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Verhandeln im Grenzbereich

Mit 40.000 Insolvenzen in diesem Jahr erreicht Deutschland wieder einen traurigen Rekord. Noch nie gab es so viele Insolvenzen wie zur Zeit. Was das insbesondere für die Banken und die Unternehmen bedeutet kann man sich nur schlecht vorstellen. Denn hinter den Kulissen laufen die Gespräche über eine mögliche Rettung auf Hochtouren. Das läuft nicht immer sehr sachlich ab. Überhaupt werden die Verhandlungen zwischen Banken und Unternehmen immer härter. Um in den Verhandlungen aber ihre Interessen auch durchzusetzen, müssen die Gesprächspartner geschult sein. In Freising gibt es einen Trainer, der sich auf Verhandlungen im Grenzbereich spezialisiert hat. Es ist ein ehemaliger Polizist, der während seiner früheren Tätigkeit insbesondere die Verhandlungen mit Geiselnehmern geführt hat. Ob Verhandlungen mit Geiselnehmern oder Verhandlungen mit insolventen Unternehmern - die Gespräche haben viele Gemeinsamkeiten.

    Ein Beitrag von Jan Tussing

    Auf einer Kuhwiese am Starnberger See. Der Hubschrauber hebt ab. Drei Bankräuber und eine Geisel befinden sich auf der Flucht nach Österreich. Über eine Leitung nimmt die Polizei Kontakt mit ihnen auf.

    Die Geiselnehmer sind allesamt Bankangestellte und die Verhandlung über die Geiselnahme ist Teil einer Übung. Matthias Schranner leitet das Seminar über Verhandlungen im Grenzbereich. Als ehemaliger Kriminalkommissar hat er schon unzählige Verhandlungen mit Bankräubern und Geiselnehmern geführt. Seine Erfahrungen von damals überträgt der 39jährige heute auf die Welt der Wirtschaft - denn die Stress-Situation ist durchaus vergleichbar.

    Die Grundlagen sind so gelegt, dass ich immer eine Brücke schlage von meiner Vergangenheit aus den Verhandlungen mit Geiselnehmern, mit Bankräubern, mit Selbstmordgefährdeten. ich zeige auf, wo die Schwierigkeiten lagen, wann es in diesen Grenzbereich reingeht.

    In Deutschland gibt es immer mehr Insolvenzen - 40.000 sind es in diesem Jahr - und die Verhandlungen mit den Banken werden härter. Spezielle Abteilungen kümmern sich inzwischen um die Unternehmer, wenn eine Insolvenz droht. Intensive Treatment - zu deutsch "Intensivstation" heißen die Abteilungen, in denen die Verhandlungen geführt werden. Gerhard Spicker von der Commerzbank muss mit den insolventen Unternehmern verhandeln.

    Die Verhandlungen an sich sind natürlich immer gleich. Sie haben am Anfang natürlich einen hohen Stresszustand bei allen Beteiligten, insofern kann man das schon übertragen.

    Wenn ein Unternehmen vor dem Aus steht, liegen oft die Nerven blank. Es geht um viel Geld, es geht um Arbeitsplätze - und es geht natürlich um die Existenz des Unternehmers. Wer da in den Verhandlungen nicht immer sein Ziel vor Augen behält, hat ganz schnell verloren. Matthias Schranner schult aber nicht nur Banker, sondern auch die betroffenen Unternehmer. Auch sie müssen lernen, wie sie sich mit den Bankern einigen. Heinz Breuer ist Vorstand der Mineralbrunnen AG. Er muss sich täglich in anstrengende Verhandlungen begeben, denn sein Unternehmen steht vor strukturellen Veränderungen.

    Wir kommen auch von Industrieseite immer mehr in Grenzbereiche in den Verhandlungen. Die Beziehungen Produktion-Handel - da werden die Verhandlungen härter. Im Grunde kämpfen wir auch um den Verbraucher in Grenzbereichen. Da gilt es, die richtige Ansprache, die richtigen Motive der Verbraucher zu treffen, und das wird einem in so einer Veranstaltung sehr bewusst gemacht.

    Im Seminar sitzen sich also Unternehmer und Banker gegenüber. Sie proben den Ernstfall. Wer weiß, ob sie sich nicht bald schon wiedersehen - und dann unter reellen Umständen?

    Auf den ersten Blick scheint eine fingierte Geiselnahme als Übung etwas abwegig, aber wenn die Manager in den Verhandlungen die Rolle der Polizei oder der Geiselnehmer einnehmen, dann gerät auch mal so mancher gestresster Profi ins Straucheln und Stammeln.