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Verhandeln oder klagen

Wenn sich am Mittwoch die Regierungschefs der Bundesländer und Stadtstaaten treffen, wird es wieder einmal um den Länderfinanzausgleich gehen. Dann könnte sich entscheiden, ob die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ihre Drohung wahrmachen und gegen die derzeitige Verteilung der Steuermittel klagen.

Von Susanne Arlt, Gudula Geuther und Michael Watzke | 13.06.2012
    Der bayerische Finanzminister Markus Söder nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Zum Länderfinanzausgleich sagt der CSU-Politiker:

    "Ich meine, wir sind wirklich solidarisch, aber doof sind wir auch nicht. Es kann doch nicht sein, dass einer alles zahlt, nicht einmal ein Dankeschön bekommt, je mehr er erarbeitet, auch er mehr abgeben muss – das ist nicht sinnvoll. Wir sagen den Griechen: ‚Baut Eure Schulden ab!' Aber andere Bundesländer können munter aufbauen' So kann's nicht weitergehen!""

    Die Grundidee des Länderfinanzausgleichs klingt einfach und fair: Die Starken helfen den Schwachen. Es geht um Milliarden, die zwischen den Ländern umverteilt werden und umverteilt werden müssen. Denn die Steuereinnahmen unterscheiden sich regional stark.

    Auch 22 Jahre nach der deutschen Einheit können beispielsweise die ostdeutschen Bundesländer ihre Ausgaben nur zu einem Drittel aus ihren eigenen Steuereinnahmen finanzieren. In Flächenländern wie Sachsen-Anhalt liegt die sogenannte Steuerdeckungsquote bei knapp 35 Prozent. Während zum Vergleich Baden-Württemberg 70 Prozent seiner Ausgaben über seine Einahmen abdecken kann. Hauptziel des im Jahr 1950 geschaffenen Finanzausgleichs ist laut Grundgesetz die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse".

    Bayern war jahrzehntelang selbst Nehmerland. Bis 1986 – und nochmals 1992 – bezog der Freistaat Solidarhilfe: Laut Finanzministerium in München insgesamt 3,4 Milliarden Euro.

    Vom Bittsteller zum Zahlmeister: Allein im vergangenen Jahr hat Bayern 3,66 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich eingezahlt. Der Freistaat gebe heutzutage also in einem Jahr mehr, als er in fast 40 Jahren empfangen habe, schimpft Markus Söder. Und im laufenden Jahr werde sich das Ungleichgewicht noch mal vergrößern, klagt er:

    "Was einen fast schwindlig macht, wenn man sich das überlegt. Wir müssen vier Milliarden abgeben! Wenn man jetzt noch die Steuerumsätze hinzunimmt, also die Umsatzsteuer-Verteilung, gehen 15 Prozent des bayerischen Steueraufkommens weg nach Deutschland. Das ist schon sehr viel."

    Das derzeit praktizierte System der Verteilung der Steuermittel unten den Bundesländern ist elf Jahre alt. 2001 stimmte auch der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zu. Sein ehemaliger Generalsekretär ist heute der Meinung, dass der Finanzausgleich den reichen Ländern zu viel des hart verdienten Steuergeldes abnimmt – zugunsten des ärmeren Rests der Republik. Vor allem Berlin ist Söder dabei ein Dorn im Auge: denn mit über drei Milliarden Euro war Berlin im vergangenen Jahr mit Abstand größter Nutznießer:

    "Früher war es so, dass der Länderfinanzausgleich gleichmäßig auf die verschiedenen Nehmerländer verteilt war. Im Moment gibt's nur ein großes Nehmerland. Das ist Berlin, das abschöpft. Und selbst Wowereit sagt, er ist bereit, etwas zu verändern. Also solch ein offenes Klima hab ich seit langer Zeit nicht mehr erlebt. Und deshalb kann man fest davon ausgehen, dass sich etwas verändern wird."

    Die derzeit geltenden Regeln laufen 2019 aus. Weshalb Markus Söder die Chance gekommen sieht, den deutschen Föderalismus und seine Finanzierung auf eine ganz neue Grundlage zu stellen.

