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Verhaltensforschung
Strafen für unfaires Verhalten werden begrüßt

Menschen begrüßen es, wenn unsoziales oder unkooperatives Verhalten bestraft wird. Schon die Möglichkeit der Bestrafung sei geeignet, um die Bereitschaft zur Kooperation zu steigern, sagte der Entwicklungspsychologen Nikolaus Steinbeis im Dlf. Er hat den Ursprung dieses Verhaltens erforscht - bei Kinder und Schimpansen.

Nikolaus Steinbeis im Gespräch Lennart Pyritz |
    Kinder im Kindergarten an der Stollenstraße in Dortmund
    Schon kleine Kinder begrüßen es, wenn unsoziales Verhalten bestraft wird (imago stock&people)
    Lennart Pyritz: Zu sehen, wie jemand gemaßregelt wird, kann Mitleid auslösen. Es kann bei den Zuschauern aber auch Zustimmung oder sogar Schadenfreude hervorrufen - wenn sich der Bestrafte zuvor unsozial oder unkooperativ verhalten hat. Ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat jetzt den Ursprung dieses Verhaltens untersucht - bei Kindern und bei Schimpansen. Ich habe vor der Sendung mit einem der Autoren telefoniert, dem Entwicklungspsychologen Nikolaus Steinbeis. Ich habe ihn zuerst gefragt, was bislang darüber bekannt war, unter welchen Umständen wir die Bestrafung eines anderen als richtig empfinden?
    Bestrafen, um soziale Kooperation aufrechtzuerhalten
    Nikolaus Steinbeis: Das ist ein bei Erwachsenen schon relativ gut untersuchtes Phänomen. Und zwar wurden von Ökonomen spieltheoretische Paradigmen entwickelt, um genau solche soziale Phänomene wie Fairness, Gerechtigkeit, Ungleichheitsaversion und Vertrauen zu untersuchen. Und da hat man sehr gut sehen können, dass diejenigen, die nicht kooperiert hatten, eben bestraft wurden, und in den Runden, wo bestraft werden konnte, alle sehr viel bereitwilliger waren, zu kooperieren. Also dass Bestrafung an und für sich ein sehr geeigneter Mechanismus ist, um Kooperation in kleinen Gruppen, aber eben auch in Gesellschaften aufrechtzuerhalten.
    Pyritz: Menschen begrüßen es also, zu sehen, dass unsoziales oder unkooperatives Verhalten bestraft wird. Sie haben jetzt den Ursprung dieses Verhaltens unter die Lupe genommen, und zwar zunächst, ab welchem Alter das bei Kindern auftritt. Wie sind Sie methodisch dabei vorgegangen?
    Steinbeis: Genau. Da hatten wir uns überlegt, okay, wenn die Kinder etwas wirklich sehen wollen, was für die auch belohnt ist, dann sollten sie bereit sein, etwas dafür aufzugeben. Das heißt, wir haben die Kinder zu uns ins Labor eingeladen und denen so Sticker gezeigt, die sie ganz toll fanden. Die Kinder waren zwischen vier und sechs Jahren. Wir haben denen gesagt, das sind Sticker, und die kriegst du hier am Ende von unserem kleinen Spiel, was wir hier mit dir machen. Und du kannst die Sticker aber auch einsetzen, um zu bezahlen. Und dann haben wir denen ein Theaterstück vorgespielt, in dem sie erst mal mit einer Puppe konfrontiert waren, die freundlich war und Spielzeug hatte, das den Kindern ursprünglich gehört hatte, und hat das dem Kind zurückgegeben. Und danach kam eine andere Puppe, und die hat angefangen, diese erste, freundliche Puppe mit einem Lineal zu verprügeln. Und dann fiel ein Vorhang, und die Kinder wurden gefragt, wenn du jetzt dieser Bestrafung weiter zusehen möchtest, dann kannst du einen von diesen Stickern in so eine kleine Box legen, und dann geht diese Bestrafung weiter, und du kannst weiter zuschauen. Und das hatten wir nicht nur mit einer freundlichen Puppe gemacht, sondern auch mit einer gemeinen Puppe. Und zwar war das so, dass diese gemeine Puppe auch ein Spielzeug hatte, was dem Kind ursprünglich gehört hatte, und hat so getan, als ob sie dem Kind das wieder zurückgibt, aber es dann schlussendlich doch für sich behalten.
    Pyritz: Was waren die Ergebnisse dieser beiden Durchläufe? Wie haben die Kinder reagiert?
