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Verhaltensforschung
Kalmare kommunizieren über wechselnde Farbmuster

Humboldt-Kalmare beeindrucken durch ihre Größe und tiefrote Farbe. Mit Hilfe eines Tauchroboters konnten Forscher die Kopffüßer jetzt erstmals in der Tiefsee bei der Jagd beobachten. Ihr überraschender Befund: Die Riesen-Kalmare tauschen über Farbmuster auf ihrer Haut Informationen aus.

Von Dagmar Röhrlich | 24.03.2020
Ein Humboldt-Kalmar schwimmt etwa 200 Meter unter der Oberfläche der Monterey-Bucht.
Ein Humboldt-Kalmar vor der Küste Kaliforniens, in der Monterey Bay (Copyright 2010 MBARI)
Humboldt-Kalmare sind beeindruckende Tiere. Trotz einer Lebensdauer von höchstens zwei Jahren, können die Kopffüßer rund zwei Meter lang werden. Der Stanford-Forscher Ben Burford hat die Tiere jetzt ausgiebig in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet – mit Hilfe eines ferngesteuerten Tauchroboters: "Die kleinen silbrigen Dinger, die Sie sehen, das sind Laternenfische, die von den Tintenfischen gejagt werden."
Das Video, das der Wissenschaftler von der Hopkins Marine Station mit einer Unterwasserkamera aufgezeichnet hat, zeigt einen Schwarm Humboldt-Kalmaren auf der Jagd. Das Tier im Vordergrund ändert plötzlich seine Pigmentierung, lässt seine Farben regelrecht um den Körper fließen. Ein anderer Kalmar nähert sich aus dem Hintergrund. "Schauen Sie genau hin", sagt Ben Burford.
Kalmare kommunizieren über wechselnde Farbmuster
"Zunächst ist das Tier recht blass, hat nur einen dunklen Fleck um die Augen und eine leichte Tarnfärbung. Dann wird es ganz blass, dann färbt es die eine Körperhälfte hell, die andere dunkel – und dann schnappt es sich einen Fisch. Dann wird es blass, dann wieder flackern, dunkler Fleck zwischen den Augen, halb hell, halb dunkel, zuschnappen. Es geht immer so weiter, bis er dem Kalmar im Vordergrund nahekommt. Dann erblasst er und macht genau das, was der andere Kalmar auch macht."
Humboldt-Kalmare treten in Schwärmen auf und verbringen die meiste Zeit in der Dunkelheit der Tiefsee. Deshalb besitzen sie in ihrer Haut nicht nur mit Pigment gefüllte Zellen, sondern auch solche, mit denen sie leuchten könnten – also in der Dunkelheit mit Biolumineszenz ihre Färbung wahrnehmbar machen. Ähnlich wie bei einem ein E-Reader, sagt Ben Burford.
Die Haut der Kalmare ähnelt dem Display eines E-Readers
"Stellen Sie sich einen Schwarm von 100 zwei Meter langen Kalmaren vor, die durch die Tiefsee schwimmen und die vor dem leuchtenden Hintergrund ihres Körpers ständig ihre Pigmentierungsmuster verändern."
Die Sequenz an optisch wahrnehmbaren Verhaltensmustern, die die Forscher gefilmt haben, dauerten jeweils nur ein paar Sekunden. Und alle Kalmare im Sichtfeld der Kamera zeigten dasselbe Leuchtverhalten.
"Wir wissen aus früheren Forschungen, dass der Humboldt-Kalmar über rund 30 verschiedene Muster verfügt, die er immer wieder einsetzt und dass die Tiere diese Muster sehr schnell wechseln können. Wir konnten nun zeigen, dass sie mit diesen Farbmustern innerhalb ihres Schwarms kommunizieren."
Je mehr Tiere im Schwarm unterwegs sind, umso intensiver der Austausch
Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Humboldt-Kalmare miteinander – sagen wir – "reden". Den vorläufigen Ergebnissen zufolge hängt die Intensität ihrer Kommunikation unter anderem von der Gruppengröße ab. Je mehr Tiere gemeinsam auf die Jagd gehen, desto intensiver scheinen sie sich auszutauschen.
"Die Tiere nutzten einen Teil dieser 30 optischen Kommunikationsmuster in dichten Schwärmen häufiger als wenn sie alleine waren. Außerdem setzen sie abhängig von ihrer Situation verschiedene Untergruppen dieser Kommunikationsmuster ein – je nachdem ob sie hungrig sind und auf der Jagd oder nicht. Sie scheinen also abhängig von der sozialen Situation, in der sie sich gerade befinden, unterschiedliche visuelle Reize auszusenden. "
Kalmare vermeiden physische Konkurrenz bei der Jagd
Weil sich Humboldt-Kalmare als "echte" Tiefseetiere nicht in Gefangenschaft halten lassen, ist die Erforschung ihres Verhaltens schwierig. Deshalb zogen die Wissenschaftler für die Interpretation ihrer Daten auch Erkenntnisse von Kraken und Tintenfische aus Aquarien heran. Es zeigte sich, dass Humboldt-Kalmare mit ganz ähnlichem Verhalten zeigen, wer Sieger oder Verlierer ist.
"Wenn Sie die Tiere mit einem Tauchroboter beobachten, können vor den Kameras hunderte Humboldt-Kalmare auf der Jagd herumschwimmen, ohne jemals zu kollidieren. Sie berühren sich niemals und konkurrieren selten um denselben Fisch. Wir vermuten, dass sich die Tiere ihre Absichten signalisieren und dabei festlegen, wer was fressen darf und so unnötige Konkurrenz vermeiden. Das ist wahrscheinlich ganz praktisch, wenn Sie in der Dunkelheit Teil eines dichten Schwarms von hungrigen, enorm aggressiven, kannibalistischen Tintenfischen sind."
Denn Humboldt-Kalmare geraten mitunter in einen Fressrausch – und dann ist nichts vor ihnen sicher, nicht einmal die eigenen Artgenossen.