    Seit Monaten arbeitet im Finanzministerium in München deshalb ein Expertenstab an einer Reform des Länderfinanzausgleichs, Version 2.0 genannt. Einzelheiten teilt das Ministerium nicht mit. Zu groß ist die Angst, sich mit einem konkreten Plan zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Minister Söder stellt nur Eckpunkte vor. An fünf Stellschrauben will er drehen: an der Einwohnerzahl eines Bundeslandes, dessen Finanzkraft, an der Bevölkerungsdichte und –entwicklung sowie an der Arbeitslosenzahl. Besonders wichtig aber ist Söder eine Leistungsanreiz-Komponente, die im jetzigen Ausgleichssystem fehle.

    "Es führt bei uns dazu, dass derjenige, der sich anstrengt, belohnt wird. Und nicht derjenige bestraft wird, der was Fleißiges tut. Das heißt also: wenn sich zum Beispiel die Berliner in Zukunft nicht anstrengen, gibt's deutlich weniger. Es sind sehr technische und juristische Fragen, die aber am Ende die Lenkungswirkung haben werden."

    Söder geht so fest davon aus, beim Länderfinanzausgleich in Zukunft Geld einzusparen, dass er es bereits im bayerischen Haushalt einplant. Zur Schuldentilgung. Das Vorzeige-Projekt von Ministerpräsident Horst Seehofer. Bis zum Jahr 2030 soll Bayern komplett schuldenfrei sein – vor allem dank reduzierter Zahlungen in den Länderfinanz-Ausgleich. Deshalb macht Seehofer Druck.

    Schon morgen auf der Ministerpräsidenten-Konferenz in Berlin will er entscheiden, ob gegen den Länderfinanzausgleich geklagt wird oder nicht. Die Geberländer – neben Bayern Baden-Württemberg und Hessen – drohen seit Jahren damit. Morgen Mittag beim traditionellen Kamingespräch der Regierungschefs aller 16 Bundesländer und Stadtstaaten will der CSU-Chef Klarheit schaffen. Gemeinsam mit seinen Kollegen Winfried Kretschmann (Grüne) und Volker Bouffier (CDU) will Seehofer den Regierenden Bürgermeistern und Ministerpräsidenten der Nehmerländer das Modell eines neuen, geänderten Länderfinanzausgleich-Systems unterbreiten.

    "Und wenn wir den Eindruck haben, es ist keine Bereitschaft da – das merkt man ja am Mittag im Gespräch – dann müssen wir die Klage vollziehen."

    Eine erneute Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Falls die Nehmerländer nicht bereit sein sollten, konstruktiv über eine Änderung des jetzigen Finanzausgleichs zu reden:

    "Ich würde sagen, im Moment gibt es keinen Anlass, den worst case anzunehmen. Aber gemäht ist die Wiese immer erst, wenn das Heu abgefahren ist."

    Mit Klage drohen die Grünen nicht – den Dauerclinch um den Länderfinanzausgleich aber haben einige ihrer Landtagsfraktionen satt. Die grünen Landespolitiker legten einen eigenen Reformvorschlag auf den Tisch. Ihr Vorschlag klingt revolutionär: Die direkten Ausgleichszahlungen zwischen den Ländern sollen komplett abschafft werden, erklärt Christoph Erdmenger. Er ist Sprecher für Finanzen der Bündnisgrünen in Sachsen-Anhalt.

    "Der Vorschlag ist, dass wir nicht mehr ausgleichen, was die Länder einnehmen und dann umverteilen. Sondern dass wir nur noch die Bundessteuern, beispielsweise die Umsatzsteuer, dass wir die unter den Ländern anders verteilen, sodass aber jeder zusätzliche Steuereuro, den die Länder zum Beispiel bei der Einkommensteuer einnehmen, dann auch bei den Ländern verbleiben können."

    Die Umsatzsteuer ist eine Bundessteuer. Mit jährlichen
    Einnahmen von rund 80 Milliarden Euro. Es wäre der Umbau von einem horizontalen in ein vertikales Ausgleichssystem. Und was der bayerische Finanzminister Stellschrauben nennt, bezeichnen die Grünen als Faktoren, wenn es um die Verteilung der Gelder geht: Bei der Berechnung der Zuweisungen sollen Einwohnerzahl, Finanzkraft, Bevölkerungsdichte und – entwicklung sowie Arbeitslosenzahl eine Rolle spielen.

