffen es eigentlich Menschen zusammenzuarbeiten und nicht im konstanten Wettstreit, in Kompetition zu landen?
    Frans de Waal: Bei Menschen gibt es Bestrafungen und das hat man auch echt mal eine Zeit lang versucht und bei Menschen gibt es natürlich auch Partnerwahlen. Es gibt verschiedene Mechanismen die Kompetition zu unterdrücken. Und man hat immer angenommen, die letzten zehn Jahre jedenfalls, dass nur Menschen das machen, dass andere Tiere eine viel einfachere Art der Kooperation haben, vielleicht basierend auf Verwandtschaft oder andere simple Sachen. A
    ber man immer angenommen, dass Menschen unique sind in diesen Sachen. Man hat nicht versucht Tiere zu untersuchen, in einer Situation, wo es Kompetition geben kann. Manchmal hat man zwei Individuen zusammengebracht, zum Beispiel zwei Schimpansen oder zwei Elefanten und man bringt die zusammen und versucht eine Zusammenarbeit aufzusetzen, aber man hat nie versucht, wie wir es jetzt gemacht haben, eine ganze Gruppe, eine große Gruppe Schimpansen zu testen um zu sehen wie sie sich verhalten wenn es Kompetition gibt.
    Pyritz: Sie haben es gerade gesagt: In der aktuellen Studie haben Sie anhand von insgesamt elf Schimpansen in einem Außengehege untersucht, ob diese Tiere ähnliche Strategien wie Menschen benutzen um Wettstreit zu vermeiden. Wie genau haben Sie das untersucht? Wie sah das experimentelle Design aus?
    "Am Anfang gab es sehr viel Streit, sehr viel Kompetition"
    de Waal: Das war ein Apparat wo die Tiere nur Futter bekommen können, wenn die ganz gleich daran ziehen - zwei Individuen oder drei Individuen zusammen. Und das ist alles aufgesetzt in einem großen Gehege, wo es die ganze Gruppe gibt. Es ist also möglich für die dominanten Schimpansen oder andere Schimpansen zu versuchen, Futter zu bekommen ohne zu arbeiten oder die anderen zu verprügeln oder einen großen Konflikt aufzusetzen.
    Es gibt sehr viele Möglichkeiten von Kompetition und wir haben es fast 100-mal gemacht, 100-mal eine Stunde und wir haben gesehen, dass es am Anfang sehr viel Streit, sehr viel Kompetition gab und wenn wir aufgehört hätten nach 40-mal, dann wäre die Konklusion gewesen, dass es nur Streit gibt - fast gar keine Zusammenarbeit. Aber wir haben es 100-mal gemacht und am Ende, die letzte Hälfte des Experiments, haben die Schimpansen Tausende Male zusammengearbeitet und es gab eigentlich keine Probleme mehr. Die Kompetition war völlig exterminiert eigentlich.
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart, aufgenommen am 24.04.2015.
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart (picture-alliance / dpa / Benjamin Beytekin)
    Pyritz: Was war denn der Grund für diese Veränderung über die Zeit, also welche Reaktionen haben die Schimpansen am Anfang gezeigt, wenn ein Artgenosse nicht kooperiert hat um an das Obst oder die Leckerbissen zu kommen, die eben in diesem Apparat angeboten wurden?
    de Waal: Am Anfang gab es immer mehr Schimpansen die verstanden haben wie der Apparat wirkte, weil wir die Schimpansen nicht trainiert und nichts erklärt haben. Das haben die also selbst herausgefunden. Und am Anfang gab es immer mehr Schimpansen, die das versucht haben und dann gab es auch immer mehr Streit zwischen den Schimpansen, die das Futter bekommen. Am Anfang gab es auch Partnerwahl: Also wenn ich mit einem anderen Schimpansen zusammenarbeite, der zu kompetitiv ist und versucht mein Futter zu stehlen, dann kann ich natürlich weglaufen. Ich kann einen anderen Partner suchen. Und das haben die Schimpansen am Anfang gemacht.
    Es gab auch Bestrafungen direkt, bei den Tieren die in der Arbeit beschäftigt waren. Aber auch dritte Parteien, der dominante Mann zum Beispiel, der Alphamann, hat manchmal Individuen, die nicht arbeiteten, aber versuchten, Futter zu bekommen, verprügelt. Und das ist eigentlich ein Verhalt, das man immer angenommen hat, sei unique menschlich, aber das gab es auch - es gab eine Art soziale Norm in der Gruppe, dass man für sein Futter arbeitet. Und die Individuen, die nicht arbeiten, die können das Futter nicht bekommen.
    Pyritz: Welche Vermutung gibt es denn zum evolutionären Vorteil den es bietet zusammenzuarbeiten anstatt direkt den eigenen Vorteil zu suchen, also direkt das Futter für sich zu beanspruchen?
    "Es gibt eigentlich sehr viel Zusammenarbeit"
    de Waal: Die Zusammenarbeit gibt es auch im Freileben. Es gibt natürlich Schimpansen, die zusammen jagen. Die jagen kleinere Affen. Es gibt auch Zusammenarbeit bei der Verteidigung des Territoriums, es gibt eigentlich sehr viel Zusammenarbeit in Schimpansen-Gesellschaften in der freien Wildbahn. Und was in unserem Experiment glaube ich sehen, ist mehr ein natürliches Schimpansenverhalten als in den anderen Experimenten die gemacht wurden - mit zwei oder drei Schimpansen. Wenn es eine kleine Gruppe ist, dann gibt es auch keine Möglichkeiten für die Partnerwahl und so weiter.
    Pyritz: Oder dass Tiere von außen eingreifen und Artgenossen bestrafen, wie das das Alphamännchen offensichtlich gemacht hat. Wenn wir den Blick jetzt etwas weiten und auch frühere Forschungserkenntnisse mit einbeziehen zu Kooperationen zu geplantem Verhalten, was würden Sie sagen: Wie viel Schimpanse steckt im Menschen oder eher wie viel Mensch steckt im Schimpansen?
    de Waal: Menschen und Schimpansen sind natürlich sehr nah verwandt und ich glaube, dass die menschliche Zusammenarbeit nicht wesentlich anders ist. Wir haben natürlich auch Anweisungen, dass es eine Art Gefühl von Gerechtigkeit gibt, wir machen auch Experimente daran. Und ich glaube, dass die Zusammenarbeit von Menschen und Schimpansen sehr ähnlich sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.