    Bestrafung von antisozialem Verhalten
    Steinbeis: Wir hatten ja Vier-, Fünf- und Sechsjährige untersucht, und uns haben zwei Maße interessiert, und das eine war, wie viele Sticker sind die Kinder zu zahlen bereit, um der Bestrafung von der prosozialen und der antisozialen Puppe zuzuschauen, und was tut sich in der Mimik der Kinder. Weil die Mimik ist ja aufschlussreich für vielleicht zugrunde liegende Emotionen, von dem Verhalten auch. Was wir sehen konnten, ist, dass Vier-, Fünf- und Sechsjährige bei der Bestrafung der freundlichen Puppe alle so ein Stirnrunzeln hatten, was wir so interpretiert hatten, dass sie so etwas wie Empathie und Mitgefühl empfinden, was in der Literatur auch schon bekannt ist. Bei den Sechsjährigen war allerdings noch zusätzlich zu sehen, dass sie bei der Bestrafung der antisozialen Puppe auch gleichzeitig so ein Lächeln auf den Lippen hatten. Und wir dachten uns, okay, das ist vielleicht so ein Touch Freude, der da mit dabei ist, tatsächlich so etwas wie Schadenfreude sein könnte. Und das Erstaunliche war, dass nur die Sechsjährigen auch bereit waren, mehr Sticker abzugeben, um der Bestrafung der asozialen Puppe zuzuschauen.
    Pyritz: In einem zweiten Experimentteil haben Sie oder Kollegen dann von Ihnen für die Studie auch den evolutiven Ursprung in den Blick genommen, also untersucht, ob auch Schimpansen als unsere nächsten Verwandten im Tierreich unsoziales Verhalten gern bestraft sehen. Können Sie kurz beschreiben, wie dieser Versuchsteil ablief?
    Ähnliche Reaktionen bei Schimpansen
    Steinbeis: Wir hatten versucht, da analog vorzugehen. Schimpansen interessieren sich nicht für Sticker, und denen muss man auch nicht mit Spielzeugen kommen. Das heißt, die sind sehr leicht mit Essen zu kriegen. Da war es ähnlich wie bei den Kindern, dass die sowohl einem freundlichen als auch einem unfreundlichen Versuchsleiter ausgesetzt waren. Und da ging es eben um Essen. Der freundliche hatte denen ein Stück Banane hingehalten, und das haben die dann auch tatsächlich gekriegt. Und der unfreundliche oder asoziale hatte denen eine hingehalten und dann einfach wieder weggenommen, als der Schimpanse danach greifen wollte. Und das hat schon mal ausgereicht auf alle Fälle, dass sie eine ziemlich stark ausgeprägte Präferenz für den freundlichen und nicht für den asozialen hatten. Und in einem zweiten Teil ging es eben um die Bestrafung.
    Das heißt, da kam wieder ein Dritter dazu, der anfängt, den prosozialen oder asozialen Versuchsleiter mit so einer langen Gummischlange zu hauen. Und es war so, dass diese Bestrafungsteile erst mal sichtbar waren, und dann verschwand die Bestrafung in einem Teil des Raums, zu dem die Schimpansen keinen Zugang hatten, und die mussten dann eine sehr schwere Eisentür bedienen, also wirklich viel Kraft aufwenden, um dieser Bestrafung weiter zuzusehen.
    Pyritz: Wie sahen die Ergebnisse in diesem Teil des Versuchs aus? Wie haben die Schimpansen reagiert?
    Steinbeis: Wir hatten 17 Schimpansen untersucht in einer ersten Studie, und da war es eben so, dass signifikant mehr Schimpansen bereit waren, der Bestrafung von diesem asozialen Versuchsleiter zuzuschauen, also diese schwere Tür zu bedienen. Was noch erstaunlich war, ist, dass als der Prosoziale bestraft wurde und die Schimpansen direkt davor saßen, haben die vokalisiert, wie man das bei nichtmenschlichen Primaten nennt, also einfach so Laute von sich gegeben, die sehr so klangen, als ob sie es als unangenehm empfinden. Und das war für uns eben so ein Indiz, dass sie möglicherweise so was wie einen Vorläufer von Empathie empfinden könnten. Und solche Vokalisierungen waren bei der Bestrafung des asozialen Versuchsleiters nicht zu hören.
    Pyritz: Was ist ihr Fazit aus diesen Ergebnissen zum Verhalten von Kindern und Schimpansen?
    Möglichkeit von Strafen führt zu Bereitschaft zur Kooperation
    Steinbeis: Was wir relativ klar sehen konnten, ist, dass sowohl die Schimpansen als auch die sechsjährigen Kinder bereit sind, Kosten auf sich zu nehmen, um Bestrafung weiter zu beobachten, wenn sie das für gerecht oder entsprechend empfinden. Und das ist für uns ein Indiz, dass die Wurzeln dieser Bereitschaft, Bestrafung zu sehen, relativ weit zurückgehen. Und da geht es gar nicht mal darum, ob das schlussendlich bestraft wird oder nicht, sondern einfach nur um die Möglichkeit, dass bestraft werden könnte. Und allein diese Möglichkeit führt dazu, dass Menschen eine größere Bereitwilligkeit haben, miteinander zu kooperieren.
    Pyritz: Der Neurowissenschaftler Nikolaus Steinbeis über eine Studie zum Ursprung sozialer Bestrafung im Fachmagazin "Nature Human Behaviour". Er war zwischen den Feiertagen nur mobil zu erreichen. Wir bitten, die Tonqualität deshalb zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.