    Sachsen-Anhalt, das bislang jährlich etwa 550 Millionen Euro aus dem Ausgleichstopf erhält, würde vom Modell der Grünen profitieren. Einer ersten Berechnung nach könnten über eine Milliarde Euro nach Magdeburg fließen. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern könnte man jubeln. Verlierer wären dagegen Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit jeweils über einer Milliarde Euro weniger in der Landeskasse. Nicht alle Fraktionen der Bündnisgrünen sind daher von dem Vorschlag ihrer Kollegen begeistert. Christoph Erdmenger beschwichtigt.

    "Es gibt eine Modellrechnung, die würde zum Vorteil von Sachsen-Anhalt ausgehen, aber es kommt in diesem Modell sehr stark darauf an, wie man die Faktoren zueinander gewichtet. Deswegen kann man heute noch nicht sagen, was am Ende der Verhandlungen für jedes Bundesland herauskommen wird. Aber man kann schon beurteilen, ist es möglich mit diesem Modell die Unterschiede, die wir haben, zwischen den Bundesländern auszugleichen. Oder, und das wäre ja die andere Möglichkeit, läuft es darauf hinaus, dass man am Ende des Tages gar nicht so viel umverteilen werden kann, wie man umverteilen müsste. Und die reicheren Länder würden einfach nur reicher werden."

    Bisher nämlich ist der Länderfinanzausgleich an das Steueraufkommen gekoppelt. Nimmt ein Bundesland also mehr Steuern ein, zum Beispiel indem es mehr Steuerfahnder oder Betriebsprüfer einstellt, so muss es diese Zusatzeinnahmen zu rund 90 Prozent wieder abtreten. Für die Geberländer fehle damit einfach der Anreiz, ihre Steuereinnahmen zu erhöhen, kritisiert Michael Sandau von der Deutschen Steuergewerkschaft. Der Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt vermutet, dass Betriebsprüfer in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen deshalb öfter ein Auge zudrücken würden.

    "Und es gibt halb offen Werbung durch Politik in bestimmten Bundesländern, wo gesagt wird, Industrie siedelt euch an, wir schauen nicht so genau drauf, wir prüfen nicht so genau. Das ist ein zusätzliches Argument für Gewerbeansiedlung. Aber das dient natürlich der breiten Masse der Steuerzahler, die ihre Lohnsteuer abgezogen bekommt, überhaupt nicht."

    Tatsächlich trägt Bayern mit knapp 3,7 Milliarden Euro mittlerweile den Löwenanteil der Ausgleichsbeträge, die sich 2011 auf insgesamt 7,3 Milliarden Euro beliefen. Die andere Hälfte – abgesehen von einem kleinen Beitrag Hamburgs – teilten sich Baden-Württemberg und Hessen zu ziemlich genau gleichen Teilen. Alle anderen profitieren, allen voran Berlin.

    Das Tableau hat sich im Rahmen der bundesdeutschen Entwicklung verschoben: Nordrhein-Westfalen wurde vom Geber- zum Nehmerland. Einzig Bayern hat es vom Empfänger- zum Geberland geschafft.

    Die Geschichte des Länderfinanzausgleichs geht zurück in die Anfänge der Bundesrepublik; von Anfang an zum Verdruss der Geberländer. 1954 resümiert August Dresbach, Bundestagsabgeordneter der CDU aus Nordrhein-Westfalen:

    "Wir haben erörtert, ob man nicht diesen Kräfteausgleich nur vom Bund und aus Bundesmitteln bewerkstelligen könnte. Wir sind aber davon abgekommen. Denn wir sind zutiefst überzeugt von der echten Bruderliebe der deutschen Länder untereinander und dass der Reiche dem Armen mit guter christlicher Art abgeben wird."

    Kurz zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht schon sein erstes Urteil zum Länderfinanzausgleich fällen müssen. Und 1952 die klagenden Geberländer Württemberg-Baden und Hamburg ermahnt:

    "Das bundesstaatliche Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Eine dieser Pflichten besteht darin, dass die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben. Diese Pflichtbeziehung führt nach der Natur der Sache zu einer gewissen Beschränkung der finanziellen Selbstständigkeit der Länder."

    Womit der Streit erst anfing. Die Schelte des SPD-Politikers Wilhelm Gülich, Bundestagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein, im Jahr 1954 klingt denn auch eher vertraut:

    "Diese Länder mit ihrem Egoismus, die ihren Besitzstand verteidigen, sind überhaupt keine Föderalisten. Zum Föderalismus gehört der Begriff der Gemeinsamkeit, der Brüderlichkeit, der Solidarität!"

    Seit 1969 ist es mit der finanziellen Selbstständigkeit der Länder, die das Bundesverfassungsgericht noch betont hatte, ohnehin nicht mehr weit her. Mit der Finanzreform und dem neuen "Großen Steuerverbund" verloren die Länder ihre steuerpolitischen Kompetenzen weitgehend an den Bund. Dafür bekamen die Länder über den Bundesrat mehr Mitsprache bei Bundesgesetzen.

    Eigene Steuern können die Länder also nicht erheben. Ihnen steht zwar das Aufkommen an einigen Steuern allein zu, wie Erbschafts- und Grunderwerbsteuer. Das größte Stück des staatlichen Einnahme-Kuchens aber machen Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer aus und die stehen Bund und Ländern gemeinsam zu. Wobei Länder erst einmal bedeutet: Die Gesamtheit der Länder als gemeinsamer Topf. Und das zeigt, wie sehr es tatsächlich nur um Rechengrößen geht und nicht um eigene Wirtschaftskraft.

    Von Anfang an zieht sich der Gedanke der Solidarität durch das Verteilungssystem. Hat sich der Bund seinen Teil der Umsatzsteuer genommen, geht ein Viertel erstmal an arme Länder. Dann wird rein rechnerisch der Rest verteilt, jedes Land bekommt, was bei ihm angefallen ist. Hamburg also die Einkommen- oder Umsatzsteuer, die in Hamburg angefallen ist. Erst dann beginnt der eigentliche Finanzausgleich, in dem die Starken den Schwachen unter die Arme greifen. Und ganz am Schluss kommt dann der Bund ins Spiel. Mit Ergänzungszuweisungen.

    Gekämpft wird immer wieder um kleinere Stellschrauben, um Definitionen und Anreize. Denn wer wirklich wie viel zahlt, ergibt sich aus der groben Verteilung noch lange nicht. Und so klagten Geber- gegen Nehmer- und Nehmer- gegen Geberländer. Darüber, wie die Steuern erst einmal auseinanderdividiert, wie sie verteilt werden, welche Vor- und Nachteile Flächen- oder Stadtstaaten haben sollten. All das Fragen, über die man sich zuvor vermeintlich geeinigt hatte. So war es auch, als der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Wolfgang Zeidler 1986 verkündete:

    "Das Grundgesetz gibt den ausgleichsberechtigten Ländern Ansprüche und belastet die ausgleichsverpflichteten Länder mit Verbindlichkeiten. In dieser Bestimmung verwirklicht sich also ein bündisches Prinzip des Einstehens füreinander, das nicht nur im Verhältnis von Bund und Ländern, sondern auch im Verhältnis der Länder untereinander gilt."

    So war es auch 1992, als ein weiteres Urteil zum Länderfinanzausgleich erging. Und so war es 1999, in dieser Entscheidung aber gaben die Richter nun einmal - zumindest im Grundgedanken den Klägern - Recht: Solidarität, ja, sagte Karlsruhe damals. Ergänzte aber: Ohne dass alles völlig nivelliert würde. Sparsame Haushaltsführung etwa müsse sich in irgendeiner Weise niederschlagen. Damals verkündete Gerichtspräsidentin Jutta Limbach das Urteil.

    "Dem Haushaltsgesetzgeber in Bund und Ländern muss eine dauerhafte Planungsgrundlage gegeben werden, die zugleich gewährleistet, dass sich eine großzügige Ausgabenpolitik nicht bei der Umsatzsteuerzuteilung refinanzieren könnte, eine sparsame Ausgabenpolitik dagegen verminderte Umsatzsteueranteile zur Folge hätte."

    Sprecherin
    Fürsprecher des sogenannten Wettbewerbsföderalismus sahen sich bestätigt. Das aber war nur der eine Schwerpunkt der Entscheidung. Der andere betraf die Frage, wie die Entscheidung über die Umverteilung über den Finanzausgleich überhaupt zustande kommt. Der damalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller fasste diesen Teil des Urteils damals so zusammen:

    "Bisher war es so: man hat sich auf Beträge geeinigt und dann mehr oder weniger anschließend die Begründungen für diese Beträge formuliert. Jetzt geht es umgekehrt. Bevor gerechnet ist, bevor die Beträge feststehen, sollen die Maßstäbe festgesetzt werden, und danach werden dann die Beträge ausgerechnet."

    Diese Maßstäbe erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Beispiel Stadtstaaten. Deren Einwohner werden, wie es im Jargon des Länderfinanzausgleichs heißt, veredelt. Sprich: Für jeden Einwohner in Berlin, Hamburg oder Bremen gibt es mehr als für den Einwohner eines Flächenstaats. Das hat tatsächlich Gründe. Um beim Beispiel Hamburg zu bleiben: Dort kaufen, samt Umsatzsteuer, auch viele ein, die im Umland wohnen; ihr in Hamburg verdientes Einkommen versteuern die Speckgürtelbewohner aber in Niedersachsen. Dafür gehen sie in Hamburg ins – subventionierte – Theater. Unter dem Strich zahlt Hamburg also drauf, zum Wohle Niedersachsens. Warum aber muss die Einwohnerzahl eines Stadtstaates gerade mit 1,35 multipliziert werden?

    Beispiel zwei: Die Finanzkraft der Kommunen. Die fließt nicht vollständig in den Länderfinanzausgleich mit ein, obwohl die kommunalen Haushalte sich aus dem Geld der Länder speisen. Wie genau aber wird die kommunale Finanzkraft verrechnet' Trotz der Mahnungen der Richter: weiterhin wie auf einem orientalischen Bazar! Und damit unterm Strich auch alles passt, wurden noch die Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern veredelt, mit der Rechengröße 1,05, und ein klein bisschen mehr als der Durchschnitts-Bundesbürger sind auch Einwohner von Brandenburg und Sachsen-Anhalt wert. Stellschrauben wie diese gibt es einige.

    Ein weiteres wesentliches Ergebnis der Einigung 2001, die bis heute gilt: Der Bund übernimmt mehr als zuvor. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lobte die Einigung als Meilenstein des Föderalismus. Und der bayerische Staatsminister Erwin Huber sah es damals ebenso:

    "Hier ist es gelungen, mehr Anreize einzubauen, und zwar nicht nur für die Geberländer, die sind insgesamt zufrieden mit dem Schritt, sondern auch für die Empfängerländer. Denn wenn sich die verbessern, dann haben sie auch einen Vorteil davon, weil ihre Leistungen, die sie bekommen, dann weniger gekürzt werden."

    Errungenschaften, die man in den Geberländern, auch in Bayern, heute nicht mehr sieht. Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hatte sich schon nach den Verhandlungen 2001 weniger begeistert gezeigt:

    "Weil wir vielleicht die Fähigkeit der Politiker überschätzt haben, an die Formulierung der Maßstäbe ohne Hintersinn heranzugehen. Also ohne im Hinterkopf zu haben: Was bringt mir das?"

    Nun ja, sagten andere, das wäre auch ein wenig viel verlangt. Nur: Das macht die rechtliche Prüfung schwierig. Was soll das Bundesverfassungsgericht sagen zu einem Vertrag, den die Länder immer wieder schließen und dann immer wieder dagegen klagen, aber gleichzeitig nicht klar machen können, welche Eckdaten sie selbst für relevant halten? Vor der letzten Klage der Geber- gegen die Nehmerländer hatte Jutta Limbach deshalb die Beteiligten aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren – und sich deshalb wegen vermeintlicher Arbeitsverweigerung Ärger eingehandelt. Natürlich müssen wir entscheiden, wenn wir gefragt werden, sagte die Gerichtspräsidentin später. Aber an sich gehe es beim Länderfinanzausgleich um eine eminent politische Entscheidung:

    "Weil es ja im Grunde nicht nur darum geht, wie diese einzelnen Steuern zu verteilen sind, da könnte man ja ganz drakonisch verfahren. Sondern da müssen so viele andere finanzwirtschaftliche und haushälterische Fragen mit bedacht werden, für die das Bundesverfassungsgericht mit seinen acht Volljuristen nicht gerade die probate Instanz ist. Sondern das sollen Politiker machen, die nämlich auch in besonderer Weise der Bevölkerung zur Rechenschaft verpflichtet sind."

    Nichtsdestotrotz – auch diesmal müssten die Karlsruher Richter entscheiden, käme es zur Klage. Nur einer nicht, der sich besonders gut auskennt in der Materie. Der heutige Verfassungsrichter Peter Müller, der selbst schon als Ministerpräsident des Saarlandes am Länderfinanzausgleich mitverhandelt hatte, dürfte wohl befangen sein.